Nach der Naturkatastrophe in der Türkei versorgt das Deathcare Embalmingteam Verstorbene in der Stadt Kahramanmaraş. Mit ihrer Ausbildung zum Thanatopraktiker bringen die Bestatter das nötige Rüstzeug für ihren ehrenamtlichen Einsatz nach Erdbeben mit.

Dieser Anblick will nicht mehr aus dem Kopf. Ein Mann umschlingt mit den Armen seine Kinder und seine Frau. Aber er kann sie nicht schützen. Als die Retter nach dem Erdbeben im türkischen Kahramanmaraş die Familie unter einer Betondecke freilegen, sind alle tot. Ein Schock, den die Helfer schnell verkraften müssen. Die nächsten Aufgaben warten schon.
"Das war einer der mental schwersten Momente während unseres Einsatzes", beschreibt Markus Maichle die Szene. Der Bestatter aus Geislingen leitete ein 15-köpfiges Team der Hilfsorganisation Deathcare, das nach dem schweren Erdbeben in der Türkei vor Ort bei der Bergung der Todesopfer half.
Verstorbenen Menschen die Würde bewahren
Im Verein Deathcare haben sich rund 60 Bestatter mit Zusatzausbildung zum Thanatopraktiker, aber auch Mediziner, Forensiker und Psychologen zusammengeschlossen. Sie bieten im Katastrophenfall ehrenamtlich eine würdevolle und professionelle Versorgung verstorbener Menschen an – und das weltweit. Zudem entlasten sie andere Hilfsorganisationen. "Die Helfer kommen ja, um möglichst viele Überlebende zu retten. Aber nach drei, vier Tagen bergen sie fast nur noch Tote. Das bringt sie psychisch und physisch an ihre Grenzen", sagt Maichle.
Die Bestatter von Deathcare sind hingegen mit Tod und Trauer vertraut, kennen den Umgang mit Verstorbenen und Angehörigen aus ihrer täglichen Arbeit. Bei Naturkatastrophen von so gigantischem Ausmaß wie dem Erdbeben Anfang Februar in der Türkei und in Syrien wollen sie den vielen namenlos Verstorbenen ihre Würde zurückgeben.
Deathcare-Teams bei Erdbeben schnell einsatzbereit
Als Markus Maichle am Morgen des 6. Februar auf sein Handy schaut, befürchtet er Schlimmes. "Ein Erdbeben der Stärke 7,8 mitten in der Nacht. Da war mir klar, dass besonders viele Menschen im Schlaf vom Tod überrascht wurden", schildert der Bestatter mit Erfahrungen aus vier Nothilfeeinsätzen. Maichle gehört zu den Deathcare-Helfern der ersten Stunde.
Wie 1999, als in der Türkei ein ähnlich starkes Erdbeben unter anderem die Stadt Gölcük verwüstete, so bittet auch dieses Mal das türkische Generalkonsulat die deutschen Bestatter von Deathcare um Hilfe bei der Seuchenabwehr. Um möglichst schnell einsatzbereit zu sein, hält der Verein seit damals in Münster zwei Flugcontainer mit Equipment bereit: Stromgenerator, Desinfektionsmittel, medizinisches Material für das Einbalsamieren, Bodybags. Vier Tage nach dem ersten Beben bringt eine Maschine das Hilfsteam nach Istanbul, wo die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad die Einsätze koordiniert. Für die Bestatter geht es weiter nach Kahramanmaraş.
Helfer in einer Trümmerwüste
Die Stadt mit 660.000 Einwohnern gleicht einer Trümmerwüste, nur wenige Gebäude wie die Moschee scheinen unversehrt. Die 15 Helfer, unter ihnen zwei türkischstämmige Dolmetscher von der Geislinger Feuerwehr, teilen sich in zwei Gruppen auf. Eine unterstützt die örtlichen Einsatzkräfte in den Ruinen bei der Bergung der Opfer, die andere versorgt in einer Turnhalle die Verstorbenen. Je zwei deutsche Thanatopraktiker arbeiten mit einem Polizisten und einem Staatsanwalt zusammen. Sie nehmen Fingerabdrücke, sichern DNA oder bestimmen den Zahnstatus, damit die Verstorbenen später identifiziert werden können. Selbst dann, wenn sie nur mit einer Nummer versehen auf dem örtlichen Friedhof begraben werden müssen. Religiöse Bestattungsrituale versuchen die Helfer aus Deutschland einzuhalten, soweit es ihnen möglich ist.

Während die meisten internationalen Rettungsteams nach Naturkatastrophen die örtlichen Kräfte bei der Suche und Bergung von Überlebenden unterstützen, konzentrieren sich die deutschen Bestatter auf einen Aspekt der Nothilfe, der weniger im Fokus steht. Das Deathcare Embalmingteam ist die weltweit einzige humanitäre Hilfsorganisation, die sich um Verstorbene und Seuchenbekämpfung kümmert, betont Markus Maichle.
Thanatopraktiker bieten "Wellness für verstorbene Körper"
Das nötige Rüstzeug für solche Einsätze bietet ihnen die Spezialausbildung zum Thanatopraktiker. Dabei lernen die Bestatter unter anderem Techniken zur Einbalsamierung, auch "Modern Embalming" genannt. Nach der Behandlung können Leichname ohne Kühlung vier bis fünf Wochen aufbewahrt werden. Markus Maichle spricht von Wellness für den verstorbenen Körper.
Der Einsatz in Kahramanmaraş war für die Bestatter alles andere als Wellness. Aufs Duschen mussten sie verzichten und bei bis zu minus sechs Grad Celsius in der Nacht weitgehend ohne Schlaf auskommen. Zwischen 350 und 500 Tote waren pro Tag zu versorgen, berichtet Maichle. Allein aus einem eingestürzten Hochhaus mit 15 Etagen wurden 98 Verstorbene geborgen. "Alle in unserem Team sind bis an die Belastungsgrenze gegangen und dabei an ihren Aufgaben gewachsen. Aus Kollegen sind Freunde geworden", sagt der Einsatzleiter, dessen Team in der Türkei große Aufmerksamkeit fand und sogar von Innenminister Süleyman Soylu empfangen wurde.
Große Hilfsbereitschaft nach Erdbeben
Nach einer Woche werden die Helfer von einem zweiten Deathcare-Team unter Leitung von René Strawinski aus Havelberg in Brandenburg abgelöst. Mit dabei: Maichles 18-jähriger Sohn Louis, der eine Lehre zum Nutzfahrzeugmechatroniker absolviert, aber auch mit der Arbeit im elterlichen Bestattungshaus vertraut ist. "Die Hilfsbereitschaft der jungen Leute ist sehr groß. Mit unserem Beispiel machen wir Werbung fürs Handwerk. Denn wer mit so viel Leidenschaft seinem Beruf nachgeht, muss sich um den Nachwuchs keine Sorgen machen", glaubt Markus Maichle.

Der gelernte Karosserie- und Fahrzeugbauer und langjährige Feuerwehrmann, inzwischen Inhaber eines Bestattungsunternehmens in dritter Generation und Thanatopraktiker, hat seine Passion gefunden. Maichle zeigt Fotos von seinen humanitären Auslandseinsätzen mit Deathcare nach Erdbeben 1999 in der Türkei und in Taipeh, nach dem Tsunami 2004 in Thailand oder dem Flugzeugabsturz 2015 in Südfrankreich. Ein Foto zeigt ihn neben dem Chef der Rechtsmedizin von Taipeh. "Da kann man sehen, wohin einem das Handwerk bringen kann, wenn man für seine Sache brennt", sagt Maichle.
Beim Türkei-Einsatz schlug den deutschen Bestattern eine Welle der Dankbarkeit entgegen. Mitunter waren die Helfer zu Tränen gerührt. "Als wir vor dem Rückflug in Istanbul durch den Airport liefen, haben die Menschen spontan applaudiert", beschreibt Maichle die Wertschätzung, die das Team im ganzen Land spürte. Er würde sich wünschen, dass die Arbeit von Deathcare bei deutschen Behörden die gleiche Anerkennung findet wie im Ausland und die Bestatter im Katastrophenschutz mitwirken dürfen. Damit die Hilfsangebote des Vereins nicht wie nach der Flutkatastrophe im Ahrtal ungehört bleiben.