Eine bizarre Situation im Supermarkt brachte die Idee ins Rollen. Sandra Hunke möchte mit Klischees und Vorurteilen aufräumen – und setzt hierfür auf eine Heldin in Latzhosen. Im Interview spricht die SHK-Anlagenmechanikerin über ihr neues Kinderbuch "Bella Baumädchen", erzählt vom Schubladendenken älterer Damen und ärgert sich über mutlose Arbeitgeber.

Sie zählt zu den reichweitenstärksten Handwerkerinnen Deutschlands. Auf Instagram folgen Sandra Hunke mehr als 95.800 Menschen, auf TikTok sind es 102.600 Follower. Sie ist SHK-Anlagenmechanikerin, Model, Influencerin und jetzt auch Kinderbuchautorin.
"Bella Baumädchen" heißt das Buch, mit dem die 30-Jährige erstmals als Autorin in Erscheinung tritt. Ein Kinderbuch, das längst überfällig war, wie sie sagt. Die Geschichte der jungen Bella soll Eltern zum Umdenken anregen. Noch immer fehle es in der Gesellschaft an Akzeptanz für Handwerksberufe. Junge Frauen, die mit einer Ausbildung im Bauhandwerk liebäugeln, müssten sich gegen vielerlei Widerstände behaupten – innerhalb der eigenen Familie, aber auch auf dem Ausbildungsmarkt. Schon die Kleinsten will Sandra Hunke deshalb ermutigen, ihren Vorlieben nachzugehen – ganz gleich was Spielkameraden oder Erwachsene sagen.
Ein Interview über Baumädchen, Vorurteile und Glitzerbücher
Die Hauptfigur Bella trägt rote Haare, einen Werkzeuggürtel um die Hüfte, hat eine Zahnlücke und Sommersprossen im Gesicht. Wie viel Sandra Hunke steckt abseits vom optisch Offensichtlichen in Bella?
Sandra Hunke: Bella ist zu einhundert Prozent wie ich als Kind. Sie ist ein selbstbewusstes kleines Mädchen, das sich von anderen nicht reinreden lässt. Bella werkelt gerne und begeistert auch andere Kinder für die Arbeit mit dem Hammer. Man könnte sogar sagen, das ist ihre Mission. Das Buch zeigt: Handwerksliebe ist ansteckend.
Du hast selbst keine Kinder. Wie kam es zu der Idee, ausgerechnet ein Kinderbuch zu schreiben?
Tatsächlich gab es ein Schlüsselerlebnis im Supermarkt. Ich wollte mir nach Feierabend einen Kakao holen, hatte den ganzen Tag auf der Baustelle gestemmt und war entsprechend dreckig. Ein kleines Kind starrte mich dann zwischen den Regalen mit ganz großen Augen an. Die Mutter bemerkte das und sagte zu ihrem Mädchen: Keine Angst, so etwas musst Du später einmal nicht anziehen. Wow! Wenn schon kleinen Kiddies so etwas vermittelt wird, dann ist es kein Wunder, dass das Handwerk so verrufen ist. Ich engagiere mich viel, um dieses Bild in der Gesellschaft geradezurücken. Aber in dem Moment wurde mir klar, dass ich noch mehr tun muss. Also dachte ich mir, ein Kinderbuch wäre doch nice. Aber allein? Ich kann Bäder bauen, aber kein Kinderbuch schreiben. Also habe ich mir mit Britta Sabbag eine erfolgreiche Autorin und mit Igor Lange einen wundervollen Illustrator an die Seite geholt.
"Ich kann Bäder bauen, aber kein Kinderbuch schreiben."
Wie kam der Kontakt zu Britta Sabbag zustande?
Ich hatte mir ganz viele Kinderbücher bestellt, unter anderem auch von Britta. Ihren Schreibstil fand ich auf Anhieb super. Also habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen, sie angeschrieben und ihr von meiner Buchidee erzählt. Sie hat tatsächlich geantwortet. Darauf bin ich sehr stolz, denn sie bekommt tatsächlich sehr viele E-Mails jeden Tag.

Was können Kinder aus Deinem Buch mitnehmen – und was die Eltern?
Die Kernbotschaft der Geschichte ist: Du kannst alles sein, für Träume gibt es kein Nein. Ich hoffe, dass sich ganz viele Kinder mit Bella identifizieren. Mein Wunsch wäre, dass sich Mädchen nicht reinreden lassen, wenn sie lieber reparieren und schrauben statt mit Puppen zu spielen. Für die Eltern soll das Buch ein Denkanstoß sein. Mit den Händen arbeiten macht Spaß – und es ist überhaupt nichts dabei, wenn Dein Mädchen sich handwerklich ausprobieren und später gegebenenfalls mal eine Ausbildung in dem Bereich machen möchte. Im Gegenteil.
Du hast Deinen Weg ins Handwerk ganz offensichtlich gefunden. Haben Deine Eltern also alles richtig gemacht?
Ich hatte das Glück, dass meine Eltern immer hinter mir standen und mich bei all meinen Entscheidungen unterstützt haben. Von ihnen stammt auch mehr oder weniger der Titel des Buches. Als Kind haben sie mir immer gesagt, ich könne alles sein: 'Wenn Du ein Baumädchen sein möchtest, dann sei ein Baumädchen.' Für diese Erziehung bin ich ihnen sehr dankbar.
"Wenn ein Junge eine Prinzessin cool findet, dann sollten Eltern das zulassen und ihn rosa Glitzerbücher lesen lassen."
Auch in der Kinderbuchwelt sind Geschlechterklischees weit verbreitet. Mädchenbücher spielen häufig in den eigenen vier Wänden, auf Reiterhöfen oder in Zauberwelten – also überwiegend in sicheren Umgebungen. Die Protagonisten in Jungsbüchern machen hingegen tendenziell gefährlichere Erfahrungen, begeben sich auf Schatzsuche oder kämpfen gegen Bösewichte. Wird die freie Entwicklung dadurch beschränkt?
Kinder sollten selbst entscheiden dürfen. Wenn ein Junge eine Prinzessin cool findet, dann sollten Eltern das zulassen und ihn rosa Glitzerbücher lesen lassen. Andersherum sollte man Kindern auch nichts aufdrängen. Hier hatte ich auch das Glück, dass mich meine Eltern nie in eine Ecke gedrängt haben.
In Deinem Buch gibt es die Szene, in der Bella Nägel in das Holz hämmert. Die Mutter eines befreundeten Kindes meint daraufhin, das sei doch nichts für Mädchen. Wie ist Dein Eindruck, haben solche Vorurteile in den letzten Jahren eher zu- oder abgenommen?
Ich höre immer wieder Aussagen, man wüsste doch inzwischen, dass Frauen zu alldem auch fähig sind. Gleichzeitig schreiben mir junge Mädels, dass sie gerne eine Ausbildung im Handwerk machen würden, die Eltern sie aber zum Studium drängen. Das zeigt mir, dass hier eben doch noch viel Aufklärungsbedarf besteht. Zugegeben, es hat sich schon einiges gebessert. Aber auch nach zehn Jahren im Beruf sprechen mich Kunden noch immer auf meine Gelnägel an und fragen, ob ich nicht Angst hätte, mir die Finger schmutzig zu machen. Darf ich als Handwerkerin nicht gepflegt sein? Warum werde ich aufgrund meines Geschlechts und meines Aussehens noch immer unterschätzt? Interessanterweise sind es meist ältere Frauen, die hier noch veraltete Denkmuster an den Tag legen.
Wie können Arbeitgeber im Handwerk ihren Beitrag leisten, um Geschlechterklischees in der Arbeitswelt zu überwinden?
Frauen einstellen! Ich selbst war 2020 auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle – mit Ausbildung und neun Jahren Berufserfahrung in der Tasche. Der Chef einer Firma wollte mich haben. Drei Mitarbeiter seien dann aber auf ihn zugekommen und meinten, dass sie nicht mit einer Frau zusammenarbeiten wollen. Also wurde nichts daraus. Das ist ein No-Go! Der Arbeitgeber hätte sich durchsetzen müssen. Ich habe die Qualifikation, die Erfahrung und bringe mindestens dieselbe Leistung wie meine männlichen Kollegen. Chefs dürfen da gar keine Diskussion zulassen.
"Wenn sich eine Frau bewusst fürs Handwerk entscheidet, dann kann man sich auch sicher sein, dass sie mitanpackt. Wir brauchen keine Sonderbehandlung."
Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Arbeitszufriedenheit in gemischten Teams höher ist. Sind Frauen ein Gewinn für die Belegschaft?
Frauen sind super für das Arbeitsklima, das sagt auch mein jetziger Chef immer wieder. Alle seien so gut gelaunt, seitdem ich hier arbeite. Die Kollegen würden sich auch besser benehmen. Das Argument, Frauen seien zu schwach für die Arbeit oder würden sich zieren, zählt längst nicht mehr. Wir haben heute zahlreiche Maschinen und Hilfsmittel, die uns die körperliche Arbeit erleichtern. Und wenn sich eine Frau bewusst fürs Handwerk entscheidet, dann kann man sich auch sicher sein, dass sie mitanpackt. Wir brauchen keine Sonderbehandlung.