Psychische Erkrankungen, allen voran Burnout, sind auf dem Vormarsch. Vor 20 Jahren waren Seelenleiden bei Krankschreibungen noch nahezu bedeutungslos, heute stehen sie an zweiter Stelle der Ausfalltage. Aber: Handwerker können schon mit ganz kleinen Veränderungen viel Druck herausnehmen.
Eine gute und eine schlechte Nachricht: Im Schnitt leiden weniger Menschen im Handwerk an psychischen Erkrankungen als im Mittel aller Versicherten. Aber: Wenn jemand erkrankt, so ist er im Schnitt mehr als doppelt so lange krankgeschrieben wie bei anderen Krankheiten. 32 Tage blieben Betroffene ihrem Handwerksbetrieb fern, wenn sie psychische Probleme hatten, während die durchschnittlich Dauer aller Krankheitsfälle nur 14 Tage beträgt.
Das Thema psychische Gesundheit betrifft also auch stark Handwerksbetriebe. Wie sie damit sinnvoll umgehen können und was sie zum Schutz der psychischen Gesundheit tun können, zeigt die speziell fürs Handwerk verfasste Broschüre “Kein Stress mit dem Stress. Lösungen und Tipps für Handwerksbetriebe“.
Stress reduziert im Arbeitsalltag
Gemeinsam mit der IKK Classic hat psyGA, ein Bestandteil der Initiative Neue Qualität der Arbeit, konkrete Fallbeispiele aus Handwerksbetrieben zusammengetragen. Die Betriebe hatten im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements einiges in ihren Abläufen verändert und so deutlich Stress reduzieren können.
Was an den Beispielen auffällt: Es sind oft ganz kleine Veränderungen, die den Stress im Betrieb deutlich reduzieren. Wie Unternehmer vorgehen können, zeigen die Autoren anschaulich in sieben Themenbereichen:
- Gesundheit in den Blick nehmen: Den Betrieb wettbewerbsfähig aufstellen
- Stress vermeiden: Arbeit gut planen und organisieren
- Konflikte verhindern und lösen: Zusammenarbeit gezielt fördern
- Überforderung vorbeugen: Veränderungen mit den Beschäftigten me istern
- Gesund führen: Auf Mitarbeitende und sich selbst achten
- Ressourcen aufbauen: Gesundheit der Beschäftigten aktiv stärken
- Gesetzliche Anforderungen erfüllen: Psychische Belastung erkennen und reduzieren
Die kostenlose Broschüre ist unter bei psyGA erhältlich.
Zunahme psychischer Probleme durch mehr Druck
Einer der Gründe für die Zunahme psychischer Probleme ist ein steigender Ziel- und Ergebnisdruck in Unternehmen, der die Menschen dazu verleitet, mehr zu arbeiten, als ihnen gut tut. Körperliche, aber eben auch psychische Erkrankungen sind das Ergebnis.
Wo die Grenzen der Le istungsfähgikeit erreicht sind, ist für Betroffene schwer einzuschätzen. Deshalb hat die Initiative Neue Qualität der Arbeit des Bundesmin isteriums für Arbeit und Soziales auch einen speziellen Check entwickelt.
In dem Programm mit dem Titel "Psychische Gesundheit" können Betroffene zunächst mit Hilfe eines einfachen Ampelsystems Bereiche in ihrem Unternehmen identifizieren , wo etwas im Argen liegt. Anschließend leitet der Check dazu an, passende Maßnahmen zu entwickeln und festzulegen. Das kostenlose Angebot kann über die Website des Projekts Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt (psyGA) genutzt werden.
Studie bestätigt Gesundheitsgefahr
Eine Studie des Gesundheitsmonitors von Bertelsmann Stiftung und Barmer GEK, für die rund 1.000 Erwerbstätige repräsentativ befragt wurden, ergab, dass knapp ein Viertel der Vollzeit-Beschäftigten in Deutschland schätzt, das derzeitige Arbeitstempo nicht durchhalten zu können. 18 Prozent erreichen oft die Grenze ihrer Le istungsfähigkeit, auf Pausen verzichten 23 Prozent. Jeder Achte erscheint krank im Unternehmen.
Selbstgefährdendes Verhalten äußert sich neben dem Verzicht auf Erholung im übermäßigen Konsum von scheinbar die Le istung steigernden Substanzen, wie Nikotin, Medikamenten oder dadurch, dass Sicherheits-, Schutz- und Qualitätsstandards unterlaufen werden.
Ursache hierfür sind häufig die permanent wachsenden Anforderungen: 42 Prozent der Befragten geben an, dass ihr Arbeitsumfeld durch steigende Le istungs- und Ertragsziele geprägt ist. Jeder Dritte weiß nicht mehr, wie er die wachsenden Ansprüche im Betrieb bewältigen soll. Dadurch komme es leicht zu einer Überforderung, bilanziert die Studie. Werden die Vorgaben dennoch erfüllt, gelte die übersprungene Messlatte schnell als neuer Standard.
Dass er dieser Spirale selbst entrinnen kann, glaubt nur jeder zweite Arbeitnehmer. 51 Prozent der Befragten geben an, keinen oder nur geringen Einfluss auf ihre Arbeitsmenge zu haben; über 40 Prozent sagen das auch über ihre Arbeitsziele.
Folgen und Probleme dieser Entwicklung stellt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes Jahr mit dem "Welttag der seelischen Gesundheit" am 10. Oktober in den Fokus. Das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit hat daraus gleich eine ganze Info-Woche gemacht und die "Woche der seelischen Gesundheit" in Berlin organisiert. aktionswoche.seelischegesundheit.net.
Psychische Belastung: Teil der Gefährdungsbeurteilung
Das Arbeitsschutzgesetz verlangt von jedem Arbeitgeber, dass er in seine Gefährdungsbeurteilung psychische Belastungen mit aufnimmt. Immer mehr Institute, Agenturen oder Berater weisen aber auf diese gesetzliche Pflicht hin, um Betrieben unter Druck Le istungen zu verkaufen. Davor warnt die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM).
Dabei gibt es kostenlose Hilfestellungen im Netz, beispielsweise das Programm der Berufsgenossenschaft Energie, Textil, Elektro, Medienerzeugnisse (BG Etem). Hier gibt es Hintergrundinformationen sowie einen Erklärfilm, wie man als Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen anfertigt.
Auf unterhaltsame Weise informiert auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung zum Thema. Graf Dracula und Dornröschen zeigen in zwei kurzen Filmen, dass schon kleine Veränderungen Stress und damit psychischen Druck reduzieren können.
8 Tipps gegen Stress auf der Arbeit
Die Bertelsmannstiftung hat in einer Studie acht Tipps für weniger Stress am Arbeitsplatz zusammengestellt.
- Erholungskompetenz erweitern: Eine Tätigkeit, die man gerne mag und die einen Kontrast zum Arbeitsalltag darstellt, hilft in der Freizeit zu entspannen.
- Aktiv abschalten: Fast 40 Prozent der Beschäftigten denkt auch nach Feierabend an die Arbeit. Ein Ritual kann dabei helfen, nach Dienstschluss die Gedanken an die Arbeit wirklich loszulassen. Hilfreich ist zum Beispiel ein Zettel auf den man notiert, was heute gut gelungen ist und was man am kommenden Tag als erstes erledigen muss.
- Multitasking meiden: Während dem Telefonat die E-Mails checken oder in der Besprechung schon die Themen für die nächste Runde vorbereiten, zerrt an den Nerven und führt auf Dauer zu Stress. Menschen sind nicht multitaskingfähig. Das Gehirn arbeitet anspruchsvolle Aufgaben immer der Reihe nach ab. Also einfach mal versuchen einen Tag lang auf Multitasking zu verzichten.
- Störungen streichen: Nach jeder Störung benötigt man einige Minuten, bis man wieder konzentriert in seinem Thema ist. Kleine Unterbrechungen können also einen Arbeitsschritt stark verlangsamen. Wer in 30 Minuten dreimal für zwei Minuten unterbrochen wird, braucht länger. Nicht nur 36 Minuten sondern bis zu einer Stunde. Störungsfreie Zeiten sind ein nützliches Mittel, aber auch eigene Ablenkungsversuche müssen reduziert werden. Also nicht "kurz" in die E-Mails schauen, auf die Toilette gehen und auf dem Weg zurück ein Gespräch mit Kollegen anfangen. Auch Durst und Hunger sollten keine Gründe für häufige Störungen sein.
- Balance ist Verhandlungssache: Egal ob Familie oder Beruf. Aufgaben sollten geteilt und abgesprochen werden. Dazu gehört zum Beispiel auch mal dem Chef zu sagen, dass eine Aufgabe heute nicht mehr fertig wird.
- Kraftquellen kennen und nutzen: Kraftquellen können fachliche Kompetenzen oder Unterstützung durch Kollegen sein. Wer wissen will, welche Kraftquellen er nutzen kann, kann sich überlegen " Auf welche Kollegen kann ich zählen?" oder "Kann ich nach der Arbeit gut abschalten?".
- Pünktliche Pausen: Pausen bringen Entspannung und beugen Überlastung vor. Rund ein Viertel der Beschäftigten macht keine Pausen und erhöht so unwissentlich den Stress. Nach 90 Minuten Kopfarbeit eine Denkpause machen und in der Mittagspause etwas spazieren gehen, so entspannt sich der ganze Körper. Auch eine Pause zwischen Berufsalltag und Privatleben ist sinnvoll. Einfach auf dem Heimweg bewusst die Gedanken wechseln oder Musik hören.
- Persönliche Antreiber und stressverstärkende Glaubenssätze: Wenn etwas im Beruf schief geht oder ein Projekt sich verzögert, bedeutet dies Stress. Aber die Hälfte der gefühlten Belastung entsteht durch innere Überzeugung. Stress entsteht zum Beispiel auch bei dem Gedanken: "Ich muss das alleine schaffen"
Arbeitsgesundheit zur Chefsache machen
In kleinen und mittleren Betrieben sollte Gesundheit "Chefsache" sein. Oft sind die wirtschaftlichen Vorteile gesundheitsfördernder Maßnahmen nicht sichtbar. Aber gerade Handwerksbetriebe sollten ihre Vorteile – kurze Entscheidungswege und individuelle Lösungen – nutzen.
Nicht zuletzt aufgrund der vielen Fehltage ist es aus Sicht des Arbeitgebers wichtig, die Gesundheit am Arbeitsplatz zu fördern. Ein kollegiales Miteinander kann helfen. Das größte Potenzial zur Stressprävention liegt in einer Verbesserung der Führungsfähigkeit, speziell im Bereich der sozialen Unterstützung.
Arbeitgeber können ihre eigene Erfahrung nutzen. Welche Unterstützung war bei einem schwierigen Projekt hilfreich? Was eher nicht? Was hätte ich mir von meinem Chef gewünscht? Vieles von dem, was man selbst als hilfreich erlebt, schätzen auch andere Mitarbeiter.
Bereits die Arbeitsatmosphäre im Betrieb wirkt sich auf die Gesundheit der Mitarbeiter aus. Ältere und jüngere Mitarbeiter sollten gleichermaßen "mitgenommen" werden . Anerkennung und Wertschätzung stärken die Motivation. dhz/bst/end
Anzeichen für psychische Belastungen
Folgende Anzeichen können auf psychische Belastungen der Mitarbeiter hindeuten:
- verändertes Sozialverhalten: Verunsicherung, sozialer Rückzug, übermäßige Gereiztheit, Ungeduld
- offensichtlicher Leidensdruck: bedrückte Stimmung über längere Zeit, ständiges Klagen und allgemeine Negativ-Sicht der Dinge bis hin zum Sarkasmus
- ständiges Klagen über körperliche Beschwerden (Schmerzattacken, Schlafprobleme, Dauerinfekte etc.), für die der Arzt keine Ursache findet
- Äußerungen von starken Angstgefühlen oder von Lebensüberdruss
- auffällige Le istungseinbußen: verlangsamtes Arbeiten, sinkende Effektivität (z.B. überflüssige Überstunden) oder nachlassendes Engagement, auffällige Kontrolle der eigenen Arbeit, mehr Fehler
- hohe Ausfallzeiten: häufige Fehlzeiten, wiederholtes Zuspätkommen