Trotz Corona-Pandemie ging es der Bauwirtschaft lange Zeit gut. Doch nun scheint sich die Lage zu drehen. Handwerksvertreter warnen vor dramatischen Verwerfungen im kommenden Jahr.
Die Lage am Bau ist brenzlig. Der sprunghafte Anstieg der Preise und Engpässe beim Material machen sich bei den Betrieben bemerkbar. Manche Bauherren lassen nur noch den Rohbau fertigstellen, andere stoppen Bauvorhaben komplett. Sie können die höheren Kosten nicht verkraften oder bekommen keine günstigen Anschlusskredite.
Hatte es schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine Lieferengpässe und Preissteigerungen gegeben, so hat sich seit Kriegsbeginn am 24. Februar die Situation dramatisch verschärft. Das trifft nun auch Betriebe im Bau und Ausbau, die in der Corona-Krise ein stabiler Anker für die Konjunktur waren. "Die ersten Wohnungsbauunternehmen warnen bereits vor einem abrupten Ende des Baubooms im kommenden Jahr", sagt Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Handwerkstags (BHT). Peteranderl berichtet, dass in einigen bayerischen Kommunen ein Viertel bis ein Drittel der einst so begehrten Bauplätze zurückgegeben würden – weil sich angehende Bauherren das Haus nicht mehr leisten könnten.
Zerstörtes Stahlwerk
Für viele Baustoffe sind Russland, Belarus und die Ukraine wichtige Lieferländer. Große Mengen an Stahl stammten etwa aus dem zerstörten Asow-Stahlwerk in der Ukraine. Nun kommen Lieferungen aus Spanien, aber zu höheren Preisen. Außerdem stapeln sich die Container mit dringend benötigtem Material in Hamburg und China.
Die Folge: Für die Betriebe hat sich der Aufwand, Materialien zu beziehen, stark erhöht. Und der Aufwand, Baustellen zu managen, ist viel größer geworden, weil die Arbeiten wegen der Lieferengpässe stocken. Schreiner können Küchen nicht fertigstellen, weil Elektrogeräte fehlen. Im Innenausbau sind Dämmstoffe knapp. Zuletzt war es auch schwierig, an Bitumen, Draht und sogar Nägel zu kommen.
Lange Wartezeiten
Die Wartezeiten für einen Handwerker haben sich inzwischen auf elf Wochen im Gesamthandwerk verlängert. In den Bauhauptgewerken und den Ausbaugewerken sind sie mit 17,5 Wochen und 13,5 Wochen auf neue Rekordstände gestiegen.
Für viele Betriebe sind neue Aufträge zu kaum mehr kalkulierbaren Risiken geworden. Im Klartext: Sie verdienen nichts mehr daran oder zahlen sogar drauf. "Weil niemand weiß, was Material und Energie in ein paar Monaten kosten werden, ist aktuell eine Angebotserstellung nahezu unmöglich", sagt der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke. Und selbst wenn die Betriebe die Preise erhöhen, so ist es ihnen unmöglich, ihre gesamten Kostensteigerungen bei der Materialbeschaffung auszugleichen. "Nicht selten werden Aufträge inzwischen zum Minusgeschäft", warnt Schwannecke.
Für den Baubereich hat der Bund die Nutzung von Preisgleitklauseln vorgegeben, wenn Baustoffe genutzt werden sollen, die maßgeblich aus Russland, Belarus oder der Ukraine kommen. Zugleich räumt der Bund auch die Möglichkeit ein, bestehende Bauverträge gegebenenfalls an neue Verhältnisse anzupassen. Allerdings folgen nicht alle Länder und Kommunen dem Vorbild des Bundes.
Noch nie fehlte so viel Material
Die Materialknappheit auf deutschen Baustellen hat ihren Höchststand seit 1991 erreicht. Das geht aus einer Umfrage des Ifo-Instituts hervor. "Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die Lieferprobleme bei Baustoffen drastisch verschärft. Die Materialpreise legen infolge der Knappheit und höheren Energiekosten weiter zu. Aufgrund der steigenden Baukosten und der höheren Zinsen kommt es nun besonders im Wohnungsbau vermehrt zu Auftragsstornierungen", sagte Ifo-Forscher Felix Leiss. Im Hochbau lag der Anteil der Unternehmen, die Knappheit meldeten, im Mai bei 56,6 Prozent, nach 54,2 Prozent im Vormonat. Im Tiefbau wurden 44,8 Prozent ermittelt.
Die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte lagen im Mai 2022 um 33,6 Prozent über dem Niveau von Mai 2021. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, war dies der höchste Anstieg gegenüber einem Vorjahresmonat seit Beginn der Erhebung 1949. Neben Energie, Diesel und Stahl, die um 87,1 Prozent, 53,2 Prozent bzw. 72,1 Prozent zugelegt haben, ist vor allem Asphalt vom Anstieg betroffen.
Abbau von Bürokratie
Handwerksvertreter plädieren dafür, Verbrauchsteuern wie Strom- und Energiesteuern auf die europäisch zulässigen Mindestsätze zu senken. Auch die neue CO2-Bepreisung sollte temporär ausgesetzt werden, fordert Schwannecke. BHT-Präsident Peteranderl spricht sich zudem für einen Bürokratieabbau aus. Er mahnt schnellere Genehmigungsverfahren an und fordert den Abbau bürokratischer Hemmnisse. "Es geht nicht immer nur um Geld." Womöglich sei nun die Zeit gekommen, gewisse Normungen und Vorschriften zu überdenken, so Peteranderl. Der Bauunternehmer weiß, wovon er spricht: Früher waren die Wandstärken im Hausbau zum Beispiel geringer. Vor 40 Jahren wurden Reihenhäuser mit der Hälfte des heutigen Stahlanteils gebaut. "Und die stehen auch noch."