Interview "Zur Kraft gehört auch Schwäche"

Herausforderungen wie der Fachkräftemangel oder die Bürokratie, aber auch der eigene Perfektionismus – all das stresst Handwerkschefs und nimmt ihnen mitunter den ganzen Spaß an der Arbeit. Leadership-Experte Johannes Schmeer kennt das Phänomen kraftloser, angestrengter Führungskräfte. Im Interview verrät der Buchautor, wie Chefs ihre Freude am Unternehmertum wiederfinden und warum es für sie auch mal okay ist, "schwach" zu sein.

Illustration eines gestressten Chefs.
Handwerkschefs sind in ihrem Berufsalltag zahlreichen Krafträubern ausgesetzt. Der richtige Umgang damit hilft dabei, den Spaß am Unternehmertum nicht zu verlieren. - © Valery - stock.adobe.com

Herr Schmeer, in Ihrem neuen Buch beschreiben Sie das immer häufiger auftretende Phänomen kraftloser, angestrengter Führungskräfte, die den Spaß am Unternehmertum verloren haben. Was genau ist Ihre Beobachtung?

Johannes Schmeer: Meine Erfahrung aus der Zusammenarbeit mit vielen Unternehmen ist der Anspruch, immer mit voller Kraft unterwegs sein zu müssen. Es geht stetig darum, Leistung zu erbringen, immer volle Power zu geben und das, obwohl der Akku fast leer ist. Wenn aber keine Kraft mehr vorhanden ist, man aber trotzdem Ergebnisse liefern will, landet man in der Anstrengung. Anstrengung ist für mich unnötige Kraftaufbringung. Sie führt dazu, dass sich Führungskräfte dauerhaft "platt" und erschöpft fühlen. Denn wer sich trotz Erschöpfung immer weiter anstrengt, erschöpft sich immer mehr und muss sich noch mehr anstrengen, wenn er weiterhin Leistung liefern will. Ein typischer Teufelskreis. Man kann sich das am Beispiel eines Smartphones gut vorstellen: Wenn der Akku nur auf zehn Prozent geladen ist, wie will man da gleichzeitig Surfen, Telefonieren und Filme herunterladen? Das funktioniert auf Dauer nicht.

Woher kommt der Anspruch, ständig hundert Prozent geben zu müssen?

Viele Führungskräfte haben einen inneren Antreiber in sich der lautet "Streng Dich an!". Antreiber sind meist unbewusste Aufforderungen, die wir in uns spazieren tragen. Sie entstehen – wie so vieles, was uns als erwachsene Menschen und Funktionsträger im Unternehmen dann Stress bereitet –, wenn wir noch als kleines Kind durch die Welt laufen. Andere Antreiber, die ich von vielen meiner Kunden kenne, sind Glaubensätze wie "Es darf nicht leicht sein" oder "Es muss mich immer etwas kosten". Solche Antreiber haben zwar auch ihre Sonnenseiten – wer schätzt zum Beispiel nicht eine Person, die sich in besonders hohem Maße anstrengt und engagiert? Aber auf Dauer belasten sie, erschöpfen und strengen an.

Daneben gibt es Krafträuber von außen. Die wachsende Bürokratie oder der Fachkräftemangel sind typische Beispiele aus dem Handwerk. Aktuell ist es aber sicherlich auch die Sorge, wo die Zukunft hingeht. Das Handwerk hatte in den letzten Jahren eine Wahnsinnskonjunktur. Aufgrund der vielen Krisen scheint es aber so, dass diese Zeiten erst einmal vorbei sind. Es ist also kein Wunder, dass das vielen Selbstständigen Angst macht.

"Es geht stetig darum, Leistung zu erbringen, immer volle Power zu geben und das, obwohl der Akku fast leer ist."

Wie finden Chefs wieder zu ihrer Kraft zurück – und damit zu ihrem Spaß am Unternehmertum?

Wichtig ist, dass die Menschen wieder lernen, kraftvoll zu arbeiten, anstatt angestrengt. Dass sie wieder richtig Spaß haben an dem, was sie tun, und das ist viel mehr, als nur "motiviert" zu sein. Und schließlich braucht es neuen Einklang, sowohl im Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen als auch mit sich selbst. Dieses lebendige Miteinander bildet dann genau den Kraftstoff und den Motor, den es braucht, um der unternehmerischen Verantwortung gerecht werden zu können.

Wie kann das ganz praktisch aussehen?

Erst einmal sollten Führungskräfte auf das Augenscheinliche schauen. Wo sage ich als Handwerker zum Beispiel: Das hat mir schon mal mehr Spaß gemacht? Das können genau solche Aufgaben sein, die mit dem Fachkräftemangel oder Bürokratie zusammenhängen. Zunächst: Das sind alles Dinge, die im Außen passieren. Selbstverständlich sind sie unternehmerfeindlich, aber man kann sie nun mal nicht ändern. Das Entscheidende ist also die Frage: Wie gehe ich als Chef damit um? Wie packe ich das Problem an? Frust und Dampfablassen ist definitiv eine gute Sache, aber damit sollte spätestens nach einer Viertelstunde Schluss sein. Viele Menschen hingegen entfachen das Feuer des Frustes neu, in dem sie immer wieder zu Schimpfen anfangen. Sie erkennen nicht, dass sie sich dadurch ihren Spaß am Unternehmertum und eben auch ihre Kraft nehmen. Stattdessen sollten Chefs ganz selbstbewusst sagen: "Diese Kuh krieg ich auch noch vom Eis."

Wie finden Unternehmer Kraft, diese anstrengenden Aufgaben trotzdem umzusetzen? Oder müssen sie das etwa gar nicht?

Portrait Johnnes Schmeer
Buchautor Johannes Schmeer ist gelernter Banker und Diplom-Kaufmann. Seit bald 30 Jahren ist der Münchener als selbständiger Trainer, Berater und Coach unterwegs. - © Paul Königer

Zunächst ist es unglaublich wichtig, die eigene Motivation zu kennen. Drei Quellen stehen uns Menschen zur Verfügung, wie wir uns motivieren können. Die erste Quelle bezeichne ich als Feuermotivation. Das sind die Aufgaben, die wir lieben, die unsere ganze Leidenschaft sind. Bei einem Schreiner kann das zum Beispiel die Arbeit mit Holz an der Säge sein. Die zweite Quelle nenne ich Kerzenmotivation. Da brennt noch ein Feuer, aber nur ein kleines. Das bedeutet, es gibt an der Aufgabe einen Teilaspekt, der mir gefällt. Und die dritte Quelle der Motivation ist die Muskelmotivation. Das ist die Entscheidung, etwas aus reiner Selbstdisziplin zu tun. Man findet keine schönen Details an dieser Aufgabe, aber entscheidet sich aus der Verantwortung heraus, sie trotzdem zu machen.

Das Spannende bei der Feuer- und Kerzenmotivation: Diese Motivationen kommen aus dem Bauch heraus. Das sind Aufgaben, die man gefühlt 24 Stunden am Tag machen kann, weil hier Energie eher zufließt. Bei der Muskelmotivation kommt die Entscheidung aus dem Kopf. Ich kann diese Motivation wie einen Muskel trainieren, aber wenn ich eine Aufgabe zwei, drei Stunden gemacht habe, erlahme ich und brauche eine Pause.

Wenn ich mit Führungskräften arbeite, frage ich sie immer: "Wie viel Prozent Ihrer Jobs verbringen Sie mit Feueraufgaben, wie viel mit Kerzen- und wie viel mit Muskelaufgaben?" Im Idealfall schaut es so aus: Viel Feuer, mittel viel Kerze und ganz wenig Muskel. Die Menschen, bei denen es genau andersherum ist, sind meiner Erfahrung nach besonders gefrustet und erschöpft. Um klein anzufangen, sollten sich Führungskräfte ihre Aufgaben zunächst dahingehend anschauen, ob es vielleicht einen Teilaspekt gibt, der ihnen Spaß macht. Stichwort: Kerzenmotivation. Und dann geht es selbstverständlich darum, Muskelaufgaben an Mitarbeiter oder Externe zu delegieren.

Vielen Chefs fällt es allerdings schwer, zu delegieren. Woran liegt das?

Diese Führungskräfte sind meist in ihren eigenen Denkschablonen gefangen. Sie glauben: "Wenn ich es nicht selbst mache, ist es nicht richtig." Oder: "Bis ich es dem Mitarbeiter erklärt habe, habe ich es zehnmal selbst erledigt." Kurzfristig stimmt das auch. Aber ich sage immer, das Delegieren ist wie eine Investition. Kauft ein Unternehmer zum Beispiel eine Maschine, kann die Millionen kosten. Sie produziert dann vielleicht ein Werkstück, das für lediglich 3,50 Euro verkauft werden kann. Warum aber gibt der Unternehmer das Geld trotzdem aus? Weil er weiß, mit der Zeit rentiert sich die Anschaffung.

Und so ist das auch beim Delegieren. Am Anfang dauert es vielleicht einige Male, bis der Mitarbeiter die Aufgabe richtig ausführt. Dass Fehler gemacht werden ist völlig normal. Dann muss der Chef Feedback geben, darüber reden und nächstes Mal wird es besser laufen. Irgendwann dann dauert die Delegation nur noch Sekunden. Und der Mitarbeiter liefert das richtige Werkstück.

Wie können Chefs mit dem Delegieren anfangen?

Beim richtigen Delegieren ist der erste Schritt, sich keine losen Vorsätze zu machen wie "In Zukunft delegiere ich mehr." Sondern ganz konkret zu sagen: "Ich habe ein Team von 20 Leuten. Jede Woche delegiere ich zwei Aufgaben an zwei Mitarbeiter, an die ich bisher noch nicht delegiert habe." Das können, dürfen und sollen auch Kleinigkeiten sein. Aber so fangen Führungskräfte langsam damit an und verschaffen sich erste Erfolgserlebnisse.

"Ich finde es wichtig, dass der Chef des Handwerksbetriebes seine Kraft vorlebt und das heißt auch: seine Schwächephasen."

Zum Schluss möchte ich nochmal auf einen anderen Aspekt der Kraft zurückkommen: Sie schreiben in Ihrem Buch "Zur Kraft gehört auch Schwäche". Was genau meinen Sie damit?

Der Großteil der Führungskräfte, mit denen ich arbeite, sind Männer. Bei vielen von ihnen gilt nach wie vor das klassisch archaische Denkschema: "Ich als Mann – zumal als Geschäftsführer – bin der Starke. Ich verstehe mich als Problemlöser, nicht als Probleminhaber. Und trösten lassen muss ich mich schon gar nicht." Dieses Selbstbild tut aber nicht gut.

Ich erkläre es an einem Beispiel: Einen Sonnenaufgang können wir nur erleben, weil zwölf Stunden vorher die Sonne untergangen ist. Das bedeutet: Glück kennen wir überhaupt nur deswegen, weil wir auch Frust kennen. Die meisten denken bei Kraft: "Ja, die will ich haben." Und bei Schwäche: "Ganz schrecklich." Meine Überzeugung aber ist: Kraft und Schwäche sind zwei Seiten derselben Medaille. Zwischen diesen Polaritäten findet unser ganzes Leben und Menschsein statt.

Aber als ich mein Buch geschrieben habe, habe ich mir gedacht, da fehlt noch etwas. Und das bezeichne ich als Ruhekraft. Das ist der Zustand, bei dem man merkt: "Ja, ich habe Phasen, da bin ich kraftvoller, ich habe aber auch Phasen, da bin ich schwächer. Letzten Endes aber es kommt meine Kraft aus einer inneren Ruhe heraus." Ich glaube, diese Ruhekraft in uns zu finden, damit tun wir uns alle noch schwer. 

Vermittelt "Schwächezeigen" nicht ein ganz falsches Bild an die Mitarbeiter?

Ganz im Gegenteil. Ich finde es wichtig, dass der Chef des Handwerksbetriebes seine Kraft vorlebt und das heißt auch: seine Schwächephasen. Ich bin der Meinung, dass ein Mitarbeiter immer spürt, ob es dem Chef wirklich gut oder schlecht geht. Erzählt der Chef seinen Leuten etwas von Kraft, Motivation und Herausforderung, empfindet es in diesem Augenblick aber nicht, kriegen das seine Mitarbeiter ganz sicher mit. Er ist eben nicht authentisch.

Ich habe es einmal in einem meiner Führungsseminare erlebt: Dort hat der Vorstand dem Führungsteam offenbart, dass er wegen der Arbeit zurzeit schlecht schlafen kann, erschöpft ist und kurz vorm Losheulen steht. Daraufhin bekam er die Rückmeldung: "Das, was Sie da gesagt haben, hat mir jetzt gutgetan. Denn mir geht es genauso. Und ich dachte immer, Sie würden das alles locker hinbekommen." Der Vorstand hat sein Schwachsein also offen ausgesprochen. Und dieses Annehmen hat letztlich nicht nur ihm eine riesige Erleichterung gebracht und neue Kraft gegeben, sondern auch den restlichen Leuten im Raum.

© Springer Gabler Verlag

Über das Buch: Verantworten, Entscheiden, Umsetzen. Diese drei Punkte sollten in Unternehmen eine Selbstverständlichkeit sein, davon ist Johannes Schmeer überzeugt. Doch genau das sind sie oftmals nicht. In seinem neuen Buch "Führungskräfte mit unternehmerischer Power" zeigt der Leadership-Experte, woran es liegt, wenn ein Führungsteam (und damit das gesamte Unternehmen) unter seinen Möglichkeiten bleibt. Mit dem richtigen Ansatz sowie 20 Praxisbeispielen und 30 Methoden zur praktischen Umsetzung, motiviert das Buch Führungsteams zu lebendigem unternehmerischem Denken und Handeln.

>> Dieses Buch ist auch im Holzmann Medien Shop erhältlich.

Führungskräfte mit unternehmerischer Power. Springer Gabler Verlag; 34,99 Euro; ISBN: 978-3-658-38622-1