Großbritannien stimmt für Ausstieg Brexit: Wirtschaftliche Folgen ungewiss

Großbritannien hat sich für den Ausstieg aus der Europäischen Union entschieden. Die wirtschaftlichen Folgen für die EU und Großbritannien sind noch nicht abzusehen.

Großbritannien hat für den Ausstieg aus der Europäischen Union gestimmt. - © lazyllama/Fotolia.com

Großbritannien verlässt die EU. Im historischen Referendum der Briten haben sich die Brexit-Befürworter laut vorläufigem amtlichen Endergebnis durchgesetzt. Dafür stimmten 51,9 Prozent der Briten, 48,1 dagegen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 72 Prozent. Die politischen und wirtschaftlichen Folgen für Großbritannien sind noch nicht abzusehen.

Für Europa befürchtet IW-Direktor Michael Hüther wegen des Brexits keine dramatischen wirtschaftlichen Folgen. "Zwar ist mit einem signifikanten Rückgang des Wirtschafts- und Handelswachstums zu rechnen, die Gefahr eines erneuten Losbrechens der Eurokrise bleibt hingegen überschaubar", erklärte Hüther am Freitag nach dem Votum der Briten zum Austritt aus der Europäischen Union.

Der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Clemens Fuest, hat das Votum der Briten für einen EU-Austritt als "Niederlage der Vernunft" kritisiert. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen", teilte Fuest am Freitagmorgen mit. Dazu gehöre es, dass Großbritannien so weit wie möglich Teil des EU-Binnenmarktes bleibe. "Es ist wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibt."

"Cameron hat mit dem Feuer gespielt", sagt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, "Fakt ist, raus heißt raus“. Nach dem Referendum fordert der CSU-Europaabgeordnete, dass es bei den anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien über den Austritt aus der Europäischen Union kein "Rosinenpicken" geben dürfe.

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, nennt die Entscheidung der Briten einen traurigen Tag für Europa. Die Einigung Europas müsse gleichwohl das Ziel bleiben. "Gerade deshalb verbietet die Entscheidung der Briten ein "weiter so" in Brüssel. Nicht die Vertiefung des Binnenmarktes auf allen Feldern kann die Botschaft sein. Jetzt ist ein Prozess gefragt, in dem Prioritäten neu gesetzt, aber auch Strukturen innerhalb der Europäischen Union überprüft werden müssen. Die Einigung Europas ist und bleibt ein viel zu wichtiges Projekt, als dass sie im Treibsand kleinstteiliger Regulierungsaktivitäten versinken darf", sagt Wollseifer.

Deutsche Unternehmen sorgen sich um ihren Handelspartner

Groß Britannien ist ein wichtiger Handelspartner für Europa. Die Sorgen vieler Unternehmen sind daher groß, wie zum Beispiel eine Umfrage des ifo Instituts zeigt. Wie der Brexit einzelne Branche trifft zeigt der folgende Überblick.

Autoindustrie

Jedes fünfte in Deutschland produzierte Auto geht nach Angaben des Branchenverbandes VDA ins Vereinigte Königreich. Autos deutscher Konzernmarken haben danach auf der Insel einen Marktanteil von gut 50 Prozent. BMW verkaufte in Großbritannien im vergangenen Jahr 236 000 Autos - das waren mehr als 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Audi waren es 9, bei Mercedes 8, beim VW-Konzern insgesamt 6 Prozent.

Elektroindustrie

Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts sehen sich besonders viele Firmen betroffen (52 Prozent). Das Vereinigte Königreich ist der viertwichtigste Abnehmer für Elektroprodukte "Made in Germany" weltweit und der drittgrößte Investitionsstandort für die Unternehmen im Ausland. Dem Branchenverband ZVEI zufolge lieferten deutsche Hersteller im vergangenen Jahr Elektroprodukte im Wert von 9,9 Milliarden Euro nach Großbritannien. Dies entspreche einem Anteil von 5,7 Prozent an den deutschen Elektroausfuhren.

Maschinenbau

Die deutsche Schlüsselindustrie sorgt sich um einen ihrer wichtigsten Exportmärkte. Die Unternehmen lieferten 2015 Maschinen im Volumen von 7,2 Milliarden Euro nach Großbritannien. Das Vereinigte Königreich belegt damit Rang vier der wichtigsten Ausfuhrländer für Maschinen "Made in Germany". Deutschland ist dem Branchenverband VDMA zufolge der wichtigste Lieferant der Briten, 2015 kamen 20,6 Prozent der importieren Maschinen aus der Bundesrepublik.

Chemieindustrie

Die Unternehmen befürchten einen Rückgang grenzüberschreitender Investitionen und weniger Handel. Im vergangenen Jahr exportierte die Branche nach Angaben ihres Verbandes VCI Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro nach Großbritannien, vor allem Spezialchemikalien und Pharmazeutika. Das entspricht 7,3 Prozent ihrer Exporte. Von der Insel bezogen die deutschen Firmen Waren für 5,6 Milliarden Euro, vor allem pharmazeutische Vorprodukte und Petrochemikalien.

Finanzbranche

Banken brauchen für Dienstleistungen innerhalb der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Durch den Brexit werden Handelsbarrieren befürchtet. Viel steht für die Deutsche Börse auf dem Spiel. Sie will sich mit dem Londoner Konkurrenten LSE zusammenschließen. Das Anteilsverhältnis ist schon festgezurrt. Der Deal könnte für den Frankfurter Marktbetreiber nun teuer werden, falls die Londoner Börse wegen des Brexits massiv an Wert verlieren sollte.

Unternehmen in Großbritannien

Mehr als 2500 deutsche Firmen haben Niederlassungen in dem Land. Sie beschäftigen etwa 420 000 Menschen, die meisten davon Briten. Zu den größten deutschen Arbeitgebern auf der Insel gehört die Deutsche Post (DHL) mit 48 000 Mitarbeitern, die Deutsche Bahn (Arriva) hat dort 25 000 Beschäftigte, der Pharmakonzern Celesio 20 000. Ein Ende der Arbeitnehmerfreizügigkeit würde alle Branchen betreffen, denn viele Firmen würden kurzfristig Mitarbeiter aus anderen Ländern für spezielle Projekte am Standort London zusammenziehen, argumentiert Ulrich Hoppe, Geschäftsführer der deutsch-britischen Industrie- und Handelskammer. dhz/dpa