Menschen mit Behinderung im Handwerk Inklusion: Arbeit mit Handicap

Jeder Mensch hat ein Recht darauf, am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben zu dürfen. Doch nicht für alle ist das gleich leicht. Menschen mit Behinderungen haben es oft schwer, einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeit zu finden. Doch es gibt Vorreiterbetriebe, die jetzt auch ausgezeichnet werden können.

Barbara Oberst

Drei mit guten Aussichten: Elke Pichler steht zu den Azubis Patrick Scherfling (links) und Markus Heim. - © Christoph Keil

Elke Pichler schwärmt. "Patrick ist wirklich mit Hingabe dabei.“ Der 19-Jährige ist im zweiten Lehrjahr, seinen Ausbildungsvertrag bei den Malerwerkstätten Pichler in Nordhausen bekam er nach einem Praktikum im Betrieb.

Patrick Scherfling ist hörbehindert. Um gut zu verstehen, muss er das Gesicht des Sprechenden sehen. Die Kollegen haben sich daran gewöhnt, den jungen Mann erst anzutippen, bevor sie reden.

Für die Eheleute Pichler und für Malermeister Christian Lauer – seit 2014 Nachfolger in dem 39-Mann-Unternehmen – war Scherflings Behinderung kein Ausschlussgrund für eine Ausbildung – im Gegenteil: „Wir nehmen das Soziale sehr ernst“, erklärt Elke Pichler. So hat der Betrieb auch in diesem Jahr einen Azubi mit Behinderung aufgenommen: Markus Heim macht eine dreijährige Ausbildung zum Bauten- und Objektbeschichter, er geht auf die Förderberufsschule.

Reguläre Ausbildung oder Fachpraktiker

Viele Behinderungen beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit so gering, dass die Betroffenen eine reguläre Ausbildung absolvieren. Menschen mit stärkerer Einschränkung können auf Empfehlung der Arbeitsagentur eine theoriereduzierte Ausbildung zum Fachpraktiker machen (§ 66 Berufsbildungsgesetz , § 42 m HwO).

Die Möglichkeiten, Menschen mit Behinderungen zu integrieren, sind vielfältig, auch im Handwerk. Erika Helbing von "Helbing mein Lieblingsbäcker“ sammelt seit über 20 Jahren Erfahrungen auf diesem Feld. "Anfangs ging es nur um Nebenarbeiten. Inzwischen bilden wir Facharbeiter mit Behinderungen aus“, erklärt die Seniorchefin des großen Familienunternehmens aus Leinefelde-Worbis. "Es gehört bei uns einfach mit dazu, dass wir Schwächere integrieren. Gleichzeitig ziehen wir damit Fachkräfte nach“, erklärt Helbing.

Keine Berührungsängste

Berührungsängste gibt es im Betrieb keine. Der tägliche Kontakt zu Menschen mit Epilepsie, körperlichen Einschränkungen infolge von Unfällen, ADHS, Lernschwächen, geistigen Behinderungen oder Gehörlosigkeit ist Normalität. Ein fest zugeteilter Pate betreut den behinderten Kollegen oder Azubi.

Zusätz­liche Hilfe holt sich das Unternehmen von außen: Einen Gebärdendolmetscher, der regelmäßig für eine ­gehörlose Konditorin übersetzt; ­einen Platz im Internat des Rheinisch-Westfälischen Berufskollegs Essen für einen hörbehinderten Azubi, so dass er im Blockunterricht den Theorieteil seiner Ausbildung machen kann; oder eine ausbildungsbegleitende Hilfe und Nachteilsausgleich für eine Auszubildende mit ADHS.

"Bei allem Engagement steht für Unternehmen an erster Stelle die Frage, ob der Mensch zu den jeweiligen Anforderungen passt. Praktikumseinsätze oder Probebeschäftigung sind bei der Entscheidungsfindung immer sehr hilfreich“, weiß Kerstin Korkhaus, Inklusionsberaterin der HWK Erfurt. Ihre Beratungspraxis bestätigt, wie wichtig es für Unternehmen ist, kompetente Hilfe direkt vor Ort zu bekommen. Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten gibt es viele, allerdings sollten sich Unternehmer so früh wie möglich beraten lassen, denn meistens müssen Anträge vorab gestellt werden. Nur in einigen Fällen, wenn beispielsweise ein Mitarbeiter eine gravierende Beeinträchtigung erworben hat, ist Förderung auch im laufenden Beschäftigungsprozess möglich.

Inklusion tut Betrieben gut

Elke Pichlers und Erika Helbings Erfahrungen decken sich. Es tut dem Betrieb gut, Menschen mit Behinderungen eine Chance zu geben. Bisweilen verlangt es viel von den Beteiligten ab. "Aber es ist eine Riesenbestätigung, wenn man jemanden erfolgreich zum Abschluss führt“, resümiert Erika Helbing.

Wer hilft bei der Inklusion?

  • Agenturen für Arbeit und Jobcenter vermitteln Kontakte zu Bewerbern und beantworten Fragen rund um deren Beschäftigung sowie zu Fördermöglichkeiten
  • Ambulante Rehaeinrichtungen, Berufsbildungswerke oder Berufsförderungswerke ebenso
  • Integrationsamt und Integrationsfachdienste helfen im Zusammenhang mit Schwerbehinderungen
  • immer mehr Handwerkskammern haben eigene Inklusionsberater

Finanzielle Förderung

  • Probebeschäftigung: Kostenübernahme bis zu drei Monaten
  • Ausbildung: bis zu 60 Prozent Zuschuss zur monatlichen Ausbildungsvergütung, bei schwerbehinderten Menschen bis zu 80 Prozent
  • Beschäftigung: Eingliederungszuschuss bis zu 70 Prozent des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts von 24 bis zu 60 Monaten, im Einzelfall bis 96 Monate (alles Bundesagentur für Arbeit, Jobcenter, Rehaträger)
  • Beschäftigung: Minderleistungsausgleich (Integrationsamt)
  • Arbeitshilfen und behinderungsgerechte Einrichtung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen: bis zu 100 Prozent (Integrationsamt)
  • Sonderförderprogramme
Nützliche Informationen unter www.hwk-erfurt.de/inklusion , www.myhandicap.de und www.rehadat.info