Interview "Tatsächlich muss die Arbeit angepasst werden"

Arbeitszeit-Forscherin Yvonne Lott über die Vorteile und Gefahren der Vier-Tage-Woche, die Produktivität in den Betrieben und Arbeitszeitmodelle der Zukunft.

Yvonne Lott, Referatsleiterin in der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. - © HBS

Neueste Erkenntnisse zur Vier-Tage-Woche im nationalen und internationalen Kontext hat die Expertin Yvonne Lott von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Die Arbeitsschwerpunkte der promovierten Forscherin liegen unter anderem in den Bereichen Arbeitszeiten, flexibles Arbeiten und Work-Life Balance.

Die "Vier-Tage-Woche" ist in aller Munde und insbesondere dem Handwerk in Deutschland, das mit einem immensen Fachkräfte-, Nachwuchs- und Nachfolgemangel zu kämpfen hat, könnte sie einen Ausweg aus der Misere aufzeigen. Bedeutet eine Vier-Tage-Woche, dass 40 Stunden in vier Arbeitstagen zu bewältigen sind?

Yvonne Lott: In England arbeiten aktuell rund 330.000 Menschen in einer solchen "compressed working week", was ich sehr kritisch sehe. Wenn die Arbeitsmenge, die früher an fünf Tagen geleistet wurde, nun auf vier Tage komprimiert wird und die Arbeitnehmer länger als acht Stunden täglich arbeiten, wird dies auf Dauer ihre Gesundheit belasten. Ob diese Belastung dann durch einen freien Tag in der Woche aufgefangen werden kann, halte ich für fragwürdig. Durch das erhöhte Arbeitsaufkommen an den vier Arbeitstagen ist außerdem keine Flexibilität mehr möglich und auch mit dem Familienleben nicht vereinbar.

Also besser keine "Vier-Tage-Woche"?

Tatsächlich muss die Arbeit angepasst werden. Eine wirklich produktive Arbeit ist auch schon mit weniger als acht Arbeitsstunden pro Tag möglich, wie zahlreiche Studien belegen. Aus meiner Sicht kann das Vier-Tage-Arbeitszeitmodell nur mit verkürzter Arbeitszeit dauerhaft gut funktionieren, was beispielsweise auch schon in internationalen Pilotprojekten erprobt wurde. Eine Studie aus den USA belegt, dass hierdurch Produktivität und das Commitment steigen. Dabei gilt, nicht alles in vier Tage zu quetschen, sondern Arbeitsprozesse und -inhalte so umzugestalten, dass die Arbeit gut mit einer kürzeren Arbeitszeit zu bewältigen ist.

Weiterführende Informationen

4 Day Week Global ist eine international aktive Stiftung, die Unternehmen bei der Einführung der Vier-Tage-Woche praxisnah zur Seite steht. Ziel ist, Firmen durch ein sechsmonatiges Pilotprojekt an das neue Arbeitszeitmodell heranzuführen und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu steigern. Es soll ein produktives Arbeitsumfeld mit effizienteren Strukturen geschaffen werden, das perspektivisch auch dazu dient, neue Talente zu gewinnen.

Ansprechpartnerin für Betriebe aus Deutschland, die das Konzept der Vier-Tage-Woche erproben möchten, ist Frau Christina Nels, Business Development Lead von der Expath Training & Consulting GmbH aus Berlin. E-Mail: 4DW@expath.com, Telefon: 030/43773678.

Eine "Vier-Tage-Woche" mit angepasster Arbeitsmenge fördert also die Produktivität und die Mitarbeiterbindung?

Richtig und nicht nur das. Die Mitarbeiter zeigen sich insgesamt zufriedener, haben weniger Krankheitstage und können Arbeit und Familie gut miteinander vereinbaren. Die Betriebe in den USA, die eine Vier-Tage-Woche anbieten, konnten außerdem die Zahl ihrer Bewerber verdoppeln.

Die stetig zunehmende Arbeit im Handwerk steht einem nie gekannten Personalmangel gegenüber. Hat das Handwerk eine Chance, das Nachwuchsproblem zu lösen?

Insbesondere jüngere Männer haben - häufiger als die Vertreter der älteren Generation - den Anspruch, Zeit für ihre Kinder zu haben und nicht mehr nur eine Nebenrolle im Familienleben zu spielen. Attraktive Arbeitszeitarrangements anzubieten, ist somit vor allem für die Gewinnung von jüngeren Beschäftigten wichtig, ganz gleich ob sie weiblich oder männlich sind. Diese wollen oft Work-Life-Balance mit ihrer Arbeit erzielen.

Ist im Handwerk eine "Vier-Tage-Woche" überhaupt realisierbar, da viele Tätigkeiten weder orts- noch zeitflexibel ausgeführt werden können?

Eine Vier-Tage-Woche setzt keine zeit- oder ortsflexible Arbeit voraus. Die Initiative 4 Day Week Global, die in Deutschland zurzeit Unternehmen sucht, die das Konzept erproben möchten, unterstützt ganz unterschiedliche Betriebe dabei, die Vier-Tage-Woche umzusetzen (Kontaktdaten siehe unten). Hier gibt es Beratung und es wird geschaut, welche spezifischen Anpassungen bei der Arbeitsgestaltung notwendig sind, damit die Beschäftigten kürzer arbeiten können. Insbesondere für das Handwerk, das an vielen Fronten zu kämpfen hat, kann das Angebot nützlich sein.