Bitkom-Präsident Achim Berg im Interview "Ohne Daten gibt es künftig kaum mehr Innovation"

Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom, spricht über das digitale Gold, den Wert von Daten für Verbraucher und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle mit Daten.

Steffen Guthardt

Bitkom-Präsident Achim Berg. - © Bitkom

Herr Berg, Daten gelten als das digitale Gold. Welchen Wert haben Daten für die Wirtschaft?

Daten sind die Grundlage für die digitale Wirtschaft. Sie ermöglichen es Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle zu verfeinern, ihre Angebote zu verbessern und zu individualisieren - oder ganz neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Kurzum: Ohne Daten gibt es künftig kaum mehr Innovation. In ganz unterschiedlichen Bereichen wie Industrie, Landwirtschaft, Gesundheitswesen oder Mobilität gibt es deshalb ein riesiges Interesse an Daten – ebenso im Handwerk.

Welche Daten sind für Unternehmen am wichtigsten und wie kommen sie an diese heran?

Das kommt ganz auf das Unternehmen an. Grundsätzlich können verschiedene Arten von Daten für innovative Produkte und Dienstleistungen genutzt werden. Daten über Kundenverhalten und Kundeninteressen können etwa dabei helfen, Vertriebskanäle zu optimieren und neue Zielgruppen zu erreichen. Daten aus unternehmensinternen Prozessen und aus der Produktion können für Analysen genutzt werden, um den Ausfall von Maschinen vorherzusagen oder Optimierungen vorzunehmen. Beide Aspekte sind auch für das Handwerk interessant.

Daten sammeln ist das eine, sie systematisch auszuwerten und zu nutzen das andere. Wie sind die Unternehmen hier aufgestellt bzw. gibt es Unterschiede zwischen großen und kleinen Betrieben?

Es geht nicht so sehr um einen Unterschied zwischen kleinen und großen Unternehmen, sondern um den jeweiligen Digitalisierungsgrad. Unternehmen, die von ihrer Gründung an digital gewachsen sind, nutzen Daten bereits viel umfassender und werten sie viel weitreichender aus als Unternehmen, die analog gestartet sind und sich vielleicht noch mitten in der digitalen Transformation befinden. Letzteres dürfte sicherlich auf die allermeisten Handwerksbetriebe zutreffen.

Wie können die ausgewerteten Daten von den Unternehmen gewinnbringend genutzt werden?

Wir haben Anfang des Jahres eine Studie zur Digitalisierung des Handwerks durchgeführt, gemeinsam mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks. Daher wissen wir, dass schon jeder achte Handwerksbetrieb (13 Prozent) smarte Software verwendet, die zum Beispiel Arbeitszeiten automatisch nach Projektstatus einteilt. 12 Prozent nutzen Trackingsysteme, mit denen sich Maschinen oder Betriebsmittel nachverfolgen lassen. Vorrausschauende Wartung, bei der mit Sensoren und Datenanalyse drohende Ausfälle von Anlagen frühzeitig erkannt werden, hat jeder zehnte Betrieb (10 Prozent) im Einsatz. All das zeigt: Digitale Technologien und die Nutzung von Daten können den Arbeitsalltag erleichtern, Zeit sparen und Abläufe in den Betrieben enorm vereinfachen. Ein wichtiger Zukunftsbereich sind darüber hinaus Technologien wie Big Data und Künstliche Intelligenz. Etwa in der Industrie wurden schon erste wichtige Schritte unternommen: 12 Prozent der deutschen Industrieunternehmen nutzen bereits Anwendungen, die auf KI basieren. Zu den Vorteilen zählen die Anwender etwa die Steigerung der Produktivität, die Verbesserung der Fehlererkennung und dadurch Reduktion der Ausfallzeiten von Maschinen, sowie Prozessoptimierungen in Produktion und Fertigung. Hier liegen große Potenziale.

Kritiker sagen, das Sammeln von Daten macht den Kunden gläsern? Halten Sie die gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Privatsphäre für ausgewogen?

Im Bereich des Datenschutzes regelt beispielsweise die Datenschutzgrundverordnung den Umgang mit personenbezogenen Daten und setzt dem Sammeln und Verarbeiten von Daten Grenzen und schützt die Privatsphäre von Bürgern. Nach wie vor ist die tatsächliche Auslegung und Handhabung der Datenschutzregelungen zwischen EU-Mitgliedsstaaten, Datenschutzbehörden und Unternehmen nicht einheitlich. Hier gibt es noch Nachholbedarf. Aber wenn wir über Datenanalyse gerade im Handwerk sprechen, dann geht es ganz oft um Maschinen- oder Sensordaten, die keinen Personenbezug haben.

Kann auch der Verbraucher von Big Data profitieren?

Selbstverständlich. Jeder von uns nutzt heute bereits intelligente Produkte und Dienstleistungen, weil sie uns Vorteile bringen. So sorgen Kartendienste, die auf Basis großer Datenmengen arbeiten, für eine intelligente Verkehrsführung. Digitale Sprachassistenten, die ebenfalls mit Big Data trainiert wurden, erleichtern schon jetzt vielen Menschen den Alltag. Auch in der Medizin birgt die Auswertung großer Datenmengen ein Potenzial, etwa bei der Auswertung von Röntgenbildern oder CT-Scans.

Die Industrie drängt mit datengetriebenen Geschäftsmodellen immer weiter in die Gefilde des Handwerks vor und bietet etwa im Bereich Sanitär-Heizung-Klima oder Smart Home die Geräte und den zugehörigen Service aus einer Hand. Wird dieser Trend noch zunehmen?

Sowohl klassische sich digitalisierende Industrien als auch Unternehmen, die originär aus der IT- und Digitalwirtschaft kommen, beschäftigen sich intensiv mit solchen Anwendungen. Daher ist davon auszugehen, dass dieser Trend anhält und sich eher noch beschleunigt.

Frage: Die Datenökonomie ist ein Thema, das das Handwerk besonders umtreibt. Es wird kritisiert, dass Handwerker von den Herstellern häufig keinen Zugang zu Gerätedaten erhalten, die sie für die Wartung und Entwicklung eigener Kundenservices benötigen. Verstehen Sie den Frust?

Die Datenökonomie und die Plattformökonomie sorgen für völlig neue Wertschöpfungsnetzwerke. Es ist verständlich und auch richtig, dass sich alle Unternehmen und Organisationen Gedanken über ihre Rolle und ihr zukünftiges Geschäftsmodell machen. Partnerschaften zwischen Unternehmen können dabei helfen, Innovationen und Geschäftsmodelle über die Wertschöpfungskette hinweg zu etablieren.

Der Zentralverband Deutsches Handwerk fordert eine Dezentralisierung der Datenspeicherung und einheitliche Daten- und Kundenschnittstellen. Halten Sie das für sinnvoll?

Neben dem Megatrend Cloud Computing wird Edge Computing in Zukunft eine immer stärkere Rolle spielen. Dabei werden nicht mehr alle Daten in eine zentrale Cloud verschoben und dort verarbeitet, sondern direkt auf Geräten und Maschinen. Ein Stück weit hängt es immer von der konkreten Anwendung ab, ob ein zentraler oder dezentraler Ansatz sinnvoller ist. Aber generell ist eine stärkere Dezentralisierung sicherlich als Trend zu beobachten. Einheitliche Daten- und Kundenschnittstellen sind zu begrüßen. Diese können entweder ein Ergebnis von Standardisierungs- und Normungsprozessen sein oder sich als de-facto Standard am Markt durchsetzen.

Ein Blick voraus. Glauben Sie, dass Daten künftig noch eine größere Rolle spielen und kann die EU mit ihrer Digitalstrategie Datenmonopolisten wie Google etwas entgegensetzen?

Daten bilden die Grundlage für digitale Produkte und Dienstleistungen und damit für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft der Zukunft. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass sich die verschiedenen Ebenen der Politik auf Bundesebene und europäischer Ebene mit den Auswirkungen dieser Entwicklungen auf Wirtschaft und Gesellschaft auseinandersetzen. Dabei sollte es weniger darum gehen, einzelnen Akteuren etwas entgegenzusetzen, sondern darum, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Wirtschaft und Gesellschaft die digitale Transformation so gestalten, dass alle Menschen von der Digitalisierung und den resultierenden Vorteilen profitieren.