Der Ausbildungsvertrag ist unterschrieben, aber der Azubi taucht niemals auf. Solches Ghosting wird häufiger. Was dahinter steckt und wie Betriebe es verhindern können.

Kleinstbetriebe, die ausbilden, haben die größten Probleme. Für sie ist es besonders schwierig, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen; hier verlassen Auszubildende überdurchschnittlich häufig ihren Ausbildungsbetrieb während der Ausbildungszeit. Und hier geschieht es auch häufiger als anderswo, dass zwar ein junger Mensch den Ausbildungsvertrag unterschrieben hat, seine Ausbildung aber nie antritt.
"Ghosting" nennt sich dieses Nicht-Erscheinen, bei dem neue Mitarbeiter oder künftige Azubis trotz Vertrag wortlos verschwinden. Dieses Phänomen nimmt zu, in Deutschland noch verhalten, in den USA aber gibt schon knapp ein Drittel der Jobsuchenden an, den Kontakt zum Arbeitgeber abrupt abgebrochen zu haben, so das Jobportal Indeed. Seit der Corona-Pandemie habe sich das Phänomen noch einmal verstärkt.
Ghosting im Handwerk noch Ausnahme
Wie häufig Ghosting das deutsche Handwerk betrifft, hat Andrea Greilinger am Ludwig-Fröhler-Institut gemeinsam mit Thomas Zwick untersucht. "Bei zwei bis drei Prozent der Neuabschlüsse erleben die Betriebe Ghosting", so ihre Ergebnisse. Das klinge nach einer recht kleinen Zahl, habe aber sehr negative Auswirkungen. Eine Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bertelsmann Stiftung aus 2020 zeigt, dass jeder fünfte Betrieb weniger ausbildet, nachdem zugesagte Ausbildungsstellen nicht angetreten wurden.
In ihren Befragungen haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass sich die Jugendlichen, die ghosten, für andere Firmen entscheiden, in den meisten Fällen außerhalb des Handwerks. "Nur zehn Prozent sind im Handwerk geblieben", liest Greilinger aus den Ausbildungszahlen der Handwerkskammer der Pfalz ab.
Ghosting ist bisher wenig untersucht
In der Ausbildungsstatistik ist Ghosting laut Greilinger ein blinder Fleck. Bisher würden sich alle Untersuchungen auf Ausbildungsabbrüche nach Ausbildungsbeginn konzentrieren. Das Nicht-Erscheinen zum Ausbildungsbeginn fällt aber statistisch nicht in diese Gruppe hinein.
Deswegen haben Greilinger und Zwick alle Ausbildungsverträge der Handwerkskammer der Pfalz zwischen 2015 und 2017 unter die Lupe genommen und mit weiteren Daten verglichen. So haben sie herausgefunden, welche Faktoren das Risiko für Ghosting erhöhen. Die Gefahr für Ghosting steigt bei:
- Kleinstbetrieben mit bis zu neun Mitarbeitern sowie Firmen mit über 50 Mitarbeitern
- Bewerbern über 18 Jahren und noch stärker in der Gruppe der über 23-Jährigen
- Bewerbern mit niedriger Schulbildung
- für den jeweiligen Ausbildungsberuf eher niedriger Ausbildungsvergütung
- weiblichen Bewerberinnen
- Bewerbern mit einer fremden Staatsangehörigkeit
Warum in diesen Personengruppen Ghosting häufiger vorkommt als in anderen, lässt sich nur vermuten. Greilinger geht von einem geringeren Selbstbewusstsein aus: "Zu kommunizieren, dass sie trotz einer Vertragsunterzeichnung die Ausbildung nun doch nicht antreten möchten, könnte ihnen möglicherweise schwer fallen." Kulturell bedingt könne auch die Sorge vor Gesichtsverlust ein Grund sein, warum Migranten häufiger ghosten, statt offen zu kündigen. Bei älteren Bewerbern vermutet Greilinger eher strategische Gründe: Hier könnten die Personen mehrere Verträge unterzeichnet haben, um sich Optionen offenzuhalten.
Ghosting und Ausbildungsabbrüche
Insgesamt ähneln die persönlichen Eigenschaften derjenigen, die eher ghosten, denjenigen, die auch ein höheres Risiko für eine vorzeitige Vertragslösung ihrer Ausbildung haben. Es gibt aber auch Unterschiede, beispielsweise hinsichtlich der Branchen. So ist im Lebensmittelhandwerk die Abbrecherquote nach Ausbildungsbeginn hoch, die Ghosting-Quote ist dagegen unterdurchschnittlich.
"Rechtlich haben Betriebe wenig Handhabe, wenn ein Auszubildender seine Ausbildung nicht antritt", erklärt Marcus Halder, Sachgebietsleiter Ausbildungsberatung und Berufsbildungsrecht an der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Würden die Auszubildenden die Ausbildung antreten, könnten sie diese unmittelbar bei Ausbildungsbeginn, das heißt in der Probezeit, ohne Einhalten einer Frist kündigen. Gleiches Recht haben übrigens auch die Betriebe.
Mittel gegen Ghosting: Intensiv um die Azubis bemühen
Um so wichtiger ist es, die Gefahr für Ghosting zu reduzieren. Schon ab der Bewerbungsphase sollten Betriebe eine Beziehung zu dem künftigen Auszubildenen aufbauen, empfiehlt Greilinger. "Unsere Befragungen zeigen klar den Zusammenhang. Je stärker der Beziehungsaufbau zwischen Unternehmen und Jugendlichen war, umso weniger konnten sich die künftigen Auszubildenden vorstellen zu ghosten."
Zwar sei es sinnvoll, die Bewerbung an sich möglichst einfach zu halten, beispielsweise ohne Anschreiben, direkt über das Internet. "Aber nach der ersten Anbahnung ist das persönliche Kennenlernen sehr wichtig", betont Greilinger. Ein Praktikum sei der beste Einstieg. Aber auch danach sollte der Kontakt gepflegt werden, beispielsweise durch eine Einladung zum Sommerfest oder zum Betriebsausflug. "Oder auch ein Anprobetermin für die Berufskleidung ist möglich. Dann weiß der Jugendliche, dass schon alles für ihn bereit gemacht wird und der Betrieb auf ihn zählt", überlegt Greilinger.
Je stärker sich Betriebe im Vorfeld um die Person bemühten, desto seltener hätten sie Ghosting erlebt, zeigen ihre Untersuchungen. Ungünstig sei es dagegen, wenn viele Monate vor Ausbildungsbeginn der Vertrag unterschrieben werde und dann keinerlei Kontakt mehr stattfinde. Hier fehlten das Vertrauensverhältnis und die Verbindlichkeit.
Auch ein gutes Image des Betriebes könne Ghosting verhindern. Überall dort, wo Freunde oder Familie einen Betrieb empfohlen hatten, sei Ghosting seltener vorgekommen. "Die jungen Leute lassen sich positiv bestärken. Hier zeigt sich deutlich, wie wichtig es ist, dass sich die Betriebe bekannt machen", so Greilinger.