"Metzger" ist kein geschützter Begriff und Wurst, Steak oder Schnitzel müssen rechtlich gesehen nicht tierischen Ursprungs sein. Das nutzt "Der Vegetarische Metzger" und bedient die Nachfrage nach Vegetarischem und Veganem mit Fleisch- und Wurstersatzprodukten, die den Originalen täuschend ähnlich sind. In Berlin gibt es den ersten Laden der niederländischen Trendmarke.
Jana Tashina Wörrle

Es gibt Currywurst, Fleischbällchen oder Linsensuppe mit Gehacktem. Als Eröffnungsangebote kosten sie alle nur drei Euro – und sie sind alle fleischlos; vegetarisch und das Gehackte sogar vegan. Sie bestehen aus Soja und Lupinen.
Berlin Kreuzberg, Bergmannstraße, Szenekiez. Draußen parken die Autos in zweiter Reihe, die Cafés und Restaurants sind voll, in den Läden nebenan kaufen junge Leute schicke Dinge für coole Abende und Hauptstadtbesucher schlendern durch den Nieselregen auf der Suche nach den Trends. Drinnen eine typische Fleischerwaage, eine Wurstschneidemaschine, eine Kühltheke und drei Kühlschränke mit Pappverpackungen.

Waage und Wurstmesser glänzen neu und sehen noch unbenutzt aus. In der Auslage liegen einige dicke Würste und wieder Pappschachteln. Hinter dem Tresen steht eine junge Frau und nimmt Bestellungen an, die sie dann nach hinter an den Imbiss weitergibt. Hier gibt es die Currywurst, die Fleischbällchen und Suppe. Alles wirkt ein wenig steril und doch duftet es ganz lecker.
Was sich die Hungrigen an der Essensausgabe abholen, wirkt auf den ersten Blick wie typisch vom Imbiss. Doch es ist anders, auch wenn man es nicht schmeckt. "Der Vegetarische Metzger" ist Verkaufsort der Produkte unter der gleichnamigen Marke und Imbiss zugleich. Hier kann man vegetarische und vegane Fleischersatzprodukte kaufen und ausprobieren, die versprechen geschmacklich so nah am Original dran zu sein, wie nur irgendwie möglich.
Dass das Ganze in einem Laden stattfindet, der aussieht wie eine klassische Metzgerei und dass all die Speisen auch nach den Vorbildern aus tierischen Zutaten benannt sind – selbstverständlich mit einem kleinen Hinweis auf den Schildern, dass es sich um vegetarische oder vegane Varianten handelt – soll weder Provokation noch ein Veräppeln des Metzgerhandwerks sein. Bewusst gewählt ist es dennoch, um dem Verbraucher zu zeigen, für was er hier Alternativen finden soll. Für sein Verlangen nach Wurst und Fleisch.
Fleischersatz statt Verzicht
Die meisten von uns sind mit dem Geschmack von Wurst und Fleisch aufgewachsen und vermissen es, wenn man zu lange darauf verzichtet", sagt Florian Tenfelde. Er ist einer der beiden Gründer des Ladens in Kreuzberg, der bald auch einen Ableger im Ostteil der Stadt bekommen soll in Form eines Restaurants inklusive Imbiss. Tenfelde und sein Partner David Meyer dürfen die Produkte des "Vegetarischen Metzgers" exklusiv außerhalb der Niederlande vertreiben. Sie starten damit in Berlin und wollen das Konzept im Erfolgsfall auch in anderen großen Städten Deutschlands ausbauen.
Die Produktpalette umfasst etwa zwanzig vegetarische und vegane Fleisch- und Wurstimitate und auch sie soll wachsen. Daran arbeitet der Erfinder der Alternativprodukt-Marke Jaap Korteweg in den Niederlanden fleißig weiter. Dort sind die Produkte in vielen Supermärkten zu finden und bereits weit bekannt und beliebt.

Korteweg war einst Landwirt. Als er jedoch in den Jahren, in denen Schweinepest und Rinderwahnsinn die Viehhaltung bestimmten, zehntausende Tierkadaver in seinen Kühlhäusern lagern musste, wurde er erst zum Vegetarier und später auch zum ehrgeizigen Fleischersatzsucher. Er vermisste den Geschmack von guten Fleischprodukten so sehr, dass er nicht verzichten konnte und fing an Alternativen zu entwickeln. Erst tüftelte er alleine und heute mit Lebensmitteltechnikern gemeinsam an Produkten, die zwar so schmecken wie das, was man von den Originalen kennt. Doch sie sollten rein pflanzlich sein. Damit hat Jaap Korteweg eine Marke geschaffen, die aktuell den Trend zum Vegetarischen und Veganen exakt bedient.
"Wir wollen Alternativen anbieten, aber niemanden bekehren", sagt Florian Tenfelde. Ihm geht es um eine Alternative zu den Fleischprodukten aus Massentierhaltung, zu den günstigen Angeboten an Massenware, die weder etwas mit artgerechter Tierhaltung noch mit einem guten Metzgerhandwerk zu tun hätten. Zwar gebe es heute auch immer mehr Bio-Produkte und auch die sogenannten Flexitarier, die nur hin und wieder und dann nur gutes Fleisch konsumieren, würden sich gegen den Hang zur Masse wehren. Doch wirklich verzichten wolle kaum einer: weder auf Wurst oder Fleisch, noch auf die Fleischbällchen zwischendurch oder auf das Gehackte in der Suppe.
Vegane Wurst: Alternative statt Trend
Tenfelde möchte deshalb auch nicht davon sprechen, dass sein Laden einen Trend bedient. Er sieht es eher als langfristige Entwicklung und wehrt deshalb auch sowohl die Vorwürfe ab, dass seine pflanzlichen Produkte die Verbraucher täuschen würden, wenn sie die Namen der tierischen Originale tragen, als auch die Kritik, dass in der Bergmannstraße in Kreuzberg niemand handwerklich arbeite.
Der Vorwurf der Irreführung stammt vom Deutschen Fleischer-Verband, der sich dagegen ausgesprochen hat, dass die Fleischersatzprodukte ebenso "Schnitzel", "Steak" oder "Geflügelwurst" heißen dürfen. Die EU-Kommission hat den Vorwurf allerdings bereits abgewiesen. Zur fehlenden handwerklichen Arbeit sagt Tenfelde nur: "Der Begriff des Metzgers ist rechtlich nicht geschützt." Er bezieht sich damit auf eine Lücke in der Handwerksordnung, die zwar den Beruf als solchen schützt und genau vorschreibt, was man leisten muss, um ihn auszuüben. Die Begrifflichkeiten in Bezug auf die Betriebsstätte wie "Metzger" oder "Metzgerei" oder auch "Bäcker" und "Bäckerei" sind allerdings davon nicht abgedeckt.
Für die Herstellung der Ersatzprodukte ist Fachwissen rund um die Lebensmitteltechnik und den Einsatz von verschiedenen Zusatzstoffen nötig – seien sie auch noch so rein pflanzlich. Zudem kommt moderne Maschinentechnik und wenig Handwerk zum Einsatz. Die Zutatenlisten auf den weißen Pappschachteln der Produkte in den Kühlregalen sind dennoch kurz: viel Soja und Gewürze. "Gentechnik-freies Soja" verteidigt Tenfelde und weist sogleich selbst darauf hin, wie schädlich der Sojaanbau für die Umwelt sei. Das meiste davon wandert jedoch als Tierfutter in die Ställe der großen Rinder- und Schweinefarmen und nicht in die vegane Wurst.
Täuschend echte Fleischalternativen

Diejenigen, die nicht auf den Geschmack von Schnitzel, Wurst und Speckwürfeln verzichten können, aber beim Fleischverzehr "Gewissensbisse" bekommen – wie es Tenfelde nennt – sollen also täuschend echte Alternativen zur Verfügung haben. Deshalb sei auch die bewusste Anlehnung an die Originale wichtig, findet der Ersatzprodukte-Vertriebler. In den Niederlanden tüfteln sie deshalb ausgiebig an den Produkten bis Konsistenz, Struktur, Farbe, Form und Geschmack passen. Erst dann kommen sie auf den Markt. Bislang entstehen dadurch eher kleinteilige Fleischalternativen wie Speckstücke, Hühnchenstreifen oder Hackfleisch. So etwas wie ein Gänsebraten oder ein großes Steak lässt sich als Ganzes nur schwer aus Pflanzenfasern nachbilden.
In Deutschland gibt es sie bislang nur im Laden in Kreuzberg. " Erste Gespräche mit Supermärkten und auch Metzgereien führen wir aber schon", sagt Tenfelde. Denn auch immer mehr "richtige" Metzgereien haben vegetarischen und vegane Alternativen mit im Angebot, um auch diese Käuferschicht bedienen zu können.
Bedient werden beim "Vegetarischen Metzger" in der Bergmannstraße übrigens nicht nur trendige Hipster und Öko-Aktivisten, sondern viele Neugierige und auch immer mehr ältere Menschen schauen sich den Laden interessiert an, der erst seit dem 15. September geöffnet hat. "Heute Morgen war ein Ehepaar hier, beiden schon um die 70. Die konnten beim Probieren gar kaum glauben, dass sie da gerade kein Fleisch essen", sagt Florian Tenfelde und lacht, während er ein Tablett mit Kostproben von Hühnchenstreifen, Fleischbällchen und Speckwürfeln serviert. Er testet selbst – allerdings nicht die Speckwürfel, denn Speck mag er nicht – auch nicht den veganen. "Dass ich den nicht esse, zeigt wie nah er am Original dran ist. Den typischen Speckgeschmack mag man oder eben nicht."
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