Kommt EH55 oder nicht? Dieser Neubaustandard gilt ab 2023

Neubaustandard EH75, EH55 oder gar EH40: Wie energieeffizient müssen Neubauten künftig sein? Schon lange läuft die Diskussion darum, was ab 2023 gilt. Die Bundesregierung spricht wie angekündigt vom Standard EH55 als Basis für alle Neubauten. Verschärfungen für die Gebäudehülle sind aber gar nicht vorgesehen. Allein der Primärenergiebedarf entscheidet künftig.

Neubaustandard EH55
Der Neubaustandard, der ab 2023 gilt, nennt sich EH55. Zwar war er schon angekündigt, aber er bekommt dennoch neue Inhalte und bezieht sich nur noch auf den Primärenergiebedarf. - © gopixa - stock.adobe.com

Mit dem Sofortprogramm für den Gebäudesektor, das die Bundesregierung im Schnellverfahren Mitte Juli beschlossen hat, sollen zentrale Festlegungen getroffen werden, um den Energiebedarf der Gebäude in Deutschland zu senken. So sind Änderungen in zentralen Gesetzen vorgesehen. Darunter ist auch das Gebäudeenergiegesetz (GEG) und damit die Festlegung auf den Neubaustandard. Gemeint ist damit der Mindeststandard bei der Energieeffizienz für den Neubau.

Neubaustandard ab 2023: EH55 unter neuen Vorzeichen

Lange schon galt es als sicher, dass das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) diesen ab 2023 auf den Neubaustandard des sogenannten EH55 verschärft. Doch nun kommt es etwas anders, wenn man die Details liest. Bei den Vorgaben für die Gebäudehülle ändert sich nichts. Hier bleiben die Anforderungen bei denen für den Mindeststandard EH75. Dennoch spricht die Bundesregierung davon, dass ab 2023 als "Zwischenschritt" der Neubaustandard hinsichtlich des zulässigen Primärenergiebedarfs auf den EH-55-Standard angehoben wird. Also gilt, dass der zulässige Primärenergiebedarf von Neubauten von bisher 75 Prozent des Primärenergiebedarfs des Referenzgebäudes auf 55 Prozent reduziert wird. "Zwischenschritt" nennt die Regierung die Maßnahme deshalb, weil das eigentliche Ziel der Neubaustandard EH40 ist, der ab 2025 gelten soll.

Dass sich der Standard EH55 nur auf den Primärenergiebedarf bezieht, lässt sich so deuten, dass es mehr darauf ankommt, wie viel Energie man in ein Gebäude stecken muss und auch, welche Art von Energie. Als zusätzliche Vorgabe gilt schließlich, dass jede ab 2024 neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden soll. Und um diesem Ziel näher zu kommen, soll der Anteil der Heizungen, die mit erneuerbaren Energien laufen, ab jetzt steigen.Im Fokus stehen dabei Wärmepumpen. Diese benötigen dank niedriger Vorlauf-Temperaturen wenig zusätzliche Energie an Strom, da sie den Hauptteil des Energiebedarfs  aus Luft, Wasser oder Erde ziehen.

Neubaustandard ohne Verschärfungen bei der Gebäudehülle

Angesichts der neuen Vorgaben hinsichtlich des Neubaustandards erinnert der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) allerdings daran, dass ein wichtiger Ansatz die Reduzierung des Energiebedarfs ist, also eine gut gedämmte Gebäudehülle. Damit können kleinere Anlagen eingebaut bzw. Wärmepumpen effizienter genutzt werden. So bewertet der Verband das Sofortprogramm als "zu kurz gesprungen" und fordert, dass die Umstellung von Heizungssystemen auf erneuerbare Energien Hand in Hand mit der energetischen Optimierung der Gebäudehülle gehen müsse. Dieter Kuhlenkamp, Referent beim ZDB, ist zudem der Ansicht, dass das, was im Sofortprogramm stehe Bauherren verunsichert, da nicht klar ist, was nun wirklich beim Neubau ab 2023 umzusetzen sei.

Auch der Geschäftsführer des Energieberaterverbands GIH, Benjamin Weismann, zweifelt an der Wirkung der Festlegungen für den Neubaustandard für mehr Energieeffizienz. Außerdem berichtet er, dass die Praxis für Energieberater immer komplizierter wird, wenn sich die gesetzlichen Vorgaben ständig ändern. Was künftig gilt und warum der GIH zweifelt, erklärt Benjamin Weismann im folgenden Interview.

Benjamin Weismann
Benjamin Weismann ist Geschäftsführer beim Energieberaterverband GIH. - © GIH - Bundesverband e.V.

"Auch regenerative Energie entweicht durch eine schlecht gedämmte Gebäudehülle"

DHZ: Kann man noch sagen, dass ab 2023 als Neubaustandard die Vorgaben des Effizienzhaus EH55 gelten?

Weismann: Ja und nein. Die vom Bundestag verabschiedete Gesetzesnovelle verschärft zwar die Anforderungen an die Gebäudetechnik. Dies bedeutet, dass Heizungen mit fossilen Energien wie Gas oder Öl im Neubau kaum mehr möglich sind, selbst wenn sie durch Photovoltaik oder Solarthermie unterstützt werden. Die Vorgaben an die Gebäudehülle bleiben jedoch auf dem aktuellen Stand. Für Dämmung, Fenster und Türen gilt also nach wie vor, was 2013 in der Energieeinsparverordnung festgelegt und 2020 ins Gebäudeenergiegesetz übernommen wurde.

DHZ: Ist die Einführung des Standards EH55 aus Ihrer Sicht notwendig?

Weismann: Als Grund für den plötzlichen und unangekündigten Förderstopp EH55 und EH40 am 24. Januar 2022 nannte die Regierung auch, dass sich EH55 im Neubau bereits als Standard durchgesetzt habe. Trotzdem sollen nun die Anforderungen an die Gebäudehülle für die kommenden zweieinhalb Jahre weiter auf dem derzeitig gültigen, niedrigeren Niveau verbleiben. Vor dem Hintergrund, dass auch regenerativ erzeugte Energie, die ungenutzt durch die Gebäudehülle entweicht, verschwendete Energie ist, fragen wir uns schon, warum man nicht bereit ist, eine gelebte Praxis gesetzlich festzuschreiben. Mit Blick auf die derzeitigen Energiepreise und die Rufe nach Energieeinsparung ist dies mindestens verwunderlich. Energieeffizienz sollte nun das Gebot der Stunde sein.

"Anforderungen an die Neubauförderung haben sich in den letzten drei Jahren drei Mal verändert"

DHZ: Was ist mit dem Neubaustandard EH40 ab 2025 – bleibt es dabei?

Weismann: Das ist im Koalitionsvertrag so formuliert und wurde im jüngsten Klimaschutzsofortprogramm nochmals bestätigt. Man darf aber gespannt sein, ob der Gesetzgeber auch diesen Begriff dann wieder "kreativ" umdeutet – zum Beispiel in Richtung "Primärenergie-EH40".

DHZ: Was bedeutet es für Energieberater, sich ständig auf neue Standards einzustellen bzw. dahingehend zu beraten?

Weismann: Wie für Bauherren und Sanierungswillige ist es auch für Energieberater wichtig, sich auf Vorgaben und Förderbedingungen verlassen zu können. Ändern sich diese ständig, ist es zum einen eine Herausforderung, auf dem Laufenden zu bleiben und den Überblick zu behalten. Zum anderen ist es aber auch schwierig, der Enttäuschung von Kunden zu begegnen, wenn sich deren Traum vom Eigenheim aufgrund kurzfristiger Änderungen in Luft auflöst. Hier gilt ganz klar: Wer neu bauen oder energieeffiziente ganzheitliche Sanierungen anstoßen möchte, muss langfristig für klare Verhältnisse sorgen. Es gibt gerade mindestens vier verschiedene "Förderepochen" von Neubauten, die Energieberater betreuen.

Das heißt: die Anforderungen an die Neubauförderung haben sich in den letzten drei Jahren mindestens drei Mal verändert. Vom Marktanreizprogramm über das KfW-Energieeffizienzprogramm – Energieeffizient Bauen und Sanieren bis hin zu den verschiedenen Stufen der Bundesförderung effiziente Gebäude (BEG). Ab 2023 soll es dann die neue Förderung "Klimafreundliches Bauen" geben, das auf das Qualitätssiegel Nachhaltiges Bauen (QNG) setzt. Es sind noch wenige Monate bis 2023 hin, aber es gibt immer noch keine genauen Details zur Förderung, so dass sich viele Energieberater auch noch scheuen, sich zum QNG weiterzubilden.

"Wer jetzt seine Gebäudehülle neu baut, verbraucht in den kommenden Jahrzehnten weniger Energie"

DHZ: Wie bewerten Sie, dass es neue Standards gibt? Bringt ein Mehr an Dämmung in der Gebäudehülle denn noch so viel Fortschritt? Oder ist es nötig, dass man den Ansatz hierbei verändert?

Weismann: Nun, ein Mehr an Dämmung ist wie gesagt ja zunächst gar nicht vorgesehen. Und klar ist auch, dass der Nutzen mit jedem zusätzlichen Zentimeter Dämmung oder Ziegeldicke abnimmt. Allerdings sind wir mit dem derzeit geltenden baulichen Wärmeschutz noch nicht an dem Punkt angelangt, ab dem sich das nicht mehr lohnt. Wer jetzt seine Gebäudehülle neu baut oder ertüchtigt, verbraucht in den kommenden Jahrzehnten weniger Energie. Damit sich entsprechende Investitionen rechnen, müssen die Preise gar nicht weiter exorbitant steigen. Insofern sage ich: Ja, der Gesetzgeber sollte seinen Ansatz hier überdenken und höhere Anforderungen stellen. Im Prinzip hieße das nichts anderes, als Immobilienbesitzer zu ihrem Glück zu zwingen – was ja längerfristig gedacht keine schlechte Sache ist. Und übrigens lassen sich nur so die festgelegten Klimaziele 2030 und 2045 überhaupt erreichen.