Die Industrie bereitet ihre Gas-Brennwert-Geräte auf den Einsatz eines CO2-neutralen Brennstoffs vor und verweist auf die gute Infrastruktur, die das Gasnetz in Deutschland bietet.
Von Ulrich Steudel

In diesem Stoff steckt Widerspruch: Einerseits kommt kein chemisches Element so häufig vor wie Wasserstoff. Weil das energiereiche Gas aber nicht in Reinform zur Verfügung steht, sondern aufwändig hergestellt werden muss, gilt es insgeheim als Champagner der Energiewende. Nicht nur die Bundesregierung oder Automobilbauer wie Toyota sehen im Wasserstoff eine Zukunftstechnologie. Auch die Heizungsindustrie wärmt sich an dem Gedanken, ihre Gaskessel künftig mit Wasserstoff zu befeuern.
Der Gedanke liegt nahe. Wasserstoff verhälft sich ähnlich wie Erdgas. Zudem besteht mit dem Gasnetz bereits die nötige Infrastruktur, um den Energieträger zu den Verbrauchern zu transportieren. Anders als das fossile Erdgas kann Wasserstoff aber CO2-neutral verbrannt werden. Allerdings muss bei der Elektrolyse, wenn Wasser unter Einsatz von Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird, die elektrische Energie aus regenerativen Quellen stammen. Auf diesen grünen Wasserstoff setzen Heizungsbauer große Hoffnungen.
Reallabor der Energiewende

Viessmann überarbeitet gerade die Gas-Brennwert-Heizungen seiner Vitodens-Baureihe, um sie an die Verbrennungseigenschaften von Wasserstoff anzupassen. Spätestens 2023 sollen die Wandgeräte in Kaisersesch in den Praxistests gehen. In der rheinland-pfälzischen Gemeinde am Rande der Eifel entsteht unter Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums das erste Reallabor der Energiewende, Smart-Quart genannt. Dort sollen Erfahrungen mit der Wasserstoffversorgung gesammelt werden.
Andere Hersteller verfolgen eine ähnliche Strategie. Im englischen Worcester betreibt Bosch Thermotechnik seit 2017 Prototypen eines sogenannten H2-Ready-Heizkessels mit Wasserstoff. Das Unternehmen attestiert der Technologie ein erhebliches Potenzial, wenn die Klimaschutzziele im Gebäudebestand erreicht werden sollen. Denn wer seine konventionelle Heizung etwa durch eine klimafreundliche Wärmepumpe ersetzen will, muss auch kräftig in die Dämmung investieren. Ein Wasserstoff-Heizkessel setze hingegen keine zusätzlichen Modernisierungsmaßnahmen voraus und könnte den CO2-Ausstoß sofort reduzieren. Vertriebsleiter Alexander Wuthnow sieht daher im hoch entwickelten Gasnetz einen Standortvorteil für Deutschland. Statt teure Stromtrassen zu bauen, könnte die vorhandene Infrastruktur für den Transport von Wasserstoff ertüchtigt werden. In kleinen Mengen kann Wasserstoff schon heute im Erdgasnetz beigemischt werden.
Wasserstoffzertifizierung in den Niederlanden
Remeha hat Anfang des Jahres für zwei Gas-Brennwert-Wandheizkessel die erste Wasserstoffzertifizierung in den Niederlanden erhalten. Damit sind die Geräte Calenta Ace und Tzerra Ace für die Verwendung von bis zu 20 Prozent Wasserstoff zugelassen. Laut Hersteller können so die CO2-Emissionen um rund 8 Prozent gesenkt werden.
Die BDR Thermea Group, zu der auch Remeha gehört, geht bei einem Test im niederländischen Rozenburg noch einen Schritt weiter. Dort wird grüner Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen über ein eigenes Gasnetz verteilt. In dem Pilotprojekt versorgen reine Wasserstoffkessel ein Dutzend Haushalte CO2-neutral mit Wärme und Warmwasser.
In Deutschland produziert noch niemand grünen Wasserstoff im kommerziellen Stil. Der Energieversorger Uniper betreibt im brandenburgischen Falkenhagen seit 2018 eine Pilotanlage, in der aus Windstrom durch alkalische Elektrolyse grüner Wasserstoff entsteht. In einem zweiten Schritt wandelt Uniper den Wasserstoff mit CO2 aus einer Bio-Ethanol-Anlage zu Methan (CH4) um. Dieses synthetische Erdgas könne im Gegensatz zu grünem Wasserstoff einfacher in konventionellen Anlagen verwendet werden.
Letztes Puzzle der Energiewende
Die Euphorie, die grüner Wasserstoff bei vielen Akteuren im Wärme- und Verkehrssektor auslöst, wird in der Wissenschaft keineswegs uneingeschränkt geteilt. Claudia Kemfert, Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung, hält grünen Wasserstoff nur für das letzte Puzzle bei der Energiewende. "Die Herstellung erfordert drei- bis fünfmal so viel Energie wie die direkte Nutzung erneuerbarer Energien. Man wird Wasserstoff deshalb vernünftigerweise nur dort einsetzen, wo es keine andere – vor allem elektrische – Möglichkeit gibt", meint die Energie-Expertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Größere Einsatzgebiete sehen Forscher daher in der Industrie sowie beim Schiffs-, Schwerlast- und Flugverkehr. Selbst der Lobby-Verband "Zukunft Gas" bezweifelt, dass grüner Wasserstoff in ausreichender Menge zu marktfähigen Kosten produziert werden kann. Der Zentralverband Sanitär, Heizung, Klima hält sich mit Prognosen in Bezug auf Wasserstoff ebenfalls zurück. "Wir sind noch in der Findungsphase", sagte ZVSHK-Sprecher Frank Ebisch.
Die Bundesregierung will im Rahmen der nationalen Wasserstoffstrategie, die im Juni 2020 vorgestellt wurde, den Markthochlauf mit neun Milliarden Euro fördern. Bis 2030 soll eine Elektrolyse-Kapazität von fünf Gigawatt entstehen, womit aber höchstens ein Fünftel des Bedarfs gedeckt werden könne. Deutschland wird beim grünen Wasserstoff stark von Importen abhängig bleiben.
Farbenlehre beim Wasserstoff
Grüner Wasserstoff entsteht durch die Elektrolyse von Wasser, das durch den Einsatz von Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Die elektrische Energie darf nur aus regenerativen Quellen stammen. Der Wasserstoff gilt allgemein als CO2-neutral.
Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen. In der Regel wird bei der Herstellung Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und CO2 umgewandelt (Dampfreformierung). Das CO2 wird ungenutzt in die
Atmosphäre abgegeben und verstärkt so den Treibhauseffekt: Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entstehen rund zehn Tonnen CO2.
Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff, dessen CO2 bei der Entstehung jedoch abgeschieden und gespeichert wird (engl. Carbon Capture and Storage, CCS). Das CO2 gelangt nicht in die Atmosphäre, sondern wird in den Boden gepresst. Während die Bundesregierung dieses Verfahren als CO2-neutral betrachtet, äußern Umweltschützer Zweifel, ob die unterirdischen Lagerstätten über Jahrhunderte hinweg dicht bleiben. Zudem entstehen Emissionen durch Förderung und Transport von Erdgas. Greenpeace beziffert den CO2-Ausstoß auf bis zu 220 g CO2 pro Kilowattstunde Wasserstoff.
Türkiser Wasserstoff wird über die thermische Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) hergestellt. Anstelle von CO2 entsteht dabei fester Kohlenstoff. Voraussetzungen für die CO2-Neutralität des Verfahrens sind die Wärmeversorgung des Hochtemperaturreaktors aus erneuerbaren Energiequellen sowie die dauerhafte Bindung des Kohlenstoffs.
Quellen: BMBF, Greenpeace