Ausbilder wissen: Es gibt große Unterschiede zwischen der Art, wie sie selbst ihre Arbeit verstehen, und der Herangehensweise der Jugend. Noch größer ist die Differenz, wenn der Azubi aus einem anderen Kulturkreis stammt. Interkulturelle Tipps einer Frau, die es wissen muss.
Barbara Oberst

Man braucht sich nicht in fremden Ländern zu bewegen, um heute als Handwerksunternehmer mit anderen Kulturen in Kontakt zu kommen. Kaum ein Unternehmen, das Mitarbeiter beschäftigt und ausbildet, in dem niemand Migrationshintergrund hätte.
Im Arbeitsalltag kann es durch den verschiedenen Hintergrund der Menschen immer wieder zu schwierigen Situationen kommen. "Schon unter Deutschen ist Kommunikation ja nicht einfach. Es gibt immer wieder Missverständnisse", beobachtet Kundri Böhmer-Bauer. Die Ethnologin ist viel herumgekommen und hat auf ihren Reisen zahlreiche schwierige Situationen erlebt. Heute berät sie als interkulturelle Trainerin Unternehmer, die sich international bewegen oder mit Menschen aus dem Ausland zu tun haben.
"Es gibt nicht 'den einen' Flüchtling"
"Es gibt zwar nicht ’den einen Afghanen’ oder ’den einen Flüchtling’. Aber es hilft, bestimmte Dinge zu wissen, um Verhaltensweisen besser zu verstehen und angemessen zu reagieren“, sagt die weitgereiste Ethnologin. Viele Probleme im Unternehmensalltag beruhen ihrer Erfahrung nach auf Missverständnissen und Fehldeutungen.
Hier ihre Einschätzungen zu Themen, die im Ausbildungsalltag immer wieder auftreten.
Pünktlichkeit
Deutsche Pünktlichkeit ist sprichwörtlich. In den Kulturen vieler Geflüchteter hat sie dagegen keine Bedeutung. Die Argumentationsweise "das macht man so bei uns“ kommt nicht an. Aus ihrer eigenen Kultur ist vielen aber ein harmonisches Funktionieren des sozialen Umfelds wichtig. "Sprechen Sie also immer die Beziehungsebene an, zum Beispiel: ’Wenn Du nicht morgens um 7 Uhr da bist, dann kriegen wir Ärger mit dem Kunden. Deine Kollegen können dann ihre Arbeit nicht machen.’“
Fleiß
Ausbilder berichten von sehr großem Engagement und Einsatz der geflüchteten Azubis. Die Abbrecherquote liegt nach Erfahrung mehrerer Handwerkskammern unter der durchschnittlichen Abbrecherquote. Dass es vielen Geflüchteten trotzdem schwer fällt, fünf Tage die Woche einen 8-Stunden-Tag durchzuhalten, erklärt Böhmer-Bauer mit anderen Strukturen, beispielsweise in Syrien: "Dort vermischen sich Arbeit und Privates stärker, ein Durcharbeiten wie bei uns ist ihnen fremd.“ Sie empfiehlt, Pausenzeiten deutlicher zu machen und Möglichkeiten zur Erholung zu bieten.
Geld und Wert der Ausbildung
Viele Unternehmer erleben, dass Geflüchtete um Vorschüsse bitten. "Sie müssen von dem Geld, was sie verdienen, nicht nur sich, sondern auch ihre Großfamilien in der Heimat finanzieren. Wer aus Ländern südlich der Sahara stammt, steht hier unter enormem Druck“, erläutert Böhmer-Bauer. Immer wieder käme es zu Ausbildungsabbrüchen, weil Helferjobs schnelleres Geld versprechen. "Hier kann es nützen, die Perspektive aufzuzeigen: ’Mit der deutschen Handwerksausbildung kannst Du Dich später selbstständig machen, mehr Geld verdienen und sogar den Meister machen und studieren. Auf der ganzen Welt ist der deutsche Gesellenbrief sehr anerkannt.’“ Diese Argumentation empfehle sie auch, wenn Geflüchtete Berufe gering schätzen, weil sie in ihrer Heimat einen anderen Wert haben, beispielsweise Frauen zugeordnet sind (z.B. Bäcker) oder gar nicht bekannt sind (z.B. Zimmerer).
Schulbildung und Lernverhalten
Die Schulsysteme unterscheiden sich selbst innerhalb der Herkunftsländer stark. Mitunter haben Syrer ein Abitur, bei dem die Mathematikkenntnisse nur auf deutschem Grundschulniveau liegen. Unter www.bq-portal.de finden Unternehmer Steckbriefe zu den wichtigsten Schulsystemen.
"Auch das Lernverhalten ist anders“, warnt Böhmer-Bauer. Es werde in vielen Ländern überwiegend auswendig gelernt. Eigenständiges Denken und Umrechnen müssten Ausbilder und Lehrer intensiv einüben. Ansonsten drohe die Gefahr, dass die Geflüchteten an Prüfungen scheitern, weil sie nicht exakt gleich formuliert sind oder andere Zahlenbeispiele genannt werden als im gelernten Stoff.
Verständnisprobleme und Fehler
Geflüchtete gestehen Verständnisprobleme oder Fehler oft nicht ein. Das liege nicht nur an ihrem Stolz und der Furcht vor negativen Folgen, so Böhmer-Bauer. "Sie wollen auch das Gesicht des Lehrers oder Ausbilders wahren. Wenn sie etwas nicht verstanden haben, dann bedeutet das aus ihrer Sicht, dass der Lehrer schlecht erklärt hat.“
Kritik
In vielen Herkunftsländern werde Kritik nur verhalten geübt. "Die deutsche direkte Kommunikation ist weltweit berüchtigt“, sagt Böhmer-Bauer. Einem Araber genüge es, wenn der Lehrherr sage: "Wie hätte man das noch anders machen können?“, um zu verstehen, dass seine Lösung falsch war. Entsprechend reagieren manche Geflüchtete sehr empfindlich auf direkte oder möglicherweise harsche Kritik. Wenn die Situation einmal festgefahren ist, empfiehlt Böhmer-Bauer, einen Mittler einzuschalten. "Wer in arabischen Ländern auf den anderen als erstes zugeht, gesteht seine Schuld ein", erklärt sie, warum der Schlichter nötig ist. Eine "neutrale" Person, beispielsweise die mitarbeitende Ehefrau oder der Berufsschullehrer, kann von beiden Seiten erfragen, wo das Problem liegt und eine Lösung vorschlagen.
Autorität und Umgang mit Frauen
In vielen Herkunftsländern gelten autoritärere Strukturen als in Deutschland. Die meisten Geflüchteten erkennen die Autorität des Chefs also sehr gut an. "Frauen als Vorgesetzte sind aber ein Sonderfall“, führt Böhmer-Bauer aus. Hier müssten die Frauen gerade bei arabischen oder afghanischen Männern deutlich machen, dass sie in der Hierarchie höher stehen. "Wenn die Frau älter ist als der Mann, greift auch das Argument ’Ich könnte Deine Mutter sein’. Mütter haben eine hohen Status.“
Eine weitere Kehrseite des Hierarchiedenkens: Es gilt als Zeichen von fehlendem Respekt, Verantwortung zu übernehmen oder Eigeninitiative zu zeigen. Hier helfe nur, immer wieder über die andere Sichtweise in Deutschland zu sprechen und Eigeninitiative zu fordern.
Religion
Ein großer Prozentsatz unter den Geflüchteten gehört dem Islam an, wobei viele Moslems pragmatisch mit ihrer Religion umgehen, wie Handwerker berichten: So scheuten sie sich nicht davor, den Metzgerberuf zu erlernen, obwohl sie dort Schweinefleisch verarbeiten. Böhmer-Bauer empfiehlt, offen mit Fragen umzugehen und bei Unsicherheiten auch an eine gemäßigte Moschee heranzutreten: "Der Islam erlaubt durchaus, Gebetszeiten zusammenzufassen, oder einzelne Fastentage im Ramadan nachzuholen. Denn der Gläubige darf durch sein Fasten niemanden gefährden.“
Wichtig sei, Lösungen zu finden, die für alle Mitarbeiter gerecht sind – beispielsweise die Gebetspause des Gläubigen zeitlich an die Zigarettenpause des Teams anzupassen. Das Netzwerk "Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ gibt in seiner neuen Religionsbroschüre Praxistipps für den Unternehmensalltag.