Wirtschaftsethik Wenn Unternehmen legal, aber unmoralisch handeln

Darf die deutsche Wirtschaft mit Russland noch Geschäfte machen? Die Antwort auf diese moralische Frage ist nicht leicht. Denn sich im Geschäftsleben an alle Gesetze zu halten, ist nicht alles. Was moralische Unternehmer auszeichnet.

Als Teil der globalisierten Welt werden Unternehmer immer mehr daran gemessen werden, wie moralisch ihr Handeln ist. Es zählt nicht mehr nur der wirtschaftliche Erfolg. - © WoGi - stock.adobe.com

Wochenlang erwartete das Land, dass sich Altbundeskanzler Gerhard Schröder von Wladimir Putin distanziert. Dass er aufgibt, was schon lange in der Kritik stand und angesichts des Ukraine-Krieges nun als unmoralisch gilt: Auf der Gehaltsliste russischer Staatskonzerne zu stehen.

Wie viel er beim Ölkonzern Rosneft verdient, ist nicht bekannt. Aber: Moralische Standards würden umso mehr hart auf die Probe gestellt, wenn es um sehr viel Geld gehe, so Matthias Sutter, Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Ob ein Mensch moralisch oder unmoralisch handelt, hängt vom Nutzen und den (meist finanziellen) Vorteilen sowie Konsequenzen ab, die ihm und anderen dadurch entstehen. Unternehmen handeln eher moralisch, wenn sie dadurch keine Wettbewerbsnachteile haben. Doch "auf Märkten verschwimmt die Verantwortung für unser Handeln", sagt der Verhaltensökonom.

Als Teil der globalisierten Welt erfahren Unternehmen jedoch, dass sie immer mehr daran gemessen werden, wie moralisch ihr Handeln ist. Es zählt nicht mehr nur der wirtschaftliche Erfolg. Mit dem Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten nimmt die Politik die Wirtschaft jetzt in die Pflicht. Aber auch Kunden und Mitarbeiter legen als Maßstab häufiger ethisch korrektes Verhalten an und suchen sich ihren Dienstleister oder Arbeitgeber unter diesem Gesichtspunkt aus.

Am Ende beugt sich Gerhard Schröder dem öffentlichen Druck. Die Situation beschreibt jedoch ein Dilemma. Der ehemalige Bundeskanzler hat nichts Ungesetzliches getan. Es war ihm nicht verboten, Aufsichtsrat bei Rosneft zu sein. Doch der russische Angriffskrieg hat den Blick darauf verändert.

Die Bewertung der Öffentlichkeit ist einhellig: Es ist nicht richtig. Moralische Regeln haben Inhalte, die beachtet werden müssen, schreibt Beat Kappeler in seinem Buch "Leidenschaftlich nüchtern". Moralische Verantwortung sei kein "Kuchenmodell", bei dem jeder nur ein Teil der Verantwortung trage. Vielmehr müsse jeder dem Falschen widerstehen.

"Sich an Gesetze zu halten, ist das Minimum."

Verhaltensökonom Dominik Enste

Das bedeutet, lediglich legal zu agieren, reicht nicht aus, um auch moralisch zu handeln. "Sich an Gesetze zu halten, ist das Minimum", sagt Dominik Enste, Leiter des Kompetenzfelds Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik am Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Freiwillig Verantwortung übernehmen

Was bedeutet dieser Gegensatz für ein Handwerksunternehmen in Deutschland? "Es geht immer darum, etwas über die Gesetze hinaus zu tun. Verantwortung zu übernehmen", sagt Enste. Für einen moralischen Akteur endet die unternehmerische Verantwortung nicht mit der Herstellung von Produkten oder Dienstleistungen, dem Schaffen von Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie ­Steuerzahlungen.

Er engagiert sich freiwillig über den Rahmen, den die Gesellschaft vorgibt, hinaus. Indem er dazu beiträgt, beispielsweise einen Standort attraktiver zu machen oder eine Region zu stärken, wächst auch sein Ansehen. Viele Handwerksunternehmen leben genau das. Als zuverlässige Arbeitgeber in der Region unterstützen sie örtliche Vereine, sammeln Spenden für soziale Einrichtungen, üben Ehrenämter aus und stellen wenn nötig auch ihre Arbeitskraft zur Verfügung wie bei der Flut im Ahrtal.

Wie viel Verantwortung ein Mensch übernimmt, entscheidet jeder für sich individuell – auch jedes Unternehmen. So im Fall der Ukraine. Deutsche und internationale Konzerne wie VW, Coca-Cola und McDonald’s haben sich aus dem Russlandgeschäft zurückgezogen.

Bis zum Ukraine-Krieg war dieser Markt akzeptiert. "Jetzt ist da plötzlich die Frage: Auf welcher Seite steht man?", sagt Matthias Sutter. In der Öffentlichkeit wird der Schritt, sich auf die "richtige" Seite zu stellen, als moralisch wahrgenommen, denn "es gibt einen Konsens in der Gesellschaft, dass manche Dinge nicht gehen", sagt der Verhaltensökonom. So sei man sich einig, Krieg zu missbilligen oder Kinderarbeit in der Dritten Welt nicht zu unterstützen.

Unternehmen sind heute auch politische Akteure

Ein Unternehmen entscheidet natürlich zunächst einmal selbst, wo und mit wem es (legal) Geschäfte macht. Es darf und soll eigennützig handeln, will Gewinne erzielen sowie Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Unternehmen werden heutzutage aber global als politische Akteure gesehen. Es geht im Markt nicht mehr nur darum, Gewinne zu erwirtschaften. Es geht vermehrt darum, wie Unternehmen ihre Gewinne erwirtschaften.

Was sie öffentlich tun oder nicht tun, wird unter die Lupe genommen und – meist in den sozialen Netzwerken – kommentiert, zum Teil auch eingefordert. "Offensichtliche Geschäfte mit Russland schädigen derzeit sicherlich das Ansehen eines Unternehmens", so die Einschätzung von Verhaltensökonom Dominik Enste. "Wer aktuell nicht auf der Seite der Ukraine steht, bekommt schnell eine schlechte Reputation", stimmt Matthias Sutter zu. Süßwarenhersteller Ritter Sport bekommt dies zu spüren. Weil er seine Schokolade weiterhin in Russland verkauft, steigt der Druck massiv.

"Vielleicht muss das Unternehmen entscheiden, ob es Menschen entlässt, um auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen."

Verhaltensökonom Matthias Sutter

Welches Ansehen ein Unternehmen in der Öffentlichkeit besitzt, ist in Zukunft unter einem weiteren Aspekt wichtig. Auf einem arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsmarkt entscheiden Mitarbeiter, ob sie für ein Unternehmen arbeiten möchten, das möglicherweise unethisch handelt. Daher sei es wichtig, dass Unternehmen ihre Werte wie faire Handelsketten oder Nachhaltigkeit transparent vermitteln. "Das ist von großer Bedeutung für Mitarbeiter, aber auch Kunden", sagt Matthias Sutter, "und in gewisser Weise ist das heutzutage auch ein Marketingtool." Würden diese Werte ernsthaft vertreten, sei dies ein Bonuspunkt, gerade bei jungen Menschen.

Langfristige Konsequenzen bedenken

Wer allerdings das moralisch Richtige tun will, muss auch die Folgen bedenken. In Krisensituationen, die häufig plötzlich und unerwartet auftreten, fehlt jedoch die Zeit, um besonnen und überlegt entscheiden zu können. Von Unternehmen werden dann schnelle Reaktionen gefordert von Außenstehenden, die selbst sofort ihr Urteil fällen. "Das ist ein natürlicher Reflex, aber Unternehmen müssen die Konsequenzen gründlich bedenken", warnt Matthias Sutter. Sie zahlten schließlich auch den Preis: Aufträge, Arbeitsplätze, offene Rechnungen, Material, Liquiditätsengpässe.

Über die Folgen einer weitreichenden unternehmerischen Entscheidung – wie sich aus einem Markt zurückzuziehen – dürfe man sich keine Illusionen machen. "Vielleicht muss das Unternehmen entscheiden, ob es Menschen entlässt, um auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen", gibt Matthias Sutter zu bedenken. Dann habe das ganz konkrete Folgen für die Mitarbeiter vor Ort. Inwiefern – wie im aktuellen Fall – ein Unternehmen einen Krieg unterstütze, wenn es ein Produkt in das Land eines Aggressors liefere: Dieser Diskussion müsse man sich überhaupt erst einmal stellen, sagt Dominik Enste. Denn Wohlstand und Moral könnten trotz allem durchaus Hand in Hand gehen.

Sich im Unternehmen mit Werten auseinandersetzen

"Wirtschaft und Ethik müssen keine Gegensätze sein", sagt Enste. Sein Rat: Nicht den kurzfristigen Erfolg suchen, sondern langfristige Perspektiven schaffen. Ein Unternehmen könne einen Konflikt auch zum Anlass nehmen, um nach Möglichkeiten zu suchen, die Situation zu verbessern. "Wichtig ist, mit moralischem Verhalten glücklicher und besser zu leben." Für ein Unternehmen bedeute das: Geschäftsprozesse anpassen, Betroffene einbinden, Produkte verbessern, Ressourcen einsparen, Mitarbeiter und Lieferanten fair entlohnen. "Langfristig ist dann mehr erreicht", sagt Enste.

Dafür brauche ein Handwerksunternehmen aber keinen Moral-Kodex, sagt Dominik Enste. Wichtig sei es, sich mit dem Thema Werte auseinanderzusetzen. So sieht das auch Wolfgang Schubert-Raab, Geschäftsführer der Raab Baugesellschaft aus Ebensfeld: "Es ist nötig, dass man Werte definiert, für sich selbst und gemeinsam im Unternehmen." Dies sei keine einfache Aufgabe, danach zu leben und zu handeln anspruchsvoll und eine tägliche Herausforderung.

Ein Chef, der jeden Tag im Betrieb für diese Werte stehe, sei genug Vorbild, so Dominik Enste. "Schließlich orientiert sich der Mensch an dem, was ihm vorgelebt wird."