Hunderttausende Ukrainer fliehen vor dem Krieg aus ihrer Heimat. Auch im Handwerk kommen die Flüchtlinge an. Wie ein Allgäuer Betrieb das meistert.

Lautes Bohren dröhnt aus Hauseingängen. In den staubigen Treppenhäusern schieben sich Handwerker verschiedenster Firmen und Gewerke aneinander vorbei. Drei Blöcke mit Sozialwohnungen lässt das Sozialwirtschaftswerk Oberallgäu in Sonthofen derzeit von Grund auf sanieren. Elektro Tannheimer aus Kempten ist für die Elektrik zuständig. Viel Arbeit, die Chef Hubert Schmölz nur deswegen fristgerecht erledigen kann, weil er seit April auf zwei neue Arbeitkräfte aus der Ukraine zählen kann.
Vasyl Kotelnyk und Aleksandr Hunchak waren im März mit ihren Familien aus ihrer Heimatstadt Odessa vor dem Krieg geflohen und bei der freien evangelische Kirche in Kempten untergekommen. Die beiden Ukrainer haben drei beziehungsweise neun Kinder, deswegen durften sie ausreisen. Geschlechtsgenossen mit weniger oder keinen Kindern müssen im Krieg dienen.
Kontakt zu Ukrainern über Mitarbeiter
Als Schmölz’ Mitarbeiter Viktor Liashenko seinem Chef sagte, dass ehemalige Kollegen aus seiner ukrainischen Heimat in Deutschland nach Arbeit suchten, zögerte der Unternehmer nicht lange. "Sie haben zwar keine Elektro-Ausbildung, aber in ihrer Heimat am Bau gearbeitet. Als ich gesehen habe, dass Vasyl problemlos einen Verteiler machen kann, wusste ich, dass er Ahnung hat", erzählt Schmölz. Er stellte Kotelnyk als Fachkraft ein, seinen Kollegen Hunchak als Helfer.
Von den ersten Verhandlungen bis zum Arbeitsbeginn dauerte es allerdings vier Wochen. Regelmäßig musste Schmölz im Jobcenter und im Integrationsamt anrufen. Zu diesem relativ frühen Zeitpunkt der Ukraine-Krise gab es in den Ämtern noch keine Routinen. Ab dem 11. April konnten der 42- und der 51-Jährige dann zu arbeiten beginnen – ganz ohne Deutschkenntnisse. Alles, was über ein paar auf dem Bau aufgeschnappte Sprachbrocken hinausgeht – "Steckdose, Lichter, Stromzuleitung", zählt Kotelnyk seinen Deutschwortschatz auf – muss ihr Kollege Viktor Liashenko oder eine App am Handy übersetzen. Sprachkurse zu finden, sei schwierig, vor allem Angebote nach Feierabend gebe es wenige, sagt Kotelnyk. Aber ab September soll es losgehen.
Übersetzungstools
In der Ukraine sprechen etwa 70 Prozent der Bevölkerung Ukrainisch, etwa 30 Prozent Russisch. Es gibt verschiedene Übersetzungstools per App oder Internet, allerdings deutlich mehr und in besserer Qualität für Russisch als für Ukrainisch.
Informationen zu Vor- und Nachteilen der verschiedenen Lösungen bietet das Netzwerk Q 4.0 in einem Youtube-Lernnugget.
Grundsätzlich gilt: Wer Übersetzungstools verwendet, bildet besser kurze, einfache Sätze und vermeidet Redewendungen oder Fremdwörter.
Wer wissen will, welche Qualität die Übersetzung hatte, kann das Übersetzte zurückübersetzen.
Deutschkurse für Ukraine-Flüchtlinge
Ob und wie lange sie in Deutschland bleiben werden, wissen Kotelnyk und Hunchak noch nicht. Sie haben eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis von zwei beziehungsweise drei Jahren. Und die Arbeit gefällt ihnen, sie loben ihren Chef und die Qualität des Werkzeugs. Gleichzeitig vermissen sie ihre Heimat. "Wir telefonieren mit Freunden und Verwandten, wir beten. Was kann man machen", übersetzt Liashenko seinen Kollegen Hunchak. Die Tage vor ihrer Flucht hätten sie nur noch in Kellern verbracht, weil an einer nahe gelegenen Kaserne geschossen wurde. Ob es richtig war zu fliehen und nicht zu kämpfen? Sie wissen es nicht, aber sie sind froh, entkommen zu sein und ihre Familien in Sicherheit gebracht zu haben.
Für Schmölz sind die beiden ein Gewinn, und er will sie gerne unterstützen, beim Deutschkurs, bei den Kosten für einen Führerschein für Hunchak oder auch, wenn sie einen Kredit brauchen. Denn gute Kräfte sind im Elektrohandwerk schwer zu finden. 82.000 qualifizierte Mitarbeiter fehlen derzeit nach Angaben des Zentralverbands der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke. Allein Schmölz bräuchte zwei bis drei weitere Fachkräfte, die auch Deutsch sprechen. "Ich muss sie ja zu Kunden schicken können." 15 Mitarbeiter zählt der Betrieb im Moment, inklusive Chef, seinem Sohn Andreas, Azubi und 1,5 Stellen im Büro. Regelmäßig muss er Aufträge ablehnen und trotzdem verbringt er seine Wochenenden immer wieder auf Baustellen, damit Arbeiten termingerecht fertig werden.
Fehlende Deutschkenntnisse sind ein Problem
Fleißige, zuverlässige Arbeitskräfte wie Kotelnyk und Hunchak sind da sehr wertvoll. Einzig mit zwei Punkten ist Schmölz nicht ganz glücklich. Erstens die Sprachbarriere: "Ich kann sie ohne Viktor nirgends hinlassen und ohne Sprache kann ich sie auch nicht weiterbilden." Und zweitens sieht er, dass das deutsche Sozialsystem die Arbeitsmoral am Bau untergräbt. "Anfangs wollten sie so viel wie möglich arbeiten und alle Überstunden ausbezahlt bekommen, um sich hier Möbel kaufen zu können." Doch in dem Maß, wie sie mehr verdienten, wurden die Sozialleistungen gekürzt, weswegen sie jetzt möglichst wenig ausbezahlt bekommen wollen – ein Fehlanreiz findet Schmölz: "Wenn es fast so viel Sozialhilfe gibt, wie wenn ich arbeite, besteht doch die Gefahr, dass niemand mehr arbeiten will. Das stinkt mir!"
Abkürzung in den Arbeitsmarkt für ukrainische Flüchtlinge
Ukrainische Flüchtlinge dürfen in Deutschland vergleichsweise unkompliziert eine Arbeit aufnehmen. Im Gegensatz zu anderen Geflüchteten brauchen sie keinen Antrag auf Asyl zu stellen. Stattdessen haben sie Anspruch auf vorübergehenden Schutz nach § 24 des Aufenthaltsgesetzes.
Schon beim Antrag auf Aufenthaltserlaubnis stellt das Amt eine "Fiktionsbescheinigung" aus, die sofort zum Arbeiten berechtigt, sofern "Erwerbstätigkeit erlaubt" darauf steht. Die Aufenthaltserlaubnis ist vorerst auf ein Jahr begrenzt, kann aber auf bis zu drei Jahre verlängert werden.
Ausbildung von Ukraine-Flüchtlingen
Ukrainische Geflüchtete dürfen in andere Aufenthaltstitel wechseln, beispielsweise in den § 16a Aufenthaltsgesetz (Berufsausbildung und berufliche Weiterbildung) oder § 18 a/b Aufenthaltsgesetz (Fachkräfte mit Berufsausbildung/akademischer Ausbildung). Beginnt also ein ukrainischer Jugendlicher eine Ausbildung in Deutschland, hat er hier für die gesamte Dauer der Ausbildung Aufenthaltsschutz.
Wer nicht sicher ist, ob die Qualifikation des ukrainischen Geflüchteten zu den Anforderungen im Betrieb passt, kann dessen Fähigkeiten entweder direkt vor Ort in einem Praktikum ermitteln oder beispielsweise über den MySkills-Test der Arbeitsagentur.
Kommt es zur Beschäftigung oder Ausbildung, kann der Chef bei der Arbeitsagentur Zuschüsse zu Weiterbildungen und Umschulungen beantragen. Auch die assistierte Ausbildung oder Eingliederungszuschüsse sind möglich. Geflüchtete aus der Ukraine haben außerdem Zugang zu den Sprachkursen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Dazu zählen Erstintegrations- und Integrationskurse, später auch Berufssprachkurse (Links am Ende des Beitrags).
Worauf Chefs bei der Beschäftigung von Ukraine-Flüchtlingen achten müssen
Arbeitgeber, die ukrainische Geflüchtete ausbilden oder beschäftigen wollen, müssen sicherstellen, dass ihre neuen Kräfte eine Sozialversicherung und eine Krankenkasse haben. Außerdem brauchen sie eine Lohnsteuer-Identifikationsnummer. Diese erstellt das Bundeszentralamt für Steuern automatisch, wenn sich der Geflüchtete bei der zuständigen Meldebehörde seines Unterbringungsorts anmeldet. Liegt die Nummer bei Arbeitsbeginn noch nicht vor, darf der Arbeitgeber für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten die voraussichtlichen Lohnsteuerabzugsmerkmale anwenden. Geflüchtete brauchen ein Bankkonto. Ein Basiskonto ist mit einer ukrainischen ID-Karte möglich. Wer einen Reisepass besitzt, hat eine größere Auswahl an Konten.
Für Geflüchtete gelten wie für alle anderen Beschäftigten das Mindestlohngesetz, Branchenmindestlöhne, Tarifverträge und ähnliche Regelungen.
Fast 900.000 Menschen sind bis Juli 2022 aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Wie viele davon weiterhin in Deutschland leben, ist unklar. Von 9,5 Millionen Menschen, die insgesamt die Ukraine seit Februar verlassen haben, sind 3,8 Millionen über die Grenze zurückgekehrt. Für Deutschland liegen keine Zahlen vor. Die Zahl der aus der Ukraine stammenden, sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland nimmt auf jeden Fall kontinuierlich zu, allein im Zeitraum von Februar bis April um 12.000.
Hilfen zur Beschäftigung von Ukraine-Flüchtlingen im Internet
Eine eigene Webseite der Arbeitsagentur zum Thema Ukraine-Flüchtlinge informiert umfassend zur Beschäftigung oder Ausbildung von Ukraine-Flüchtlingen sowie zu den Förderangeboten.
Auch das "Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge" hat umfassende Informationen zur Beschäftigung oder Ausbildung von Ukraine-Flüchtlingen zusammengestellt. Besonders wertvoll sind die übersichtlichen bildlichen Darstellungen, welche Schritte Arbeitgeber und Geflüchtete bis zur Beschäftigung gehen müssen.
Weiterführende Informationen zu Arbeit und Aufenthalt für Geflüchtete aus der Ukraine unter:
- Informationen des Bundesinnenministeriums zu Arbeit und Sozialleistungen in Deutschland: Germany4Ukraine
- FAQS des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Einreise aus der Ukraine und zum Aufenthalt in Deutschland
- Ein Infoblatt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zum Ablauf von der ersten Registrierung bis zur Sprachförderung. bst