Entlastungen nicht zielgenau Wirtschaftsweise schlagen Energie-Soli vor

Der Sachverständigenrat geht für 2023 von einem wirtschaftlichen Abschwung aus. Kritik äußern die Wirtschaftsweisen an den Entlastungspaketen der Bundesregierung – diese seien nicht zielgenau. Sie schlagen deshalb einen befristeten Energie-Solidaritätszuschlag oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor. Bei Wirtschaftsverbänden löst das scharfe Kritik aus.

Entlastungen wie Tankrabatt, 9-Euro-Ticket oder Energiepreispauschalen hätten Haushalte begünstigt, welche die Preise eigentlich schultern könnten, heißt es im Gutachten der Wirtschaftsweisen. - © Kate - stock.adobe.com

Die Wirtschaftsweisen erwarten im kommenden Jahr vor allem wegen der Energiekrise einen leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland. Der Sachverständigenrat rechnet in seinem am Mittwoch vorgelegten Jahresgutachten damit, dass das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent schrumpft. Die Ökonomen sind damit etwas optimistischer als die Bundesregierung. Für 2022 rechnen die Wirtschaftsweisen mit einem Wachstum um 1,7 Prozent.

Eine spürbare Entlastung bei den Verbraucherpreisen erwartet der Rat vorerst nicht: Laut Prognose liegt die Inflationsrate bei acht Prozent in diesem Jahr und 7,4 Prozent im kommenden Jahr.

Die Energiekrise und die Inflation belasteten die Haushalte und die Unternehmen schwer, schrieb der Sachverständigenrat, der die Bundesregierung berät. Seit Mitte des Jahres führten die stark gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise zu immer stärkeren Kaufkraftverlusten und dämpften den privaten Konsum. Gleichzeitig belaste die Energiekrise die Produktion, insbesondere in den energieintensiven Industriezweigen. Die globale Abkühlung schwäche die Exportnachfrage.

Energie-Soli oder höherer Spitzensteuersatz

Um die öffentlichen Haushalte zu entlasten, sollten aus Sicht der Wirtschaftsweisen einkommensstarke Haushalte stärker an der Finanzierung von Entlastungen in der Energiekrise beteiligt werden. Das könnte streng befristet über einen Energie-Solidaritätszuschlag oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes geschehen.

Der Vorschlag war zuvor bekanntgeworden und hatte scharfe Kritik vor allem bei Wirtschaftsverbänden ausgelöst. So sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben, eine vorgeschlagene temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes wäre für die Millionen von mittelständischen Unternehmen ein "Schlag ins Kontor".

Entlastungsmaßnahmen nicht zielgenau

Die Vorsitzende des Sachverständigenrates, Monika Schnitzer, verteidigte den Vorschlag. Entlastungen wie Tankrabatt, 9-Euro-Ticket oder Energiepreispauschalen der Bundesregierung seien nicht zielgenau genug. Es würden auch diejenigen entlastet, die es nicht nötig hätten. Es werde deswegen "zu viel Geld ins System" gegeben. Der Staat müsse noch mehr Schulden aufnehmen und die Inflation werde weiter angeheizt.

Es gehe um ein Gesamtpaket aus Ent- und Belastungen, das wirklich solidarisch sei und damit zielgenau. Dies diene auch der Generationengerechtigkeit, so Schnitzer. "Unsere Kinder sollen nicht alles zahlen müssen." Deutschland sei durch die vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste Energiekrise ärmer. "Irgendjemand muss das zahlen." Höhere Belastungen für Besserverdienende sollten so lange andauern, bis Entlastungsmaßnahmen wirkten. Das sei nach jetzigem Stand bis Anfang 2024 absehbar.

Sachverständigenrat: Abbau der kalten Progression verschieben

Das Gutachten der Wirtschaftsweisen schlägt außerdem vor, den geplanten Abbau der sogenannten kalten Progression zu verschieben. Vor allem Finanzminister Christian Lindner setzt sich dafür ein, ab 2023 die kalte Progression – quasi eine inflationsbedingte heimliche Steuererhöhung – auszugleichen.

Der Ausgleich der kalten Progression sei steuersystematisch zwar grundsätzlich geboten, erklärte der Wirtschaftsweise Achim Truger. "Aktuell geht es aber um eine zielgenaue Entlastung unterer und mittlerer Einkommensgruppen, und die öffentlichen Haushalte sollten nicht überstrapaziert werden."

Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke

Im Gutachten der Wirtschaftsweisen heißt es weiter, die Folgen des Krieges in der Ukraine könnten die erneute Ausnahme von der Schuldenbremse 2023 rechtfertigen. Vor allem Lindner will die in den vergangenen Jahren wegen der Pandemie ausgesetzte Schuldenbremse wieder einhalten. Die erlaubt nur eine geringe Nettokreditaufnahme.

Zur Energiekrise heißt es im Gutachten, um auf dem Strommarkt Gas einzusparen, sollten kurzfristig umfassend Kraftwerkskapazitäten mobilisiert werden. Dazu könne auch eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke beitragen. Genauer definiert wird dies nicht. Die Bundesregierung hatte nach einem Machtwort von Kanzler Olaf Scholz beschlossen, dass die drei verbliebenen drei Atomkraftwerke bis zum 15. April weiterlaufen sollen. Danach soll mit der Nutzung der Atomkraft Schluss sein. dpa