Gebäudedämmung und Artenschutz Wenn die Dachsanierung Nistplätze zerstört

Der Ausbau und das Dämmen von Dächern vernichtet Unmengen an Nistplätzen und Unterschlüpfen von Vögeln und Fledermäusen. Doch Gebäudesanierung und Artenschutz sind keine Widerstreiter. Mit der richtigen Bauplanung kann man die Brutstätten ganz einfach ersetzen. Bislang ist das in der Praxis kaum ein Thema. Wer einen brütenden Vogel stört, macht sich allerdings strafbar.

Jana Tashina Wörrle

Mehlschwalben stehen auf der Roten Liste, sie gelten als extrem bedroht. Bei Dachsanierungen werden sie nicht selten gedankenlos von Hauswänden oder Dachvorsprüngen abgeschlagen. - © A Linscott - stock.adobe.com

Das Tierschutzgesetz ist eindeutig: Wer einen Vogel aus seinem Nest rausschmeißt, also während der Brutzeit stört, macht sich strafbar. Aber auch wer ein zwischenzeitlich leeres Nest – etwa im Winter – einfach entfernt oder so verbaut, dass die Vögel nicht zurückkönnen, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Voraussetzung: Er schafft keinen Ersatz. Das gilt für jeden privaten Bauherrn, aber auch für Handwerker. Treffen sie mitten in der Bauzeit auf brütende Vögel müssen sie in den Bau stoppen. Das Gesetz lässt hier wenig Spielraum und doch wird es kaum angewendet – geschweige denn kontrolliert.

So gehen mit jedem Altbaudach, das gedämmt und aus- oder umgebaut wird, Nistplätze für Vögel wie Mehlschwalben, Mauersegler oder Haussperlinge und auch für viele Fledermausarten unwiderruflich verloren. Sind die Dächer einmal dicht, finden die Tiere, die sich über Jahrzehnte an diese Art des Nistens gewöhnt haben, hier keinen Unterschlupf mehr. Doch der Wohnraum wird – vor allem in den Städten – gebraucht und die Dachsanierungen sind wichtig, um die hohen Energieverbräuche vieler Gebäude zu senken. Gebäudesanierung versus Tierschutz: Was scheinbar im Widerspruch steht, muss kein Widerspruch sein, wenn Bauherrn, Architekten und auch Handwerksbetriebe frühzeitig an die Alternativen denken. So gibt es bereits viele Nisthilfen, die man am Gebäude anbringen oder direkt in eine Wärmedämmschicht einsetzen kann, um den Vögeln und Fledermäusen weiterhin Unterschlupf zu bieten.

Dachsanierung: Nisthilfen sollten Teil der Bauplanung sein

"So wie ein Dach heutzutage erstellt wird, bietet es nach der Sanierung keinerlei Nistmöglichkeiten mehr und weist keine kleinen Spalten für Fledermäuse mehr auf. Dächer sind heutzutage absolut dicht", sagt dazu Regine Tantau vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) der Region Hannover. Für die Vögel und Fledermäuse sei das ein großes Drama, das überhaupt noch nicht ausreichend bekannt ist. So sei es enorm wichtig, dass Nisthilfen schon vor dem Beginn der Baumaßnahmen eingeplant werden – außerdem spielt der Zeitpunkt, wann eine Dachsanierung stattfindet eine große Rolle. "Wenn sie sich einmal mit dem Thema vertraut gemacht haben, ist es für viele Architekten und Bauhandwerker eigentlich eine ganz unkomplizierte Angelegenheit. Es muss nur gemacht werden", sagt Regine Tantau.

Zehn Millionen Dächer sind sanierungsbedürftig

Der Naturschutzbund möchte auch Dachdecker und Zimmerer dazu motivieren, Gebäudebrüter und gebäudebewohnende Fledermäuse nicht einfach zu ignorieren, sondern als wichtigen Teil unseres Ökosystems zu betrachten und zu schützen. Hausbesitzer haben zudem den Vorteil, wenn sie viele der fliegenden Untermieter auf ihrem Grundstück haben, denn diese sind äußerst nützliche Kleininsektenfresser. So kann eine Fledermaus über Nacht bis zu 2.000 Mücken vernichten und Mauersegler fressen pro Tag bis zu 10.000 Mücken oder Blattläuse.

Doch wie sollte man bei der Altbausanierung eines Daches nun vorgehen? "Eine Lösung ist aus meiner Sicht das Aussparen der Brutzeit je nach Vogelart zwischen März und August, wenn es irgend möglich ist, aber vor allem das Schaffen von Alternativangeboten", sagt die BUND-Vogelexpertin. Nur so könnte man einen gewissen Anteil der früheren Populationen an Gebäudebrütern für nächste Generationen retten. Denn noch eines ist sicher: die Gebäudesanierungen werden weitergehen und das ist angesichts der hohen Energieverbräuche und des damit einhergehenden Ressourcenverbrauchs auch nötig. So haben neue Untersuchungen gerade gezeigt, dass aktuell noch rund zehn Millionen Dächer in Deutschland sanierungsbedürftig sind. Nur jedes zweite Wohngebäude hat einen ausreichenden Wärmeschutz.

Die Aktualität des Themas hat auch der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks erkannt und in diesem Monat eine neue Fachinformation für die Betriebe herausgegeben, in der die Problematik aufgegriffen wird. Darin heißt es: "Alle Beteiligten sind aufgefordert, der Reduzierung der Artenvielfalt entgegenzuwirken und damit auch zum Gesundheitsschutz und zum Erhalt einer funktionierenden Nahrungskette beizutragen."

Zum Thema Sanierung finden sich darin Fachregeln, die darauf hinweisen, dass bei Dachsanierungen Ersatzmöglichkeiten für Nistplätze zu schaffen sind. So könnten fu¨r Spatzen und Mauersegler die gleichen Nistkästen aufgehängt werden, aber auch die Dachkonstruktion selbst biete dann weiterhin einen Unterschlupf, wenn die erste Reihe Dachpfannen, Ortgang und Traufe mit Einfluglöchern versehen und nicht wie oft u¨blich mit Folie oder Mörtel verschlossen werden, rät der Verband.

Handelt es sich nur um eine Rinnenerneuerung und soll die Traufe mit Mörtel geschlossen werden, so sollte dies erst ab der zweiten Dachpfannenreihe geschehen, gibt der Verband seinen Betrieben als Handlungsanweisung. So könnten die Tiere in der Traufe noch nisten. Vor allem Spatzen nisten vorzugsweise unter der ersten Ziegelreihe.

Die wichtigsten Fragen zu Artenschutz bei Dachsanierungen im Überblick:

Warum brauchen die Vögel und Fledermäuse unbedingt die Dächer und Dachüberstände zum Brüten? Und warum gewinnt das Problem jetzt an Relevanz?

Es gibt mehrere Vogelarten und Fledermausarten, die für ihre Vermehrung zwingend auf "Lebensstätten", also Nischen zur Vermehrung an Gebäuden, angewiesen sind. Sie sind seit dem Mittelalter, als in großem Stil Bäume auch Höhlenbäume gefällt wurden, auf dunkle Höhlen unter Dächern angewiesen, um sich zu vermehren. Dazu kommen Vogelarten wie die Mehlschwalbe, die zwar sichtbar außen an Hauswänden oder unter Dachvorsprüngen Nester baut. Doch diese Nester werden den Erfahrungen von Regine Tantau zufolge oft gedankenlos abgeschlagen, wenn eine Sanierung ansteht. "Das ist das ganz große Problem der Mehlschwalben, weswegen sie auf der Roten Liste schon ganz oben stehen", sagt die Expertin.

Von den Sanierungen an Wohnhäusern seien in großem Umfang aber auch Mauersegler und Haussperlinge, sowie spaltenbewohnende Fledermausarten betroffen. Diese Tierarten sind Koloniebrüter. Das heißt, mit jeder Dachsanierung geht nicht hier und da ein Nest verloren, sondern es gehen an vielen Dächern gut 20 Sperlingsnester und 20 Mauerseglernester verloren. Diese Vögel, die nach der Sanierung dann buchstäblich vor verschlossener Haustür stehen, finden heutzutage keine Ausweichquartiere mehr in der Nachbarschaft, ihre Generationen sind damit abgebrochen. Jeder Haussperling (Spatz) lebt nur drei oder vier Jahre, wenn er sich in dieser Zeit nicht vermehren kann, ist es vorbei mit seiner Linie, die seit Adam und Eva besteht.

"Es kommt für diese Tierarten nicht darauf an, dass die Dächer möglichst ungedämmt sind, sondern, dass auch nach der Dämmung noch Spalten und Nischen für sie zur Verfügung stehen, in denen sich diese Arten vermehren können", so die Expertin. Außerdem nutzen alle gebäudebewohnenden Tierarten ihre Nester alljährlich wieder, sie kehren also kolonieweise immer an die gleichen Häuser zurück und tun sich sehr schwer damit, neue Nistmöglichkeiten an anderer Stelle zu entdecken. Hier können Nisthilfen an den gleichen Stellen am Haus einen Ersatz schaffen.

Welche Vogelarten sind es und welche Fledermäuse, die in Altbauten unter Dächern und Dachüberständen brüten?

Bei Fledermäusen unterscheidet man zwischen den Arten, die unter den Dachziegeln leben, also spaltenbewohnende Arten. Hier sind vor allem Zwergfledermäuse und Breitflügelfledermäuse zu nennen, aber auch Bartfledermäuse, Nymphenfledermäuse, Rauhhautfledermäuse und Mückenfledermäuse. Daneben gibt es solchen Arten, die frei in Dachräumen an den Balken hängen und eben größere Dachräume für die Jungenaufzucht brauchen – wie z.B. Mausohr, Braunes Langohr und Hufeisennasen.

Die Vögel, die zwingend auf Niststätten an Gebäuden angewiesen sind, sind: Mauersegler, Alpensegler (nur in Südwestdeutschland), Haussperlinge, Hausrotschwänzchen, Dohlen, Turmfalken und Schleiereulen und Weißstörche. Mehlschwalben suchen sich gerne geschützte Ecken an den Hauswänden.

Wann brüten die meisten Vögel, die unter Gebäudedächern ihre Nester bauen? Und wann sollte man besondere Rücksicht auf Fledermäuse nehmen?

Mauersegler und Spatzen brüten zwischen April (Spatzen) und Anfang Mai (Mauersegler) und Mitte August. Die Brutzeit der Mehlschwalben liegt zwischen April und Mitte September. Fledermäuse können eigentlich rund um das Jahr unter Dächern gefunden werden, Obacht ist diesbezüglich immer geboten. Für die am häufigsten unter Dächern vorkommenden Zwergfledermäuse und Breitflügelfledermäuse gilt ein sensibler Zeitraum von April bis Ende September. Bei vermuteten oder tatsächlich bestätigten Fledermausvorkommen sollte immer vor Ort ein Fledermausberater hinzugezogen werden, z.B. vom NABU.

Warum kommt es scheinbar meistens zu überraschenden Entdeckungen während einer Dachsanierung und dann auch dazu, dass Nester und Nistplätze aus dem Affekt heraus vernichtet werden?

Dafür gibt es aus Sicht von Regine Tantau mehrere Gründe: Der Hausbesitzer weiß nichts von den Vögeln unter den Dächern. Spatzen lärmen laut in Büschen rund um das Haus, niemand kommt auf die Idee, dass sie dort gar nicht nisten, sondern sich leise und heimlich ihre Nester unter den Dachziegeln gebaut haben. Diese Nester sind von unten, wenn man am Haus heraufblickt nicht zu sehen. Genauso ist es mit Mauerseglernestern. Man sieht sie beim Betrachten des Hauses nicht. Mauersegler fliegen sehr schnell in ihre Nistplätze ein und das auch nur drei- bis viermal am Tag.

Mit gebäudebewohnenden Fledermäusen ist es erst recht so – sie fliegen spät abends aus. Fledermäuse sind überhaupt schwierig nachzuweisen, weil sie viele Quartiere in der Umgebung nutzen und ein solches Quartier oder ein Spalt kaum als Fledermausspalt zu erkennen ist, wenn die Fledermäuse gerade nicht anwesend sind. Nur bei Dachraumbewohnern (z.B. Mausohren) findet man große Kothaufen vor, die ihre Anwesenheit beweisen.

"Es ist also vielfach nicht böser Wille, dass man Tiere vernichten will, sondern es ist vielfach Unkenntnis, dass sie dort nisten", sagt die Expertin. Es sei zudem die Unkenntnis, dass diese Vögel dort nisten müssen, weil sie inzwischen darauf geprägt sind.

Dachdecker sitzen Regine Tantau zufolge an einer Schlüsselposition: "Sie sind es, die die Nester abräumen und den Ersatz der Nistplätze veranlassen könnten." Der Ersatz von Nistplätzen im Zuge einer Sanierung sollte demnach ein Standardwissen für jeden Dachdecker sein.

Ein letzter Grund für die Vernachlässigung der Gebäudebrüter ist aus ihrer Erfahrung die Unkenntnis vieler Architekten. Sie sollten jeweils passende Nistkästen bei der Bauplanung berücksichtigen und sich auch rechtlich besser auskennen. Fragen wie: Welche(n) Nistkästen sind die richtigen? Wo müssen sie angebracht werden? Spielt die Himmelsrichtung eine Rolle? Müssen die Kästen zu reinigen sein? usw. "Das alles ist Wissen, das mehr und mehr unter die Leute kommen muss", sagt Tantau.

Muss man eine Dachsanierung immer stoppen, wenn man ein Nest entdeckt?

"Das ist aber vielfach zu umgehen", erklärt die BUND-Mitarbeiterin und gibt als Tipp, dass man eine Sanierung auch umorganisieren kann – etwa das Abräumen des Daches um drei oder vier Wochen verschieben und währenddessen andere Arbeiten am Haus vorziehen kann. Manchmal sei auch nicht das gesamt Dach betroffen, sondern nur ein Flügel oder eine Dachseite. "Es gibt vielfach Wege, die einen Konflikt entschärfen", sagt Tantau.

Für die Bauvorbereitung rät sie Bauherrn und auch Architekten: Die Sperlinge und Mauersegler nisten in den allermeisten Fällen in der unteren Ziegelreihe auf der Unterschalung oder am Ortgang. "Man kann also, sobald das Gerüst aufgestellt wurde, einmal an den unteren Ziegeln entlang gehen, hineinschauen, ebenso einmal am Ortgang nach Einfluglöchern suchen, dann hat man meistens schon eine Vorstellung, ob man die Dachdecker für einen späteren Zeitraum bestellen muss oder nicht." Sie hat auch schon die Erfahrung gemacht, dass Wohnungsgenossenschaften, die Rücksicht auf den Artenschutz nehmen, ihre Dächer einfach nicht zwischen April und Anfang August sanieren.

Was sollte sich ändern, damit Vögel und Fledermäuse trotz der zunehmenden Sanierungen besser geschützt sind?

Der Gesetzgeber hat eigentlich klare Regelungen getroffen und die Gebäudebrüter tierschutzrechtlich geschützt. "Leider kennt niemand dieses Gesetz und weiß, falls doch, nicht mit ihm umzugehen", sagt Regine Tantau. Freiwillige Leistungen werden ihrer Meinung nach auch besser angenommen. Zum Standard sollten aus Sicht des BUND werden, bei Dach- und Fassadensanierungen Nistkästen einzubauen – Nistkästen für Gebäudebrüter und gebäudebewohnende Fledermäuse. Die Vogelexpertin schlägt dafür vor: pro Hauseingang sechs Nistkästen für Vögel und pro Sonnenseite vier Sommerspalten und zwei Winterquartiere, die nicht an der Südseite angebracht werden sollten. Damit sich jeder einfach und schnell über die verschiedenen Nisthilfen und baulichen Möglichkeiten dafür informieren kann, sollte es entsprechend gute Angebote und Infohilfen im Internet geben. Der BUND stellt selbst eine ausführliche Infobroschüre bereit.

"Vorbildlicher wäre es natürlich, wenn jeder Hausbesitzer sich vor Baubeginn einen Gutachter nehmen würde", sagt Tantau und fügt aber selbst hinzu, dass dies aufgrund des derzeitigen Sanierungsbooms wohl kaum möglich sei. Die Gutachter sind ausgebucht und dieser zusätzliche Schritt bringt wohl auch Kosten mit sich, die nur wenige übernehmen möchten.

Wo bekommt man Nisthilfen, die einen wirklichen Ersatz bieten und wie teuer sind sie?

Firmen, die erprobte Nistkästen anbieten sind: Naturschutzbedarf Strobel, vivara Naturschutzprodukte, Nistkasten Hasselfeldt und Schweglershop. Die Preise liegen zwischen 40 und 70 Euro pro Nistkasten.

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