Interview mit Erholungsforscherin Prof. Carmen Binnewies Entspannt im Urlaub: "Auch eine Herausforderung kann erholsam sein"

Wie vermeide ich (Vor-)Urlaubsstress? Wie lang muss der Urlaub sein, damit ich erholt bin? Und kann ich überhaupt entspannen, wenn ich für meine Mitarbeiter erreichbar bleiben muss? Erholungsforscherin Carmen Binnewies erklärt, wie man in Urlaub und Alltag richtig abschaltet und warum es durchaus entspannend sein kann, eine neue Sprache zu erlernen.

Ein junger Mann entspannt beim Lesen. - © MIND AND I - stock.adobe.com

Frau Binnewies, Sie forschen zum Thema Erholung. Wann merke ich eigentlich, dass ich urlaubsreif bin?

Carmen Binnewies: Die meisten Menschen bemerken das schon an kleinen Dingen und auf alltäglicher Basis. Sie fühlen sich bei der Arbeit auf einmal müde und erschöpft oder sie verlieren die Lust daran. Plötzlich läuft ihnen die Arbeit schwerer von der Hand. Es entsteht das Bedürfnis, eine Pause machen zu wollen. Oft macht sich diese Erschöpfung und Müdigkeit in der Stimmung bemerkbar: Man ist angespannt, gereizt. Arbeit kostet eben Energie und die ist irgendwann aufgebraucht.

Und im Urlaub kann ich mir diese Energie zurückholen?

Genau. Im Urlaub kann sich das wieder regenerieren, was bei der Arbeit auf psychischer und physischer Ebene gelitten hat. Wie wichtig Urlaub ist, zeigen auch zwei großangelegte Studien aus Skandinavien. Demnach sind Menschen, die nie Urlaub machten und in der Vergangenheit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen behandelt wurden, eher an einer erneuten Erkrankung gestorben, als Menschen mit ähnlicher Krankenhistorie, die aber Urlaub gemacht haben.

Urlaub ist aber nur eine Möglichkeit, um seine Batterien wieder aufzutanken. Eine weitere Form ist die Erholung im Alltag. Denn Studien haben auch gezeigt, dass der Erholungseffekt nach einem Urlaub nicht lange anhält – insgesamt nur bis zu drei Wochen.

Wie kann Erholung im Alltag aussehen?

In der Erholungsforschung hat man sich am Anfang die Frage gestellt: Was machen die Leute in ihrer Freizeit? Dabei kam heraus, dass Sport oder Bewegung für die Erholung förderlich sind. Bei anderen Aktivitäten wird es hingegen schwieriger: Denn ein und dieselbe Aktivität kann sehr unterschiedlich erlebt werden. Mein Lieblingsbeispiel ist das Stricken: Meine Mutter findet das total toll, ich hingegen kann mir das als Freizeitbeschäftigung so gar nicht vorstellen. Es ist also nicht entscheidend, was ich mache, sondern wie ich es erlebe – also warum und wofür ich etwas mache. Insgesamt sind vier Erfahrungen in Bezug auf Erholung wichtig.

Es ist nicht entscheidend, was ich mache, um mich zu erholen, sondern wie ich es erlebe.

Carmen Binnewies

Welche Erfahrungen sind das? Wie erhole ich mich richtig?

Die erste Erholungserfahrung ist das "Abschalten von der Arbeit". Dabei geht es darum, eine Aktivität zu machen, bei der ich es schaffe, mental von der Arbeit wegzukommen. Die zweite Erholungserfahrung ist die "Entspannung", also das physische Herunterkommen; dem Körper wieder Ruhe geben. Die dritte Erfahrung bezeichnen Erholungsforscher als "Mastery-Erleben" bzw. aktive Freizeitgestaltung: Dabei geht es darum, dass ich eine Aktivität mache, bei der ich etwas lerne oder die mich herausfordert. Das muss nicht unbedingt ein Wettkampf sein, kann aber ein sportliches Ziel sein, z. B. die Besteigung eines Berges. Genauso möglich ist, dass ich mich in einem Onlinekurs weiterbilde, ein Naturkundemuseum besuche, eine neue Sprache erlerne oder ehrenamtlich arbeite.

Die letzte Erholungserfahrung ist die "Selbstbestimmung": Wenn mir jemand vorschreibt, was ich zu tun habe, ist das in der Regel nicht gut – auch in der Freizeit nicht. Dieser Aspekt geht z. B. oft verloren, wenn man Kinder bekommt. Übrigens: Diese vier Erholungserfahren spielen nicht nur im Alltag eine wichtige Rolle, sondern eben auch im Urlaub.

Viele Leute sind der Meinung, dass man nur in einem langen Urlaub richtig ausspannen kann. Wenn aber die Erholung im Alltäglichen so eine wichtige Rolle spielt, sind dann nicht mehrere Kurzurlaube sinnvoller?

Es gibt zu dieser Frage nur eingeschränkte Daten. Aber sie zeigen allesamt, dass es keine Rolle spielt, wie lang der Urlaub ist. Das bedeutet, dass es eigentlich sinnvoller wäre, mehrere Kurzurlaube zu machen als nur einen langen Urlaub. Gleichzeitig möchte ich aber sagen: Das betrifft ausschließlich die Perspektive, wie man sich effektiv erholt. Der Sinn des Lebens liegt aber nicht nur darin. Wenn ich z. B. in ein fernes Land wie Australien reisen will, ist es natürlich legitim und sinnvoll, sich nicht nur eine Woche Urlaub zu nehmen.

Viele Chefs wollen auch im Urlaub erreichbar bleiben, um ihren Mitarbeitern bei wichtigen Fragen oder Notfällen zu unterstützen. Wie kann die Kommunikation klappen, ohne dass sie sich im Urlaub zu sehr davon stören lassen?

In einer Studie haben wir gefragt, welche Kommunikationsmedien die Menschen im Urlaub häufig nutzen. Dabei kam heraus: Je mehr die Leute telefonierten oder Nachrichtendienste wie Whatsapp nutzten – egal ob im beruflichen oder privaten Kontext – desto weniger gut konnten sie abschalten. Aber man muss das gar nicht so schwarz und weiß sehen. Je mehr ich es schaffe im Urlaub abzuschalten, desto besser ist es. Denn es ist ja auch so: Gerade wenn man selbstständig ist, kann ja auch im Business was schiefgehen und das ist natürlich auch nicht gut. Es hilft also, den Konsum im Urlaub zu reduzieren bzw. feste Phasen dafür einzuplanen. Diese wiederum können für jeden anders aussehen: Für den einen ist es besser jeden Tag zehn Minuten in sein Postfach zu schauen, der andere nimmt sich dafür einen bestimmten Tag in der Woche. Das gilt es im Vornherein herauszufinden. Wichtig ist natürlich, diese Zeiten auch mit den Mitarbeitern abzusprechen.

Je mehr die Leute telefonierten oder Nachrichtendienste wie Whatsapp nutzten, desto weniger gut konnten sie abschalten.

Carmen Binnewies

"Vorurlaubsstress" oder "Post-Holiday-Syndrom" sind bekannte Begriffe, die Stresszustände vor und nach dem Urlaub beschreiben. Haben Sie Tipps, wie sich diese vermeiden lassen?

Es ist sicherlich sinnvoll, die Zeit vor und nach dem Urlaub so gut es geht zu planen und extra Puffer einzukalkulieren. Inwieweit das möglich ist, ist aber von der jeweiligen Arbeit abhängig bzw. davon, ob man eine Vertretung hat.

Darüber hinaus kann man den Urlaub so planen, dass man z. B. an einem Mittwoch statt an einem Montag anfängt. Dann muss man nur drei Tage arbeiten und hat am Wochenende wieder eine kleine Erholungszeit. Was ich persönlich gerne mache: Wenn ich mir eine automatische Urlaubs-Abwesenheitsnotiz für mein Mail-Postfach einrichte, schreibe ich zwar hinein, dass ich ab einem bestimmten Datum wieder da bin, es aber noch ein paar Tage dauert, bis mein Postfach wieder auf dem aktuellen Stand ist. So etwas Ähnliches lässt sich auch vor dem Urlaub einrichten.

Zudem kann man sich überlegen, wann überhaupt ein guter Urlaubszeitpunkt ist, etwa in Hinblick auf Deadlines oder in Bezug zu anderen Personen. Es gibt Zeiten, in denen ein Urlaub für mich gut passt, alle anderen aber mit Fragen und Anliegen auf mich zukommen. Deshalb finde ich umgekehrt gerade Weihnachten besonders entspannend: Denn da hat fast jeder Urlaub.

© Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Zur Person:

Carmen Binnewies ist Professorin für Arbeitspsychologie und lehrt seit 2012 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Bewältigung von Stress bei der Arbeit, Erholung von Arbeitsstress und Work-Life-Balance.