Auf deutschen Friedhöfen vollzieht sich ein schleichender, aber steter Wandel. Das bekommen auch Steinmetze und Bestatter zu spüren.
Ulrich Steudel
Wenn am Totensonntag in den evangelischen Kirchen die Namen der Verstorbenen verlesen werden, dann steigt in den Hinterbliebenen wieder die Trauer hoch – der Schmerz um den Verlust, den sie in diesem Jahr erlitten haben. Viele werden anschließend den Friedhof besuchen und innehalten am Grab ihrer Verwandten oder Freunde. Doch die Tradition schwindet in dem Maße wie sich die Bestattungs- und Trauerkultur wandelt. Ein Wandel, auf den sich das Handwerk einstellen muss.
Rund die Hälfte der 853.000 Bestattungen im Jahr 2010 waren Feuerbestattungen, deren Zahl sich in den vergangenen 20 Jahren ungefähr verdoppelt hat. Der Trend verläuft von Nord nach Süd, von der Stadt aufs Land, von evangelisch geprägten Regionen hin zu katholischen. Längst ziehen auch auf bayrischen Friedhöfen zunehmend Urnenwände, so genannte Kolumbarien, ein, während anderswo Flächen frei bleiben. Außerdem entscheiden sich immer mehr Menschen für eine anonyme Bestattung, zum Beispiel in einem der rund 40 Friedwälder, die in den vergangenen Jahren in Deutschland entstanden sind. Für das Steinmetzhandwerk eine beunruhigende Entwicklung – könnte man meinen.
Bundesinnungsmeister Gustav Traulieb aus Stuttgart sieht dagegen in den Veränderungen in der Gesellschaft sogar Chancen für das Handwerk: „Wir können uns wieder besser von der industriellen Massenproduktion abheben. Aber wir müssen uns mehr anstrengen.“ Der Aufwand für die Beratung steige, auch wenn der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu den Hinterbliebenen schon immer sehr wichtig gewesen sei.
Langer Dialog
ste Panorama LangFür Steinmetzmeister Günter Lang aus Eichstätt ist der Umgang mit den Trauernden ein langer Dialog. In drei Sitzungen nähert er sich dem Verstorbenen und dem Wunsch der Angehörigen nach einer angemessenen Gestaltung des Ortes ihrer Trauer. „Im ersten Gespräch geht es immer nur um den Menschen. Er steht im Mittelpunkt“, erzählt der Künstler, in dessen Atelier drei Jahrzehnte lang individuelle Grabmale entstanden sind. „Jedes ist ein Unikat“, sagt Lang, der seine Werkstatt inzwischen übergeben hat, der Trauerarbeit aber verbunden bleibt. So wirkt er im Kuratorium des Leitfriedhofes Nürnberg, der als beispielhaft für das Totengedenken im urbanen Umfeld gilt. In wechselnden Ausstellungen werden dort neue Konzepte zur Weiterentwicklung innerstädtischer Friedhofskultur vorgestellt.
Ein Konzept hält Reiner Sörries, der Direktor des Museums für Sepukralkultur in Kassel, für besonders interessant. Weil vielen Gemeinden das Geld fehlt, finanzieren Friedhofsgärtner die Gestaltung von Gemeinschaftsgräbern vor und erhalten im Verlauf der Nutzungsdauer dann ihr Geld schrittweise zurück. Gemeinschaftsgräber bieten Platz für bis zu 30 Bestattungen. Für die Angehörigen entfällt die Grabpflege, dennoch ist der Ort ihrer Trauer stets gepflegt und passt sich ästhetisch ins Landschaftsbild ein.
An diesem Modell sollten sich auch die Steinmetze orientieren, meint Sörries. „Sie könnten Gemeinschaftsgräber entwickeln, in denen der Stein die Hauptrolle spielt“, sagt der Autor des Buches „Ruhe sanft – eine Kulturgeschichte des Friedhofs“ und hat dabei Stonehenge in England vor Augen.
Ort des Gedenkens
Den allgemeinen Trend in der Trauerkultur hält Sörries für unumkehrbar: „Ich gehe von einem weiterhin schrumpfenden Markt aus.“ Allerdings gebe es einen gleichbleibenden Bedarf für Menschen, die „in einer besonderen Weise von einem Todesfall betroffen sind“. Eltern, die ihr Kind verloren haben; Paare, von denen ein Partner bei einem Unfall umgekommen ist – es gibt viele unvorhersehbare Ereignisse, in denen nahe Verwandte oder Freunde plötzlich aus dem Leben gerissen werden.
Steinmetzmeister Günter Lang hat im Buch „Grabmalgestaltung als kreative Trauerarbeit“ 20 solcher Schicksale beschrieben – vom Tod durch Blitzschlag bis zum Suizid. Die Hinterbliebenen, denen ein solches Schicksal einen liebgewordenen Menschen genommen hat, brauchen zur Bewältigung ihrer Trauer mehr als andere einen Ort des Gedenkens. Die vielen Holzkreuze, die am Straßenrand an tödliche Unfälle erinnern, zeugen vom Verlangen nach einem Ort der Trauer.
Und dieser Ort muss öffentlich zugänglich sein, betont Rolf Lichter. „Das ist unsere ethisch-moralische Verpflichtung“, sagt der Geschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Bestatter und erinnert an die gesetzliche Beisetzungspflicht auf Friedhöfen.
Die Tendenz zu mehr Feuerbestattungen sieht man in der Branche gelassen. Nicht dagegen den Wandel zur Anonymität, der sich zunehmend in der Gesellschaft breitmacht. Was in Internetforen beginnt, endet schließlich bei der Bestattung. Doch Trauer wird nie anonym, sondern immer ganz persönlich sein.