Brotbacken als Kunst und Wissenschaft Bäckerei Gehrold: Jeder Brotlaib ein Unikat

Seit 1957 verköstigt die Bäckerei Gehrold die Menschen in Würzburg. Mittlerweile gilt der Betrieb als Institution in der Stadt. Doch Bäckermeister Jürgen Thein sorgt sich angesichts steigender Energie- und Getreidekosten und fehlendem Nachwuchs auch um die Zukunft von Handwerksbäckereien wie seiner.

Bäckermeister Jürgen Thein leitet seit 1997 die Bäckerei Gehrold in Würzburg. - © Shristi Mangal Pal

Drei Uhr in der Früh: Während viele Menschen noch im Tiefschlaf ruhen haben die Bäcker der Bäckerei Gehrold bereits mehrere Backbleche dampfender Brezeln und Croissants aus dem Ofen geholt. Schon beim Betreten der Backstube steigt der Duft von frisch gebackenem Brot in die Luft. Gestapelte Kisten mit verschiedenen goldenen Brötchen sowie feine Torten und Gebäcke liegen auf dem Tisch zum Abkühlen bereit.

Bei Familie Thein fließt Mehl durch die Adern

"Wir arbeiten mit Herz und Hand. Bis auf den Teig, der mit Hilfe einer Teigknetmaschine gemacht wird, wird jedes Teilchen von Hand gefertigt", sagt Jürgen Thein, Bäckermeister und Chef seit 1997. Nach dem Tod des Gründers – seines Schwiegervaters – hat Thein das Geschäft übernommen. Mit seinem markanten fränkischen Akzent und seiner freundlichen Art stellt er seine fleißigen Angestellten vor. Sein ältester Sohn und Bäckermeister Tim und sein Kollege Dominik backen riesige Brotlaibe. Sein jüngster Sohn Lukas formt mit Kollegin Selma aus dem tourierten Teig in nur sieben Minuten etwa 60 Plunderstücke. Im zweiten, etwas abgelegenen Raum schält seine Tochter Kristina, die Konditorin, Rhabarber und bereitet Obst für die schmucken Torten vor. Theins Frau und seine zweite Tochter Tanja kümmern sich um den Verkauf. Ganz offensichtlich ist der Broterwerb für die Familie Thein ein gemeinsames Herzensprojekt.

Ein Blick in die Backstube

Drinnen in der Backstube ist es feuchtheiß, fast wie in der Sauna. Die Bäcker tragen kurze Hosen, weiße T-Shirts und Sportschuhe. Ohne ihre mehlverschmierten Schürzen könnte man meinen, sie seien auf dem Weg zum Tennisspielen. Lukas, ein sanftmütiger 20-Jähriger, macht gerade Nussschnecken. Er streicht die Haselnussmischung mit seinem Spachtel zügig auf den Teig. Daraufhin rollt er den Teig zu einer straffen Rolle. Danach beginnt er, den Teig mit einem langen gezackten Messer zu zerteilen. Die spiralförmigen Schnecken aus Plunderteig werden nun in die Kühlung gestellt, und reifen über Nacht. Am nächsten Morgen sind sie bereit für den Ofen. Lukas und Selma zaubern daraufhin aus Plunderteig verschiedenster Backwaren. Es gibt kleine Croissants mit Mandeln und Zucker, sogenannte "Zauners". Und fluffige "Kissingers", gefüllt mit Aprikosenmarmelade, sowie Croissants mit Rosinen, die "Belgische Flandern" heißen.

Wie beim Tanzen bewegen sich die Bäcker im Gleichtakt. Ihre Hände sind flink und anmutig. Jede Bewegung ist wohlüberlegt und präzise. Im Hintergrund läuft das Radio, begleitet vom Klirren der Werkzeuge auf den Stahl- und Holztischen. Während der eine den Teig formt, taucht der andere ihn zunächst ins Wasser und dann in einen Eimer mit Kernen. Die nächsten legen sie in Reihen auf riesige, mit Backpapier ausgelegte Stahlpfannen. Tim bedient den Brotschießer, einen langen Holzspaten, mit dem er die Brote in den massiven Etagenofen schiebt.

Mit einem Spritzbeutel verteilt Lukas Aprikosenmarmelade auf den Teigplättchen. Daraus entstehen zarte Gebäckstücke, die "Kissingers". - © Shristi Mangal Pal

Brotbacken: Kunst oder Wissenschaft?

Croissants sind die meistverkaufte Backware im Repertoire der Bäckerei. Der Teig wird einen Tag vorher hergestellt. Zuerst werden 27 Fettschichten zwischen 28 Teigschichten eingeschlossen. Durch die Hitze des Ofens trennen sich die Schichten und geben den Croissants ihr typisches flockiges Aussehen. 

Stolz hält Thein auch einen riesigen Laib "Gassenhauer", ein Roggenmischbrot mit Kümmel, in seinen Händen. Er weiß, was das bayerische Brot so besonders macht. Er deutet auf die verschiedenen Backwaren in seinem Laden und erklärt: "In Bayern wird viel Roggen verwendet, während es im Norden dunklere Sorten wie Pumpernickel gibt. Die Franken backen anders. Wenn auf dem Rezept drei Prozent Salz steht, backt ein Franke in der Regel mit vier Prozent Salz. Der Franke will es würziger." Er schmunzelt.

Für Thein ist Brot wie ein Lebewesen. Fast schon poetisch drückt er aus: "Es ist Leben drin, es ist Nahrung. Das Wichtigste auf der Welt." Brotbacken ist also im Grunde eine Wissenschaft für sich. Da wird jede Getreidesorte abgewogen, gemahlen und eingeweicht. Letztendlich entsteht daraus Kunst. "Jeder Laib ist ein Unikat, das ist Handwerk", erklärt der Bäckermeister.

Bäcker musste Preise erhöhen

Es kommen jedoch immer weniger junge Menschen, die den Beruf des Bäckers erlernen wollen. Theins Vermutung: "Weil heutzutage jeder nur noch studieren will. Nicht nur in der Bäckerei, sondern im gesamten Handwerk herrscht Nachwuchsmangel." Eine weitere Herausforderung ist der anhaltende Krieg in der Ukraine, der die Energie- und Getreidekosten in die Höhe getrieben hat. Obwohl die Bäckerei Gehrold ihre Preise leicht anheben musste, bleiben diese dennoch im unteren Segment. Thein lehnt es strikt ab, ein Brötchen für 50 oder 60 Cent zu verkaufen. "Das würde ich gleich sein lassen", meint er.

Frische Vollkornlaibe der Bäckerei Gehrold – frisch aus dem Ofen – kühlen auf Holzrosten ab. - © Shristi Mangal Pal

Die kleine Bäckerei inmitten der belebten Würzburger Sanderstraße ist zwar eine Institution und die Familie Thein liebt ihr Handwerk, was die Kundschaft zu schätzen weiß. Gleiches gilt jedoch nicht für alle handwerklichen Bäckereien. In einigen Städten haben die großen Ketten den einfachen Handwerksbäcker verdrängt.

Mit seiner Befürchtung zeichnet Thein ein schmerzhaftes Bild von kleinen Bäckereien, die vom Aussterben bedroht sind. Grund dafür: "Die Menschen greifen zunehmend zum Supermarktbrot, anstatt ihre lokalen Bäcker zu unterstützen. Deshalb macht Thein klar: "Dann kann man alles von der Fabrik kaufen, und braucht keinen Bäcker mehr. Bald wird alles am Band laufen."

Zu seiner Freude aber, rennen ihm die Würzburger nach wie vor "jeden Tag die Bude ein." In den nächsten fünf Jahren plant Thein, das Geschäft langsam an seine Kinder zu übergeben. Dabei hofft er, weitere junge Bäcker zu finden, an die er die deutsche Backkunst weitergeben kann. 

Gegen elf Uhr vormittags endet die Arbeit in der Backstube. Die Bäcker putzen alles gründlich. Die frisch gebackenen Waren kommen in die Verkaufsregale des Ladens. Thein grüßt noch schnell ein paar Stammkunden im Stile einer lokalen Berühmtheit und macht sich auf den Heimweg.

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Reportage-Projekts des Master-Studiengangs Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt entstanden. Kooperationspartner war die Deutsche Handwerks Zeitung.