Vielen Unternehmen fehlt es an Nachwuchs. Um das Problem anzugehen, wollen mehrere Politiker möglichst früh ansetzen – und zwar an Deutschlands Schulen. Nun berät auch das Bundeskabinett dazu. Derweil offenbart eine aktuelle Studie, warum so wenige Menschen einen Handwerksberuf in Betracht ziehen.

Vor der Kabinettsklausur am 30. und 31. August hat sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger besorgt über die Entwicklung am Ausbildungsmarkt gezeigt und für die Berufsausbildung geworben. "Akademische und berufliche Bildung sind unterschiedlich, aber gleichwertig. Beides sind tolle Sprungbretter für ein erfolgreiches Berufsleben", sagte die FDP-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur.
Sie sehe mit großer Sorge, dass die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf dem Niveau der Corona-Pandemie zu stagnieren drohe. "Gut ausgebildete Fachkräfte sind unser Kapital." Viel zu viele Ausbildungsplätze blieben unbesetzt, sagte Stark-Watzinger. "Dabei brauchen wir dringend mehr kluge Köpfe und fleißige Hände für Transformation, Wachstum und Wohlstand."
Bundeskabinett berät darüber, wie Berufsbildung attraktiver werden kann
Der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel in vielen Branchen unter anderem im Handwerk macht der Wirtschaft zunehmend zu schaffen. Auf der Klausur in Meseberg nördlich von Berlin will das Bundeskabinett darüber beraten. Eingeladen sind dazu die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, und die Bosch-Geschäftsführerin und -Arbeitsdirektorin Filiz Albrecht.
Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, mit einer "Exzellenzinitiative Berufliche Bildung" die Berufsausbildung in Deutschland attraktiver zu machen. Laut Stark-Watzinger geht es dabei unter anderem um einen Ausbau der beruflichen Orientierung an den Schulen. Dafür hatte sich kürzlich auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ausgesprochen. An vielen Schulen gebe es bereits eine gute Berufsorientierung, sagte Heil am 26. August auf einer Sommerreise in Sachsen-Anhalt der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Aber ich will das für alle Schulformen." Entsprechende Angebote bereits ab Klasse fünf seien wichtig, so dass die jungen Menschen auch spielerisch praktische Erfahrungen sammeln könnten. Berufsorientierung sei "ein Schlüssel", so dass die Menschen zu ihnen passende Berufe fänden und dass Deutschland die Potenziale besser ausschöpfe. "Dieses Land braucht nicht nur Master, sondern es braucht mehr Meister", so Heil.
Nur wenige Menschen ziehen Handwerksberuf in Betracht
Das Handwerk in Deutschland beklagt schon lange, dass sich viele junge Menschen für ein Studium anstelle einer Ausbildung entscheiden. Erst Ende Juli hatte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer angesichts des Fachkräftemangels eine "Bildungswende" in Deutschland gefordert. "Wir gehen von einer Viertelmillion Fachkräften aus, die im Handwerk fehlen", hatte er im Gespräch mit der dpa gesagt. Ziele etwa beim Einbau von Wärmepumpen seien dann schwierig zu schaffen.
Auch eine aktuelle Umfrage belegt, dass im internationalen Vergleich nur relativ wenige Menschen einen Handwerksberuf in Betracht ziehen. Die Branche wird hierzulande vor allem hinsichtlich Gehaltschancen schlechter betrachtet als in anderen Ländern, heißt es in einer repräsentativen Studie des US-Mischkonzerns 3M. Nur zehn Prozent der Befragten sind in Deutschland in einem Handwerksberuf tätig und 18 weitere Prozent haben jemals über eine Laufbahn in der Branche nachgedacht, zeigt das am 29. August veröffentlichte Papier. Das ist demnach der niedrigste Wert aller 17 untersuchten Länder (Weitere Ergebnisse der Studie lesen Sie im Infokasten).
Chancen im Handwerk werden kaum wahrgenommen
Für die Studie von 3M wurden im Auftrag des Marktforschers Ipsos in 17 Ländern jeweils rund 1.000 Menschen befragt – darunter Deutschland, Frankreich, die USA, Großbritannien, Brasilien, Indien und Mexiko. Die Daten wurden zwischen September und Dezember 2021 erhoben. Demnach gaben
- fast drei Viertel der Befragten (72 Prozent) an, sie seien nicht im Handwerk tätig und hätten auch nicht darüber nachgedacht, dort eine Laufbahn anzustreben. In Frankreich etwa waren es 56 Prozent.
- Zudem glauben nur 49 Prozent der Befragten in Deutschland, dass sie mit einer solchen Ausbildung ähnlich gut verdienen könnten wie mit einem Beruf, der ein vierjähriges Universitätsstudium erfordert – 14 Prozent stimmen dem voll zu und 35 stimmen eher zu. Auch das sei der niedrigste Wert unter den betrachteten Ländern, hieß es. Global waren es zusammen 71 Prozent.
- Dabei fehlt es offenbar nicht an der Wahrnehmung von Chancen im Handwerk: 87 Prozent der Befragten sehen in der Branche viele Jobmöglichkeiten, das sind etwas mehr als im weltweiten Schnitt. 53 Prozent gaben aber an, sie verfolgten andere berufliche Interessen. 20 Prozent bezweifelten, dass sie damit genug Geld verdienen würden.
dpa