Brot aus alten Getreidesorten gilt als besser verträglich. Auch Menschen mit einem Reizdarm können es essen. Wissenschaftler haben nun herausgefunden, dass das gar nicht am Getreide selbst liegt, sondern an der Backtechnik. Ein Vorteil fürs handwerkliche Backen.

Ein guter Teig braucht seine Zeit. Je nachdem, ob ein Vorteig verwendet wird oder nicht, braucht er Phasen, in denen er ruhen kann und Phasen, in denen er bearbeitet wird. Nur, wenn er diese Zeit bekommt, werden bestimmte Zucker abgebaut, die Verdauungsprobleme bereiten können.
Spürbar ist das vor allem für diejenigen, die unter dem Reizdarm-Syndrom leiden – immerhin rund zwölf Prozent der Deutschen. Sie vertragen kein normales Brot aus Weizenmehl und bekommen Blähungen davon. Ihr Dünndarm kann die im Teig enthaltenen niedermolekularen Zuckermoleküle – die sogenannten FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole) – nicht ausreichend abbauen. Sie gelangen unverdaut in den Dickdarm und bilden dort Gase. Diese blähen den Darm auf und das bereitet Schmerzen.
Lange Teigführung: Gesundes Brot braucht Zeit
Statt dem Brot aus normalem Weizen vertragen Reizdarm-Patienten Brot aus den Urgetreiden, Einkorn, Emmer, Dinkel und Durum oft besser. Woran genau das liegt, haben Wissenschaftler der Universität Hohenheim nun untersucht. Das Ergebnis: die Technik macht‘s – genau genommen die lange Teigführung.
Eine lange Teigführung bedeutet, dass der Teig genug Zeit zum Gehen bekommt – das können auch mal mehrere Stunden sein. Doch nur dann quellen die enthaltenen Ballaststoffe und auch die Stärke richtig auf und können vom Körper besser verarbeitet werden.
Doch was hat das mit den Urgetreiden zu tun? – Die Forscher fanden heraus, dass einige Urgetreide zwar ein bisschen weniger der FODMAPs enthalten, doch sind die Unterschiede nicht derart hoch, dass sie die bessere Verträglichkeit alleine erklären. Der Grund liegt dagegen daran, dass dort, wo die Urgetreide als Zutat im Brot verbacken werden, meist traditionelle, handwerkliche Backtechniken eingesetzt werden wie die der langen Teigführung.
Die in der Regel langsamere Brotbereitung im traditionellen Bäckerhandwerk sorge dafür, dass die Beschwerden verursachenden Bestandteile im Brot bis zum Backen bereits abgebaut sind, lautet das Fazit der Universität Hohenheim. Großbäckereien würden ihre Teiglinge dagegen meistens schon nach einer Stunde Gehzeit backen.
Vier Stunden muss ein gut verträglicher Teig gehen
Genau dann sind allerdings noch viele FODMAPs im Brot enthalten. Die Forscher haben Hefeteige – die jeweils Vollkornmehl als Basis hatten – nach verschiedenen Backzeiten untersucht: Die höchsten Gehalte an FODMAPs wiesen die Teige bei allen Getreidesorten nach einer Stunde auf. Doch nach viereinhalb Stunden waren selbst im Teig aus Brotweizen nur noch zehn Prozent der blähenden Zucker enthalten.
Die Untersuchungen zeigten also, dass es vor allem die Backtechnik ist, die den Unterschied ausmacht, ob das Brot gut verträglich ist oder nicht. "In der Tat sollten Reizdarm-Patienten auch Gebäcke aus üblichen Backgetreidesorten vertragen, sofern die Gärzeit der Teige mindestens vier Stunden beträgt", erklärt Reinhold Carle vom Hohenheimer Lehrstuhl Technologie und Analytik pflanzlicher Lebensmittel. Doch er weist darauf hin, dass es hinsichtlich der Zusammensetzung der Urgetreide und der konventionellen Weizensorten erhebliche Unterschiede gäbe – insbesondere hinsichtlich des Gehalts an Antioxidantien und des Mikronährstoffs Lutein. Die Urgetreide enthalten mehr davon und gelten deshalb als gesünder.
Ein weiteres Ergebnis zum Gesundheitswert lieferte die aktuelle Analyse: Bei einer langen Teigführung entfalten sich die Aromen besser und das Brot enthält mehr Eisen und Zink. Auch Stoffe wie die sogenannten Phytate werden bei längerer Teigführung abgebaut, die Spurenelemente wie Zink und Eisen ansonsten an sich binden würden.
Backindustrie: Hilfsmittel sollen Teige verbessern
Dass die lange Teigführung heute nur noch bei kleinen Handwerksbäckern eingesetzt wird, will die Backindustrie allerdings so nicht akzeptieren. Armin Juncker, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Großbäckereien, hat die die Ergebnisse der Untersuchung kommentiert und teilt mit, dass Teigbereitung eine Frage der Verfahrenstechnik sei, nicht der Betriebsstätte. Er kritisiert den Vorwurf, dass Großbäcker ihre Teiglinge meistens bereits nach einer Stunde Gehzeit backen würden.
Reinhold Carle erklärt dagegen: "In industriellen Großbäckereien ist für Weizenbrotteige eine Teigruhe von 20 bis 30 Minuten." Die verkürzte Herstellungsdauer biete Zeitersparnis, Arbeitserleichterung und eine bessere Kontrolle des Gärverlaufs. Im Fokus: die gleichbleibende Brot- und Gebäckqualität. Doch dazu sind auch Hilfsmittel nötig: "Zum Ausgleich mangelhafter Verarbeitungseigenschaften des Mehls werden verschiedene Backmittel wie Enzyme, Quellmittel, Emulgatoren und Oxidations- und Reduktionsmittel eingesetzt. Zur Teigverbesserung werden ferner Hydrokolloide wie Pektin und Gelatine, Gluten, Lecithin und Milchpulver eingesetzt", zählt der Wissenschaftler auf.
Die Forscher aus Hohenheim haben die FODMAP-Werte von Hefeteigen untersucht. Für Brote aus Sauerteig wären weitere Untersuchungen nötig. Grundsätzlich plädieren die Lebensmittelwissenschaftler dafür, immer auch die Art und Weise ihrer Zubereitung miteinzubeziehen.
Lange Teigführung: "Optimale Auslastung der Backstube"

In wie vielen Bäckerei wird heute noch eine lange Teigführung eingesetzt?
Kütscher: Angesichts von rund 12.000 Bäckereien in Deutschland mit entsprechend unterschiedlichen Rezepturen können wir dies leider nicht verbindlich sagen. Jedoch sind die Vorteile einer langen Teigführung derart bestechend, dass wir davon ausgehen, dass die meisten Betriebe eine solche praktizieren. Dies nicht nur in Bezug auf die Produktqualität und die Bekömmlichkeit, wie die Uni Hohenheim jetzt bestätigt hat. Hierdurch kann auch die Nachtarbeit reduziert und eine optimale Auslastung der Backstube über den gesamten Tag erreicht werden. Zudem können Bäckereien flexibler auf die Nachfrage eingehen, indem die Teige erst nach und nach gebacken werden statt allesamt in der Nacht. Gerade bei normalen Weizenbrötchen haben sich hierzu schon vor vielen Jahren sogenannte Langzeitführungen etabliert.
Was heißt lange Teigführung ganz konkret? Und hat sie auch Nachteile?
Qualität entsteht durch Quellung, d.h. durch eine möglichst hohe Wasseraufnahme in der Teigführung und später beim Backen. Diese sorgt u.a. für ein besseres Brotaroma und eine längere Frischhaltung. Die hierzu nötige Quellung erreicht man durch sogenannte Vorteige, in denen ein Teil der Zutaten je nach Verfahren zwischen vier und 24 Stunden vor der eigentlichen Teigherstellung zu einem Teig angesetzt wird. Als „Nachteile“ könnte man allenfalls den Zeitaufwand für die Herstellung der Vorteige anrechnen, zudem die notwendigen Lagerkapazitäten und die Tatsache, dass die Brotteige hierdurch entsprechend weicher, sensibler und auch klebriger sind, was eine rein maschinelle Herstellung problematisch gestaltet.
Arbeiten Großbäcker und Handwerksbäcker grundsätzlich unterschiedlich und werden statt der langen Teigführung chemische Mittel zur Beschleunigung der Gehzeit eingesetzt?
Es ist mir wichtig zu betonen, dass die Vorhaltung gegen die Großbäckereien von der Universität Hohenheim kommen, nicht von Seiten des Bäckerhandwerks. Hier muss man zudem differenzieren. Viele Großbäckereien sind gewachsene Handwerksbetriebe – auch was die Herstellung angeht, nur eben mit größeren Knetmaschinen, mehr Bäckern und größeren Öfen. Bei rein industrieller Linienproduktion von TK-Backwaren für den Lebensmittelhandel und die Discounter, wo es darum geht, möglichst große Mengen Backwaren zu möglichst geringen Kosten weitgehend automatisiert zu produzieren, habe ich persönlich gewisse Bedenken, möchte hierzu aber nicht öffentlich spekulieren.