Hochstapler-Phänomen Impostor-Syndrom: "Irgendwann fliege ich als Blender auf"

Wen bei der Arbeit starke Selbstzweifel plagen, könnte am Impostor-Syndrom leiden. Die Folgen können selbstauferlegter Leistungsdruck sein sowie die ständige Angst, ertappt zu werden, dass man seine Erfolge eigentlich nicht verdient hat. Insbesondere gut ausgebildete Menschen und Führungskräfte sollen oft betroffen sein. Was hilft?

Menschen mit dem "Impostor-Syndrom" denken, dass sämtliche Erfolge in ihrem Leben nur Zufall waren. Ihre Befürchtung: Irgendwann fliege ich als Nichtskönner auf und alles fällt in sich zusammen. - © Michael Tieck - stock.adobe.com

Um einen Handwerksbetrieb leiten zu können, bedarf es vielerlei Fähigkeiten und Kenntnisse. So war es auch bei Martin Müller (Name geändert), der in seinem Betrieb als Auszubildender angefangen hatte, sich zum Meister hocharbeitete und schließlich das Unternehmen von seinem ehemaligen Chef übernahm. "Als er mir sagte, dass ich der beste Kandidat sei, sein Nachfolger zu werden, dachte ich nur: Das ist Quatsch, da muss es doch jemanden besser Geeigneten geben", erinnert sich Müller. Schon als Meister hatte er oft das Gefühl, es müsse jeden Moment rauskommen, dass er eine Fehlbesetzung ist und "ich von viel zu vielen Dingen keine Ahnung habe".

"Irgendwann fliege ich als Blender auf"

Nach hartnäckigem Drängen seines Chefs willigte Müller trotz seiner Selbstzweifel ein. Mit der Übernahme des Betriebs wurde das Gefühl, nicht zu genügen und allen nur etwas vorzumachen, immer größer. Die Folge: "Ich arbeitete wie ein Besessener, machte Überstunde um Überstunde, auch am Samstag und Sonntag. Ich wollte es allen zu hundert Prozent recht machen." Auch volle Auftragsbücher und positives Feedback von Mitarbeitern und Kunden brachten keine Gelassenheit. "Stattdessen war ich mir sicher: Irgendwann fliege ich als Blender auf und alles geht in die Binsen." 

Was ist das Impostor-Syndrom?

Derlei Gedanken sind typisch für ein Phänomen, dem 1978 die amerikanischen Psychologinnen Pauline Rose Clance und Suzanne Imes den Namen Impostor-Syndrom gaben (impostor = engl. für Blender, Schwindler, Hochstapler). Anstatt Erfolge auf ihr eigenes Können zurückzuführen, gehen Menschen mit Impostor-Syndrom davon aus, dass alles, was sie im Leben erreicht haben, nur Zufall war. Sie leiden unter permanenten Versagensängsten und können sich nur schwer über Erfolge freuen.

Zufrieden sind Betroffene wie der Handwerksmeister Müller nie, sie arbeiten bis zur Erschöpfung und können ängstlich und depressiv werden. Häufig erlauben sie sich zudem nicht, Ansprüche wie eine Beförderung oder Gehaltserhöhung zu stellen – schließlich haben sie in ihren Augen nicht mal ihre aktuelle Position verdient.

Als psychische Störung im eigentlichen Sinn gilt das Syndrom nicht. Es wird eher als eine Art Persönlichkeitsmerkmal betrachtet. Eine 2011 vorgelegte Analyse des Forschungsstands ergab, dass sich rund 70 Prozent aller Menschen mindestens ein Mal im Leben als Impostor fühlen. Besonders Personen mit hohem Bildungsniveau sollen betroffen sein. Geschätzt die Hälfte aller Führungskräfte sollen mit dem Impostor-Syndrom zu kämpfen haben. Betriebsinhaber wie Müller scheinen also besonders gefährdet zu sein.

Was sind Symptome für das Impostor-Syndrom?

Einige Merkmale wurden bereits genannt. Laut des Psychotherapeuten Herbert Marten aus Berlin können sich vermeintlich Betroffene für eine erste Selbstdiagnose fragen, ob sie sich in den folgenden belastenden Denkmustern wiederfinden: 

  • Perfektionistische Ambitionen und Drang nach Genialität: In einem meist überhöhten Konkurrenz- und Leistungsgedanken sind Betroffene dem Zwang unterworfen, stets der oder die Beste sein zu wollen. Nur Bestleistungen ernten Zufriedenheit, mittlere Leistungen hingegen große Enttäuschung.
  • Kreislauf der Sorgen vor Misserfolg: Die Angst vor dem Scheitern führt dazu, dass Betroffene sich entweder prokrastinierend (also aufschiebend) viel zu spät an die Bearbeitung einer Aufgabe machen oder umgekehrt verfrüht viel Zeit investieren. Die Folge: Exzessives Arbeiten. Im Resultat wird der "Impostor" bei der Idee bestärkt, dass extremes Arbeiten die Voraussetzung für Erfolg ist. Die Angst vor dem Versagen bei der nächsten Aufgabe wird erneut angekurbelt.
  • Kompetenz-Zeugnis: Die Betroffenen neigen zur selbstlosen Ursachenzuschreibung und einer chronischen Selbstunterschätzung der eigenen Fähigkeiten. Negative Ergebnisse ordnen sie sich selbst zu, positive Leistungen jedoch nicht. Überdies werden Misserfolge als Bestätigung geringer Intelligenz gewertet, nicht als Feedback für Verbesserungen. Die Folge: Ein gedämpftes Selbstbewusstsein.
  • Selbstmaskierung: Aufgrund ihres sehr überlegten und an den Kontext angepassten Handelns wirken "Impostor" wenig authentisch. Durch die vermehrte Selbstbeobachtung, um die Außenwirkung zu kontrollieren, sind sie eher passiv in Gesprächen.

Was sind mögliche Ursachen für das Hochstapler-Syndrom?

Psychologen zufolge könnte der Leistungsdruck in der Gesellschaft eine Ursache für starke Selbstzweifel sowie Angst vor Kritik und Ablehnung sein. Zudem sprechen Betroffene im Beruf selten über Versagensängste – dabei kann Reden helfen, einen Ausweg zu finden und sein Selbstbild zu korrigieren.

Seine Wurzeln kann das Syndrom in der Kindheit haben: Das Selbstbild könnte in dieser empfindsamen Phase nachhaltig verzerrt werden. Etwa durch vermeintlich besser begabte Geschwister, ein zu kritisches Umfeld oder erlebte Gleichgültigkeit wichtiger Bezugspersonen wie den Eltern. Oder durch den Eindruck, dass die Liebe der Eltern an bestimmte Bedingungen wie beispielsweise besondere Leistungen geknüpft ist. Dadurch könnten Betroffene sich als minderwertig empfinden und denken, sie hätten es verdient, so behandelt zu werden. Ein derart beeinträchtigtes Selbstbild kann bis ins Erwachsenenalter hineinwirken.

Auch emotional schwierige Situationen sollen das Selbstwertgefühl erschüttern können und zu starken Selbstzweifeln führen wie etwa eine Scheidung, Krankheit oder ein Trauerfall. Bei Müller waren seine beiden Brüder besser in der Schule, machten das Abitur und studierten. Er hingegen machte eine Ausbildung. "Ich hatte immer das Gefühl, dass meine Eltern auf mich nicht so stolz waren wie auf meine Brüder", sagt Müller. Wirklich bewusst wurde ihm das allerdings erst mithilfe eines Therapeuten.

Was kann gegen das Syndrom getan werden?

Das Impostor-Syndrom loszuwerden, ist nicht so einfach. Die belastenden Denkmuster haben sich schließlich meist über viele Jahre verfestigt. Es braucht Zeit, Arbeit und Unterstützung, um erfolgreich dagegen anzugehen. Betroffene müssen falsche Bilder von sich selbst hinterfragen und negative Glaubenssätze meist noch aus der Kindheit aufarbeiten. Helfen können dabei Gespräche mit den Eltern, wie es Müller getan hat. "Sie waren überrascht, dass ich das Gefühl hatte, sie seien weniger stolz auf mich. Von ihnen zu hören, dass das nicht der Fall ist, hat mir schon gut getan", sagt Müller, der das Gespräch erst auf Anregen seines Therapeuten suchte, nachdem er bei den ersten Burn-Out-Symptomen merkte, dass er so nicht weitermachen konnte.

Psychotherapeuten wie Herbert Marten aus Berlin empfehlen eine Behandlung durch Supervision und kognitive Verhaltenstherapie. Die Kosten für das Erstgespräch sowie vier weitere sogenannte probatorische Sitzungen übernehmen die Krankenkassen. Darüber hinaus rät Marten, die folgenden Tipps zu beherzigen:

  • Anerkennen Sie die hinderlichen Verhaltensweisen und steuern Sie bewusst dagegen.
  • Setzen Sie realistische Anforderungen an sich selbst.
  • Verstehen Sie Kritik und Misserfolge als eine Form sich weiterzuentwickeln und nicht als persönliche Niederlage.
  • Nehmen Sie Lob von Kollegen an.
  • Visualisieren Sie Erfolg und notieren Sie in einem Tagebuch, was sie heute geschafft haben.
  • Machen Sie Ihr "Geheimnis" öffentlich.
  • Machen Sie sich bewusst: Der Bluff wird nicht auffliegen, weil es keinen gibt.