Die Deutsche Bahn verlangt künftig von potenziellen Azubis keine Bewerbungsschreiben mehr – und hofft dadurch auf mehr Bewerber. Eine clevere Strategie – denn die Aussagekraft von Bewerbungsschreiben ist Experten zufolge ohnehin gering.
Harald Czycholl

Darüber hat sich bei der Jobsuche wohl jeder schon mal den Kopf zerbrochen: Was schreibe ich bloß in mein Bewerbungsschreiben? Oft kommt dann Geschwafel dabei heraus, kombiniert mit Standardsätzen wie: "Hiermit bewerbe ich mich um..." – und davon haben weder die Bewerber etwas, noch die Unternehmen. Nicht zuletzt aus diesem Grund will die Deutsche Bahn bei angehenden Azubis zukünftig auf das Bewerbungsschreiben verzichten: Ab Herbst soll es möglich sein, über eine Online-Plattform nur noch Lebenslauf und Zeugnisse einzureichen. "Wir prüfen die Motivation der Bewerber sowieso noch mal in einem Gespräch ab", sagt Bahn-Personalerin Carola Hennemann. "Wir wollen es den Bewerbern so einfach wie möglich machen."
Und das ist angesichts der vielerorts herrschenden Vollbeschäftigung und des Fachkräftemangels auch nötig. Der Staatskonzern sucht händeringend neue Mitarbeiter, weil Tausende Kollegen in den Ruhestand gehen. Allein dieses Jahr sollen rund 19.000 neue Mitarbeiter eingestellt werden, darunter 3600 Auszubildende. Und wer es in einer solchen Situation den Bewerbern so einfach wie möglich macht, sorgt eben auch dafür, dass die Hemmschwelle sinkt, die Bewerbung auch wirklich abzuschicken.
Schwierigkeiten beim Formulieren
Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge stellt das Bewerbungsschreiben für jeden zweiten Jobinteressenten eine besondere Herausforderung dar: 44 Prozent der Befragten gaben an, Schwierigkeiten bei der Formulierung eines aussagekräftigen Motivationsschreibens zu haben. Knapp 30 Prozent haben dagegen keine Probleme, die richtigen Worte für das Bewerbungsschreiben zu finden. Dass angehende Bahn-Azubis bei im Bewerbungsprozess künftig nur noch Lebenslauf und Zeugnisse einreichen müssen, kommt bei der überwiegenden Mehrheit der Befragten gut an. Rund 70 Prozent finden diesen Schritt nicht nur sinnvoll sondern auch zeitgemäß. Ein knappes Viertel findet das Anschreiben der Umfrage zufolge aber nach wie vor wichtig.
Das Anschreiben verliere für Personaler an Bedeutung, weil die Aussagekraft der Bewerbungsschreiben im Vergleich zu Lebenslauf und persönlichem Gespräch niedrig sei, sagt Sladjan Petkovic, Managing Director beim Personaldienstleister Robert Half. "Der Lebenslauf kann schnell erfasst werden und verrät oft schon, ob ein Kandidat fachlich passt oder nicht. Anschreiben sind dagegen häufig subjektiv und weniger verlässlich als ein erstes Telefonat mit vielversprechenden Kandidaten."
Persönliches Gespräch bleibt wichtig
Zumal man den praktischen Nutzen eines Anschreibens auch ganz grundsätzlich hinterfragen kann: Wer sich als Werbetexter bewirbt, sollte vielleicht dazu in der Lage sein, sich mit einem entsprechenden Text selbst zu vermarkten. Wer sich als Schlosser, Friseur, Elektriker oder Bäcker bewirbt, muss aber nicht wirklich dazu in der Lage sein, ein brillantes Motivationsschreiben zu texten. Das kann sogar das Gegenteil bewirken, denn schlimmstenfalls verstellt ein schlecht formuliertes Bewerbungsschreiben am Ende den Blick auf die wirklich wichtigen Qualifikationen des Kandidaten.
Die Hoffnung von Unternehmen wie der Deutschen Bahn, die auf Anschreiben verzichten und dies öffentlichkeitswirksam ankündigen, ist eine größere Anzahl von Bewerbern, so der Personalexperte. "Gerade im Kontext des Fachkräftemangels ist der Verzicht auf das Anschreiben ein Mittel, um mehr Bewerber anzulocken." Damit keine Fehlentscheidungen getroffen werden, müssten die Personaler aber in persönlichen Gesprächen prüfen, ob der Kandidat auch wirklich der richtige für das Unternehmen ist. "Denn ein Bewerber mit dem perfekten Lebenslauf hilft wenig, wenn er nicht zu den Kollegen und Werten des Unternehmens passt", sagt Petkovic.
Bewerber werden passiver
Auch nach Einschätzung der Jobbörse Monster.de nimmt die Bedeutung des Anschreibens ab. Bewerber seien zwiegespalten: Sie wollten sich mit dem Schreiben einerseits abheben, auf der anderen Seite solle es aber schnell gehen, erklärt Marketingdirektorin Katrin Luzar. Kandidaten würden sich oft auch mobil via App bewerben. Alle wichtigen Dokumente hätten sie dann in der Regel dabei – "außer eben das Anschreiben". "Die Unternehmen selbst wiederum wissen auch, dass Anschreiben häufig kopiert werden und dass es für die Bewerber relativ schwierig ist, regelmäßig passgenaue und individuelle Anschreiben zu formulieren", erklärt Luzar.
Luzar beobachtet auch noch eine andere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt: "Das Machtverhältnis zwischen Bewerbern und Unternehmen hat sich mittlerweile auch verschoben." Denn die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist für viele Menschen so gut wie seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr. Die Arbeitslosenzahl dürfte auch in diesem Jahr weiter sinken, wie Volkswirte deutscher Großbanken schätzen. Viele Unternehmen suchen händeringend Leute – und machen sich dabei Konkurrenz. "Die Kandidaten wissen sehr gut, wie viel sie wert sind", so Luzar. "Sie werden passiver."
Kein Zusatznutzen, wenig Aussagekraft
Deutschlandweit berücksichtigen schon 59 Prozent der Personaler Bewerbungen ohne Anschreiben. Das zeigt die Arbeitsmarktstudie 2017 des Personaldienstleisters Robert Half. Die Gründe dafür sind vielfältig: 48 Prozent der Personalverantwortlichen halten sie nicht für besonders aussagekräftig, 39 Prozent finden sie zu subjektiv. Außerdem ist der Informationsgehalt der Studie zufolge aus Sicht von Personalern zu gering: 32 Prozent sehen darin keinerlei Zusatzinformationen gegenüber dem Lebenslauf – und 23 Prozent halten die Informationen aus dem Anschreiben nicht für verlässlich.