Was treibt den Mann an der Spitze des Kfz-Gewerbes an? Im DHZ-Interview spricht Arne Joswig über sein Faible für Technik, die intensive Arbeit als Verbandspräsident und über das, was jetzt nötig wäre, um den Verkauf von Elektroautos anzukurbeln. Zudem verrät er, was ihn nach so langer Zeit im Ehrenamt noch staunen lässt.
Herr Joswig, Sie sind ja eigentlich kein gelernter Kfz-Techniker, haben aber mit ihrem Bruder ein Autohaus gekauft? Warum sind Sie ausgerechnet in diese Branche eingestiegen?
Arne Joswig: Mein Vater ist Techniker und Ingenieur. Er hätte es gerne gehabt, dass einer seiner vier Söhne in seine Fußstapfen tritt, aber wir haben alle BWL studiert. Trotzdem bin ich sehr praktisch veranlagt, auch weil wir immer eine Werkstatt zu Hause hatten. Zusätzlich hat mich das Thema Auto immer extrem fasziniert – zu jeder Zeit. Vor meiner Selbstständigkeit war ich bei Mercedes als Marketingleiter in einer Vertriebsniederlassung tätig und habe dort das Handelsgeschäft gelernt. Anfang der 90er bekamen einer meiner Brüder und ich die Chance, über ein Buy-out einen Autohandel zu übernehmen. Wir haben das Unternehmen 28 Jahre lang geführt und immer wieder erweitert und umgebaut. Das war eine ziemlich turbulente Zeit. Zuletzt haben wir auf die Konsolidierungstendenzen in unserer Branche reagiert und unser Unternehmen in eine größere Autohandelsgruppe eingebracht. Mir persönlich hat das den Freiraum eröffnet, beim ZDK die Arbeit als Präsident zu übernehmen.
War Ihnen die Schreibtischarbeit als BWLer dann letztlich doch lieber?
Wir hatten in der Firma eine klare Aufgabenteilung. Unter anderem war ich für unsere Werkstätten zuständig. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich technische Dinge einschätzen kann. Wenn mir zum Beispiel jemand erzählt, dass etwas nicht geht, bin ich mir nicht zu schade, im Anzug in die Ölgrube zu steigen und ihm das Gegenteil zu beweisen. In unseren Filialen führte mich der erste Gang immer in die Werkstatt, wo ich unter jede Motorhaube geguckt habe.
Schauen Sie ohne diesen Stallgeruch vielleicht neutraler auf viele Themen, so dass Sie manches realistischer einordnen können?
Das ist eine Frage der Rollenbeschreibung. Ich glaube eher, dass ich mich durch diese Nähe gut in meine Leute versetzen kann und in den Themen verwurzelt bin. Ich verstehe zum Beispiel gut, was besonders unsere freien Werkstätten im Moment durchmachen. Als ZDK-Präsident muss ich das Gesamtbild überblicken und sehen, wie der Rahmen für alle Mitgliedsbetriebe ist. Mein Job ist es, die Leitplanken zu organisieren, dass es für alle funktioniert.
"Ich habe bisher allein rund 50 Politikertermine selbst wahrgenommen und bis zum Bundeskanzleramt dafür geworben, dass man uns als Branche anders wahrnimmt."
Werden Sie in Ihrer Funktion als Präsident kritisiert, weil Sie kein Unternehmer mehr sind?
Die Frage kam vor der Wahl auf. Das Thema hat sich relativ schnell erledigt, weil man sieht, dass ich im Prinzip jeden Tag Fulltime unterwegs bin. Das würde nicht funktionieren, wenn ich nebenbei ein Unternehmen leiten müsste. Was wir in den vergangenen sechs Monaten bewegt haben, ist enorm.
Was heißt bewegt?
Wir haben ganz viele Dinge im Verbandsleben angepackt. Das fängt bei der Organisationsstruktur an, die wir im Moment analysieren. Wir haben unser #strongertogether-Projekt aufgesetzt, wo wir bis ins Kleinste überlegen, wie aus so einem Verband ein Dienstleistungsunternehmen für die Mitglieder wird. Wir haben uns politisch komplett neu aufgestellt, ein Büro in Brüssel eröffnet und in Berlin eine neue Hauptstadtrepräsentanz am Gendarmenmarkt bezogen. Ich habe bisher allein rund 50 Politikertermine selbst wahrgenommen und bis zum Bundeskanzleramt dafür geworben, dass man uns als Branche anders wahrnimmt.
Inwiefern anders?
Früher waren wir in der Wahrnehmung vieler Politikerinnen und Politiker die Vertriebsspitze der Automobilindustrie. Inzwischen hat man verstanden, dass wir eine Organisation mit rund 40.000 meist mittelständischen Unternehmen sind, die 480.000 Menschen beschäftigen und 200 Milliarden Euro umsetzen. Unsere kleinsten Betriebe haben einen oder zwei Mitarbeiter, die großen haben mehrere Tausend mit Milliardenumsätzen, und dazwischen ist bei uns alles vertreten.
Viele Verbandspräsidenten versuchen, ganz stark auch in die Organisation hinein zu kommunizieren, also sich auch an die Betriebe zu richten. Wie wichtig ist Ihnen das?
Wir haben 235 Innungen, die in 14 Landesverbänden organisiert sind. Hinzu kommen 35 Fabrikatsverbände. Und die alle müssen wir erreichen. Unsere Kommunikation versuchen wir entsprechend zu optimieren. Wir arbeiten daran, wie wir das noch schneller und direkter hinbekommen. Wir haben unsere Webauftritte verändert, ich kommuniziere auf Linkedin direkt mit den größten deutschen Autohäusern. Wenn ich dort etwas poste, ist das direkt bei den Ansprechpartnern. Das funktioniert gut.
"Wir sind schon lange integrativ, von daher ist es wichtig, dass man
ein Zeichen setzt und einfach auch mal für etwas geradesteht."
Die Zahl der Innungsmitgliedschaften geht ja zurück. Erreichen Sie da die freien Werkstätten überhaupt noch?
In unseren Innungen spielen die freien Werkstätten eine wichtige Rolle, sie sind im Verband mit knapp über 22.000 Betrieben die stärkste Gruppe im Vergleich zu den rund 14.100 fabrikatsgebundenen Autohäusern und Werkstätten. Hier haben wir größere Herausforderungen, vor allem dann, wenn es um größere Handelsgruppen geht. Dort spielen die einzelnen Standorte eine andere Rolle als ein inhabergeführter Kfz-Betrieb vor Ort. Da geht der Meister dann auch zur Innungsversammlung. Unsere Verbandsorganisation bietet viele exklusive Leistungen für die Betriebe, davon gilt es die zu überzeugen, die noch nicht dabei sind.
Der Verband hat sich kürzlich explizit gegen Rassismus und Extremismus positioniert. Warum war Ihnen das so wichtig?
Nicht nur mir persönlich ist das wichtig. In unseren Werkstätten ist es ganz normal, dass dort die unterschiedlichsten Nationalitäten arbeiten. Das ist gelebte Praxis. Mit unseren fast 40.000 Betrieben sind wir Teil der Gesellschaft und ein Spiegelbild dessen, was in unserer Gesellschaft stattfindet. Betriebe und Mitarbeiter sind vielfältig und wir wollen auch, dass das so bleibt. Welche Hautfarbe, religiöse oder sexuelle Orientierung Menschen haben, spielen für uns keine Rolle. Politische Bestrebungen der Ausgrenzung sind deshalb überhaupt nicht zu tolerieren. Genauso haben wir das auch im Verband empfunden. Es geht um ein respektvolles Miteinander. Wir sind schon lange integrativ, von daher ist es wichtig, dass man ein Zeichen setzt und einfach auch mal für etwas geradesteht. Diese Erklärung haben wir in der Verbandsorganisation abgestimmt, weil ich der Meinung bin, dass wir das gemeinsam tragen sollten.
Gibt es bei sowas auch Widerstand? Mit zuletzt guten Umfrageergebnissen tritt die politische Rechte schließlich selbstbewusster auf.
Wie schon gesagt: Wir sind ein Spiegel der Gesellschaft. Es wäre blauäugig zu glauben, dass es unter den rund 480.000 Mitarbeitenden nicht auch Andersdenkende gibt. Das muss man aushalten, aber man muss den Menschen klar sagen, dass wir uns deutlich gegen extremistische und rassistische Positionen stellen. Ich kann Ihnen sagen, die große Mehrheit sieht das so, wie es in unserer Erklärung steht.
"Was wir von der Politik einfordern, sind verlässliche Rahmenbedingungen, um den Hochlauf
der E-Mobilität weiter voranzutreiben."
Schauen wir mal direkt ein bisschen in die Branche selbst. Was sind die größten Baustellen?
In der Politik sind es aus meiner Sicht vier Themen: Wir werden erstens intensiv darüber sprechen müssen, wie wir den Hochlauf der Elektromobilität langfristig stabilisieren können. Da muss viel stärker ganzheitlich gedacht werden, denn Elektromobilität funktioniert nur als Gesamtsystem – von der Erzeugung des Ökostroms über die Ladeinfrastruktur bis zu den Servicekonzepten. Zweitens gibt es immer noch kein Gesetz zum Zugang zu Fahrzeugdaten. Deswegen schauen wir auch intensiv auf die Europawahl – von der viel abhängen wird. Drittens müssen wir uns intensiver um das Thema Fachkräfte kümmern – das bewegt die Betriebe intensiv und hier können wir unterstützen. Und nicht zuletzt ist das Thema Bürokratiebelastung zu nennen: Das stand ja jüngst auch beim Gespräch der Spitzenverbände der Wirtschaft und des Handwerks mit dem Bundeskanzler ganz oben auf der Agenda. Wenn laut einer aktuellen Studie 58 Prozent der Unternehmen wegen hoher bürokratischer Belastung weniger in Deutschland investieren wollen, ist das ein Alarmsignal. Wir brauchen Entlastung bei wachsenden bürokratischen Auflagen, wie zum Beispiel beim Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetz oder bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung für kleine und mittelständische Unternehmen.
Die Verkäufe von E-Fahrzeugen gehen steil bergab. Sie haben einen klaren Plan gefordert. Wie sieht der Ihrer Ansicht nach aus?
Wir denken, dass E-Mobilität nur ein Teil der Lösung ist. Eine weitere Möglichkeit sind E-Fuels. Wenn diese in großen Mengen produziert werden, sind sie eine gute Alternative für den großen Verbrennerbestand, der damit einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten könnte. Da diese aber derzeit nicht zur Verfügung stehen, ist E-Mobilität das Mittel der Wahl, um schnell voranzukommen. Das heißt aber nicht, dass man das andere Thema nicht weiterentwickeln sollte. E-Fuels hätten viele Vorteile: Jedes Auto eignet sich. Die Infrastruktur ist vorhanden und sie sind auch für Lkw, Schiffe und Flugzeuge in abgewandelter Form nutzbar. Deshalb fordern wir Technologieoffenheit, um die Technik zu nutzen, die sich durchsetzt.
Und die E-Mobilität?
Der abrupte Stopp des Umweltbonus hat viel Vertrauen zerstört und die potenziellen E-Auto-Kunden verunsichert. Was wir von der Politik einfordern, sind verlässliche Rahmenbedingungen, um den Hochlauf der E-Mobilität weiter voranzutreiben, gerade auch bei den Steuern. Wer über die Kosten eines E-Autos berät, sollte klare Aussagen treffen können. Die Ladeinfrastruktur ist für die Kunden ein zentrales Thema. Jede Kürzung wäre hier fatal. Zum Elektroauto gehört für viele Kunden auch die PV-Anlage auf dem Dach und der Speicher in der Garage. Gezielte Anreize können hier einen Trend setzen. Wichtig ist aber auch: Kein Spielen an der Steuerschraube. Wer Autos mit Verbrennungsmotor verteuert, hilft der Elektromobilität nicht, sondern frustriert die Menschen.
Kann das Kfz-Gewerbe selbst mehr tun, dass die Leute E-Fahrzeuge kaufen?
Die Hersteller müssen sehr schnell in allen Fahrzeugsegmenten preisgünstige Modelle anbieten. Laut der DAT kostet ein E-Auto im Durchschnitt rund 50.000 Euro. Wir benötigen dringend Fahrzeuge, die 20.000 bis 30.000 Euro kosten. Solche Modelle werden auch kommen. Bis dahin lässt sich die Zeit zum Beispiel durch günstige Leasingraten für die vorhandene Modellpalette überbrücken. Damit würden gerade deutsche Hersteller im Moment ihre Modelllücken schließen. Aber auch ohne unsere Betriebe lässt sich der Hochlauf der E-Mobilität nicht vorantreiben. Die Beratungsleistung für ein E-Fahrzeug liegt um rund 40 Prozent höher als bei einem Benziner oder Diesel. Und auch bei vielen Themen rund um das Auto, wie etwa Quote zum Treibhausgashandel, Ladeinfrastruktur, Wallbox-Installation, Photovoltaik etc., fragen die Kunden zuerst bei uns nach. Da helfen wir gerne, aber es vergütet uns auch niemand.
Der Chef von Bosch, Stefan Hartung, rechnet damit, dass das Verbrennerverbot in der EU deutlich länger brauchen wird. Carlos Tavares, Vorstandsvorsitzender von Stellantis, steht hinter dem angestrebten Ziel 2035. Wie ist Ihre Position dazu?
Der europäische Konsens ist weiterhin: Verbrennerverbot ab 2035. Das ist gesetzt. Und wenn wir es tatsächlich ernst meinen mit dem Klimaschutz, dann sollten wir alles dafür tun, um die Klimaziele zu erreichen. Da gäbe es aber neben der E-Mobilität auch noch andere Möglichkeiten, wie Wasserstoff. Brennstoffzelle, Biokraftstoffe oder E-Fuels. Am Ende entscheidet der Kunde, welchen Weg er gehen kann und will.
"Es muss darum gehen, ein intelligent vernetztes Miteinander aller Verkehrsträger zu organisieren. Dabei spielt das Auto eine unvermindert wichtige Rolle."
Thema Ausbildung: Die Ausbildungszahlen sind im vergangenen Jahr in Ihrer Branche wieder gestiegen. Warum werben Sie dennoch noch so intensiv um Nachwuchs? Die jungen Leute kommen doch von selbst.
Auf den ersten Blick stimmt das. Aber wenn Sie auf die Homepage irgendeines Autohauses gehen, dann werden Sie bei jedem Betrieb Stellenangebote finden. Das zeigt ja, dass wir zwar einen ordentlichen Ausbildungsstand haben, aber dass wir noch mehr Leute brauchen. Auszubildende sollten nach Möglichkeit im Anschluss bei den Betrieben bleiben und nicht in akademische Weiterbildung abwandern. Aber da müssen wir uns auch selbst ehrlich machen. Ich war kürzlich auf einer Veranstaltung mit über 1.000 Unternehmern bei einer Handelskammer hier in Norddeutschland. Der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen hat scherzhaft gefragt, wer denn von den Anwesenden seine Kinder überredet hat, ins Handwerk zu gehen. "Oder habt ihr sie ins Studium geklagt?" Dem ganzen Saal wurde wieder bewusst, dass wir ein gesellschaftliches Bewusstsein brauchen, das die Wertigkeit von handwerklichen Berufen unterstreicht. Wer stolz auf seinen Beruf ist, bleibt ihm eher treu. Idealerweise bilden wir diesen nachwachsenden Rohstoff eben selber aus und pflegen ihn entsprechend, damit wir möglichst lange etwas davon haben.
Wir reden ja neben der Frage, mit welcher Technik ein Auto fährt, nicht erst seit heute auch über eine Verkehrswende. Was können die Betriebe beitragen, damit eine Verkehrswende gelingt? Oder sind Sie da nur Zuschauer?
Verkehrswende ist ein viel strapazierter Begriff. Was bedeutet das konkret? Der Pkw-Bestand zum 1.1.2024 lag bei rund 49,1 Millionen, das sind plus 0,6 Prozent mehr als vor einem Jahr. Rund 88,3 Prozent aller Pkw waren auf private Halterinnen und Halter zugelassen. Das zeigt: Der Wunsch nach individueller Mobilität ist ungebrochen. Es bringt nichts, Autos aus den Städten auszusperren. Das gilt insbesondere auch für das Handwerk und die Logistikdienstleister. Die brauchen Platz, um ihre Fahrzeuge in der Nähe ihrer Einsatzorte zu parken. Es muss darum gehen, ein intelligent vernetztes Miteinander aller Verkehrsträger zu organisieren. Dabei spielt das Auto eine unvermindert wichtige Rolle.
Nach rund einem dreiviertel Jahr als Präsident – gibt es etwas, was Sie überrascht hat?
Eigentlich nicht, weil ich schon in sämtlichen Organisationseinheiten mitgearbeitet habe. Im ZDK-Vorstand war ich bereits zwei Wahlperioden und weiß, wie das ganze System tickt. Was mich erstaunt hat, ist, wie wenig Detailwissen in Brüssel und auch teilweise in Berlin bei unseren politischen Entscheidern anzutreffen ist. Deshalb ist es nötig, denen entsprechende Konzepte vorzulegen, denn von allein kommt da nichts. Das zeigt mir, dass wir uns noch mehr politisch einbringen und engagieren müssen.
Zur Person
Der 60-jährige Diplom-Betriebswirt Arne Joswig aus Neumünster (Schleswig-Holstein) ist seit Juni 2023 Präsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK). Davor war er 35 Jahre lang im Automobilhandel tätig und hat in dieser Zeit auch die Herstellerseite kennengelernt. Als Kfz-Unternehmer führte er von 1995 bis 2023 gemeinsam mit seinem Bruder die Autohaus-Gruppe Lensch & Bleck mit fünf Standorten in Schleswig-Holstein und Hamburg. Joswig ist seit 2009 Präsidiumsmitglied des Kfz-Landesverbandes Schleswig-Holstein und seit Juni 2014 Mitglied im ZDK-Vorstand.