Wettbewerb um die Besten hat längst begonnen

Bewerbermangel im Handwerk: Händeringend suchen viele Betriebe immer noch nach Lehrlingen. Sie müssen sich verstärkt engagieren, um dem drohenden Fachkräftemangel zu entgehen

Patrick Choinowski

Wettbewerb um die Besten hat längst begonnen

Wir schreiben bereits Mitte Oktober, das neue Ausbildungsjahr hat längst begonnen. Trotzdem sind noch viele Lehrstellen unbesetzt. Der Innenausbauer Gerhard Reisinger sucht noch immer nach einem Auszubildenden zum Trockenbaumonteur. Seit der Betriebsgründung vor 20 Jahren bildet der Handwerksunternehmer aus Reichenbach in der Oberpfalz Lehrlinge aus. Insgesamt fünf Azubis arbeiten momentan in dem 21 Mitarbeiter umfassenden Team. Zum 1. September wollte Reisinger zwei neue Lehrlinge einstellen. Der gute Wille wurde jedoch nicht belohnt. „Wir haben nur einen gefunden“, sagt Gisela Reisinger, die sich im Betrieb um das Personal kümmert. Auswahl hatte sie allerdings keine: Nur eine einzige Bewerbungsmappe erhielt sie kurz vor Start des neuen Ausbildungsjahres. Der Bewerber wurde prompt angestellt.

Damit geht es dem Oberpfälzer wie zahlreichen anderen Handwerksbetrieben in Deutschland. Sie suchen händeringend nach Auszubildenden, finden aber keine. Zwar konnten laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) bis zum 31. August 2010 114.345 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen werden, doch gibt es noch in beinahe allen Berufen und Regionen offene Lehrstellen im Handwerk. Fast 10.000 waren es laut ZDH Ende August. „Die hohe Zahl an offenen Ausbildungsstellen zeigt die Bemühungen der Handwerksbetriebe, ihre Fachkräfte für die Zukunft zu qualifizieren“, lobt Handwerkspräsident Otto Kentzler das Engagement der Betriebe. Zugleich warnt er, dass „jeder unbesetzte Ausbildungsplatz heute eine fehlende Fachkraft von morgen bedeutet“.

Betriebe müssen verstärkt für sich selbst werben

Das weiß man auch bei der Firma Reisinger. Betriebsinhaber Gerhard Reisinger engagiert sich stark, um in der ländlichen Region im Oberen Bayerischen Wald in naher Zukunft nicht einem Fachkräftemangel ausgesetzt zu sein. Er besucht die Hauptschulen und versucht, die Jugendlichen für das Handwerk und speziell für den Beruf des Trockenbauers zu begeistern. Eigene Schulstunden nutzt der Unternehmer, um von seinem Betrieb und seiner Tätigkeit in allen Facetten zu erzählen. „Wir mussten schon immer Werbung machen. Das müssen wir künftig intensivieren“, weiß Gisela Reisinger. Ihr Betrieb befindet sich in einem starken Konkurrenzumfeld mit der Industrie. Initiativen wie diese unterstützt auch der ZDH, der von den Betrieben fordert, sich Gedanken zu machen. „Schulpartnerschaften, Praktika und Berufsorientierungen erhalten einen höheren Stellenwert“, sagt Verbandssprecher Alexander Legowski. Positive Aspekte wie Selbstständigkeit, Meistertitel und Karriere im Handwerk müssten die Unternehmer herausstellen. Denn: Nicht nur für den Oberpfälzer Innenausbauer hat der Wettkampf um die Besten und die Fachkräfte von morgen längst begonnen. Vorbei sind die Zeiten, als die Betriebe die Qual der Wahl hatten, für einen Ausbildungsplatz mindestens zwei oder drei Bewerber vorhanden waren. Das Verhältnis hat sich dramatisch umgekehrt.

Zahl junger Menschen schrumpft

Dafür gibt es vielschichtige Gründe. Erstens die demografische Entwicklung. In den nächsten Jahren wird sich das Arbeitskräfteangebot massiv verändern. Die Gruppe junger Menschen, die am Ausbildungsmarkt und damit perspektivisch am Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, wird schrumpfen. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung zum demografischen Wandel wird die Zahl der 19- bis 24-Jährigen vom Jahr 2006 bis zum Jahr 2025 um rund 1,2 Millionen zurückgehen. Besonders betroffen wird der Osten Deutschlands sein. Die Bertelsmann-Studie sagt für die neuen Bundesländer einen „dramatischen Einbruch in den Ausbildungsjahrgängen“ voraus (siehe Grafik). Insgesamt sind bereits ab dem Jahr 2015 massive Veränderungen - auch in Westdeutschland - zu erwarten, die zu einem Arbeits- und Fachkräftemangel führen. Diese sind die Folge von vielen schwachen Geburtenjahrgängen und konstant niedrigen Geburtenzahlen.

Zweitens sind die Entwicklung und Qualifikation der Fachkräfte vor dem Hintergrund bildungspolitischer Entscheidungen in Vergangenheit und Zukunft zu beleuchten. Stets bemängeln Handwerksbetriebe, dass es nicht nur zu wenige, sondern auch zu schlecht qualifizierte Bewerber gebe. Die Ursachen sehen viele in der mangelnden Schulbildung. „Es sind deutliche Defizite feststellbar“, erzählt Reisinger. Besonders die Fächer Deutsch und Mathematik bereiteten den Schülern Probleme. „Mathematik ist bei uns im Innenausbau am wichtigsten“, sagt Reisinger. Und genau da hapere es am meisten. Dass die Quote in Zukunft besser wird, ist unwahrscheinlich. Dem Bildungsbericht der Kultusministerkonferenz zufolge zufolge nimmt die Gesamtanzahl der Schüler und besonders die Zahl der Schüler ohne Schulabschluss in den nächsten Jahren noch zu. „Unser Ziel ist, diese Gruppe zu reduzieren“, sagt Ludwig Spaenle, Vorsitzender der Kultusministerkonferenz, im Interview mit der Deutschen Handwerks Zeitung (siehe nächste Seite). Dies solle mit „schulischen Maßnahmen” erreicht werden, von der „stärkeren individuellen Unterstützung bis hin zum Nachholen des Hauptschulabschlusses“. Auf die Betriebe warten dadurch neue Aufgaben. „Nachhilfeunterricht in Deutsch und Mathematik wird von vielen Betrieben organisiert“, weiß Kentzler.

Viele, gerade kleinere Handwerksunternehmen können dies nicht leisten. Da auch die Klagen über die mangelnde ökonomische Bildung der Schulabgänger ansteigen, hat der Gemeinschaftsausschuss der Gewerblichen Wirtschaft (GA) neue Standards an Schulen vorgeschlagen. Zwei Gutachten, von der GA in Auftrag gegeben, erklären, was Schüler am Ende ihrer Schulzeit über wirtschaftliche Zusammenhänge wissen müssen. „Bisher wird ökonomische Bildung meist nur bruchstückhaft vermittelt. Wir brauchen neue Ideen, um den Schülern das notwendige Rüstzeug als Wirtschaftsbürger zu vermitteln“, erklärt Handwerkspräsident und GA-Vorsitzender Otto Kentzler.

Als Lösung, qualifizierte Auszubildende zu bekommen, stellen mittlerweile zahlreiche Handwerksbetriebe Bewerber mit Realschulabschluss oder gar Abitur als Lehrlinge ein. So hat die Zahl der Abiturienten im Handwerk stetig zugenommen. Gerade in Berufsgruppen wie Optiker, Zahntechniker oder Hörgeräteakustiker lernen mehr Abiturienten als je zuvor. Mehr als ein Drittel Abiturientenquote weisen in diesem Jahr die Augenoptiker, Bootsbauer, Maßschneider und Zahntechniker aus. Im Zukunftsberuf Hörgeräteakustiker starteten sogar mehr als 50 Prozent Abiturienten in die Berufsausbildung. Nicht nur die besseren Schulnoten sind ein Grund dafür, sondern auch die besseren Umgangsformen der höher qualifizierten Jugendlichen werden genannt. Auf die setzt auch der Innenausbauer Reisinger. Allerdings glaubt der Oberpfälzer Handwerksbetrieb, dass dies auch Hauptschüler erfüllen können. Noten und Schulabschluss seien nicht entscheidend. „Bei uns steht der soziale Umgang im Vordergrund“, betont die Personalchefin. Defizite hat sie zuletzt allerdings auch schon festgestellt.

Neben der demografischen Entwicklung und der mangelnden Schulbildung sind drittens noch „weiche Faktoren“ wie Standort oder das schlechte Image des Handwerks unter den Jugendlichen ein Grund für die verzweifelte Suche der Betriebe nach Auszubildenden. „Die Betriebe müssen deshalb mehr Aufwand für die Ausbildung einkalkulieren“, sagt ZDH-Sprecher Legowski. Der Oberpfälzer Unternehmer Reisinger hat durch seine Lage am Tor zum Oberen Bayerischen Wald einen Standortnachteil. „Die fehlende Mobilität der Jugendlichen macht uns Probleme“, sagt Reisinger. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sei es schwierig, den Standort Reichenbach zu erreichen. Da die meisten Azubis um die 16 Jahre alt sind, sind diese auf den Nahverkehr angewiesen. „Deshalb können wir nur um Lehrlinge aus dem Umkreis werben“, sagt die Personalchefin. Die Nachwuchswerbung durch Betriebsinhaber Gerhard Reisinger findet deswegen in den umliegenden Schulen statt. „Das ist effektiver.“

Nachwuchs gewinnen mit der
Imagekampagne

Dass das Handwerk zudem ein schlechtes Image hat, hat Reisinger noch nicht zu spüren bekommen. Unter den Jugendlichen scheint es jedoch momentan nicht hipp, im Handwerk eine Ausbildung zu machen: „Viele meiner Freunde glauben, dass ins Handwerk nur derjenige geht, der in der Industrie keinen Ausbildungsplatz bekommen hat“, sagt Tobias Arndt. Er ist Azubi beim schwäbischen Elektrobetrieb Zech in Pforzen bei Kaufbeuren. Durch die im Januar 2010 gestartete Imagekampagne des deutschen Handwerks unter dem Leitmotiv „Das Handwerk. Die Wirtschaftsmacht. Von nebenan.“ hoffen Arndt und Betriebsinhaber Walter Zech auf eine Attraktivitätssteigerung des Wirtschaftszweigs. „Die Kampagne ist gut für Nachwuchsförderung und wichtig, dass der Bereich Handwerk aufpoliert wird und die Jugendlichen darauf aufmerksam gemacht werden“, sagt der Betriebsinhaber. Mit Aufklebern und Plakaten wirbt der Betrieb für die Kampagne und ein höheres Ansehen für das Handwerk. „Wie sinnvoll das Handwerk ist, merken meine Freunde, wenn ich ihnen etwas repariere. Das lernt man nur im Handwerk“, wirbt Azubi Arndt.

Die Handwerkskammern verstärken über die Imagekampagane hinaus die Nachwuchswerbung. Viele haben Sonderprogramme eingerichtet. Die bayerischen Kammern haben vor drei Jahren die Aktion „Macher gesucht!“ gestartet, bei der Schüler ihr Talent für das Handwerk erkennen sollen.

Der Innenausbaubetrieb Gerhard Reisinger hat eine weitere Idee, wie er neue Lehrlinge gewinnt. Für das Jahr 2012 plant er, EU-weit eine Lehrstelle auszuschreiben. Da er europa- und weltweit Aufträge annimmt, möchte er Auszubildende einstellen, die aus dem betreffenden Einsatzland stammen. „Gute Sprachkenntnisse vor Ort sind wichtig. Da ist es hilfreich, Einheimische im Team zu haben“, erklärt Reisinger. Auch jetzt schon hat der Innenausbauer aus der Oberpfalz über die Grenzen geschaut: Vor kurzem hat er einen Kasachen eingestellt - in Zeiten des drohenden Fachkräftemangels muss man flexibel sein.