Die Niedrigzinspolitik der EZB wird mindestens noch fünf weitere Jahre Bestand haben – davon geht BVR- Präsidentin Marija Kolak aus. Im Interview mit der Deutschen Handwerks Zeitung sprach sie über niedrige Zinsen, die Nähe zum Kunden und die Konkurrenz der Fintechs.
Karin Birk und Steffen Range

DHZ: Frau Kolak, die Europäische Zentralbank hat jüngst noch einmal die Geldschleusen aufgemacht. Müssen wir uns noch längere Zeit auf eine Welt ohne Zinsen einrichten?
Marija Kolak: Wir gehen davon aus, dass die Niedrigzinspolitik der EZB mindestens noch fünf weitere Jahre Bestand hat. Wir nähern uns damit den Verhältnissen in Japan an, dort gehören niedrige Zinsen seit Jahren zum Alltag. Die Herausforderungen dabei sind für alle Beteiligten immens. Das gilt insbesondere für die Sparerinnen und Sparer und ihre Altersvorsorge. Es gilt aber auch für Kreditnehmer, die sich durch billiges Geld nicht blenden lassen dürfen. Und es gilt für Banken, deren Zinsmargen deutlich unter Druck kommen.
DHZ: Manch eine Volksbank verlangt von Geschäfts- und Privatkunden mit höheren Einlagen bereits Negativ-Zinsen oder Verwahrentgelte. Steht das bald allen ins Haus?
Kolak: Soweit würde ich nicht gehen. Es bleibt eine kaufmännische Entscheidung jeder Bank vor Ort. Das Problem ist doch, dass alle Banken für ihre überschüssige Liquidität, die sie bei der EZB parken, einen Strafzins von 0,5 Prozent bezahlen müssen. Dauerhaft kann das keine Bank finanzieren. Sie wird diese Kosten gerade für größere Beträge weitergeben müssen. Diese Strafzinsen sind aber nur ein Problem. Uns macht – wie allen Banken – die gesamte Zinssituation zu schaffen.
DHZ: Das heißt?
Kolak: Die Zinsmargen sind deutlich unter Druck. Bis vor einigen Jahren hat eine Kunde etwa für einen Hypothekenkredit durchschnittlich 7,5 Prozent bezahlt. Heute sind es teilweise nur noch 0,42 Prozent. Und bei Einlagen müssen die Banken je nachdem noch einen Strafzins bezahlen. Die Geschäftsgrundlage im reinen Zinsgeschäft funktioniert damit schlechter und schlechter. Das ist eine Bedrohung für das ganze Finanzwesen. Auch die jetzt vereinbarte Staffelung der Strafzinsen hilft da nur bedingt.
DHZ: Der ein oder andere Politiker verlangt ein Verbot von Negativzinsen. Was halten Sie davon?
Kolak: Wir sind strikt gegen Verbote. Preise sollten sich am Markt bilden. Wir raten aber allen Kunden, mit ihren Bankberatern zu sprechen. Sie müssen über die notwendige Liquidität reden, über Investitionsvorhaben und deren Finanzierung und darüber, wo das Geld zwischendurch werthaltig geparkt werden kann. Das Girokonto dient dem Zahlungsverkehr. Es ist kein Sparprodukt.
DHZ: Sie haben die negativen Auswirkungen der Niedrigzinspolitik auf die Altersvorsorge angesprochen. Was heißt das konkret?
Kolak: Die Altersvorsorge vieler Kunden wird an Wert verlieren. Wenn sie über Jahre sehr niedrige oder gar keine Zinsen bekommen, verzichten sie auf den Zinseszinseffekt. Das Frustpotenzial der Menschen wird zunehmen. Darüber hinaus wächst die Gefahr von Blasen an den Aktien- und Immobilienmärkten. Hinzu kommt, dass es auch für Finanzdienstleister immer schwerer wird, ihre früher gegebenen Versprechungen von bestimmten Garantiezinsen einzuhalten. Für den Einzelnen werden sich enorme Lücken in der Altersvorsorge auftun. Auf lange Sicht wird das auch zu verstärkter Altersarmut führen. Dies gilt umso mehr, da die Wohneigentumsquote in Deutschland relativ gering ist.
DHZ: Braucht es jetzt mehr staatliche Anreize für das Sparen?
Kolak: Was wir in jeden Fall nicht brauchen, ist eine Finanztransaktionsteuer. Es ergibt keinen Sinn, Sparer auf der einen Seite durch Zulagen zu fördern, um es ihnen auf der anderen Seite wieder wegzunehmen. Wenn der Staat möchte, dass seine Bürger Aktien und andere Papiere kaufen, dann sollte er nicht jeden Kauf oder Verkauf besteuern. Außerdem spart der Staat durch die niedrigen Zinsen Milliarden. Davon könnte er den Sparern etwas zurückgeben. Im aktuellen konjunkturellen Umfeld sollte er dafür sorgen, dass mit Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Gesundheit oder Klimaschutz eine nachhaltige Wertschöpfung gefördert wird.
DHZ: Kommen wir zum Kreditgeschäft. Wie hat sich die Niedrigzinspolitik auf die Kreditvergabe ausgewirkt? Und was heißt es für das Handwerk?
Kolak: Wir haben in allen Segmenten zugelegt, auch im Kreditgeschäft. Es ist mittlerweile auf 590 Milliarden Euro gewachsen. Dabei haben wir unseren Marktanteil erhöht. Und für Handwerker heißt es: Sie kommen noch immer gut an Kredite, wenn ihre Bonität stimmt. Trotzdem ist auch im Handwerk Vorsicht geboten. Noch läuft die Handwerkskonjunktur gut, aber gesamtwirtschaftlich sehen wir eine wirtschaftliche Abkühlung. In diesem Umfeld sollte sich niemand leichtfertig vom billigen Geld verleiten lassen. Dies gilt insbesondere für Investitionen, die wirtschaftlich nicht sinnvoll sind und einem später auf die Füße fallen. Investiert werden sollte in die Zukunftsfähigkeit der Betriebe, also beispielsweise in die Digitalisierung.
DHZ: Besteht nicht für die Banken, die in letzter Zeit auf Expansion gesetzt haben, die Gefahr, sich vermehrt schlechte Risiken ins Haus zu holen?
Kolak: Das Risikomanagement ist für uns nichts Neues. Nur ist in den vergangen Jahren das Thema für die Öffentlichkeit in den Hintergrund gerückt, weil wir angesichts der guten Konjunktur wenige Kreditausfälle hatten. Die Banken sind aber weiter wachsam. Sie fragen, welche Pläne ein Unternehmen mit einer Investition verfolgt und wie es um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens steht. Das bedeutet auch, manchmal keinen Kredit zu vergeben. Deshalb ist das Gespräch mit dem Berater so wichtig.
DHZ: Wir wissen von unseren Handwerkern, dass Bankmitarbeiter beim Thema Digitalisierung eher vorsichtig agieren, wenn es um Darlehen geht. Ganz nach dem Motto: "Das kann ich mir nicht so recht vorstellen, was Sie da planen..."
Kolak: Es würde mich wundern, wenn Kreditinstitute gut geplante Zukunftsinvestitionen ablehnten. Dies gilt insbesondere, wenn sie in Einklang mit der Geschäftspolitik des Unternehmens und den Managementfähigkeiten stehen. Anders sieht es aus, wenn Investitionen und deren Einführung im Betrieb nicht richtig durchdacht sind oder die nötigen Mitarbeiter fehlen. Es ist ja nicht nur damit getan, zum Beispiel eine neue Software anzuschaffen. Sie muss nachher auch laufen beziehungsweise bedient werden.
DHZ: Was bedeutet das schwierige Zinsumfeld für das Geschäftsmodell der Volks- und Raiffeisenbanken und ihre Mitglieder? Müssen ihre Kunden mit höheren Gebühren rechnen?
Kolak: Dafür sind die jeweiligen Bankvorstände vor Ort zuständig. Und die agieren kaufmännisch und sind ihren Anteilseignern verpflichtet. Abgesehen davon erfolgt die breite Meinungsbildung in den Vertreterversammlungen. Je nachdem, wo eine Volksbank angesiedelt ist, ob im ländlichen Raum oder in der Stadt, wird sie auch mit ganz anderen betriebswirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert sein.
DHZ: Drohen weitere Fusionen und Filialschließungen?
Kolak: Wir haben mit 10.520 Bank- und SB-Zweigstellen immer noch das stärkste Vertriebsnetz in Deutschland. Das schließt aber Fusionen nicht aus. Wir haben wie im vergangenen Jahr 40 Fusionen angemeldet. Die Kollegen vor Ort, werden dann überlegen, wie sie die Nähe zum Kunden weiter leben. Sie bleibt weiter unser Ziel. Kundennähe wird aber nicht nur über ein Gebäude oder eine Geschäftsstelle definiert. Gerade Firmenkundenberater gehen eher zum Kunden als umgekehrt. Ansonsten bieten wir von Geschäftsstelle, Telefonie, Onlinebanking, bis zur modernen Banking-App alle Möglichkeiten des Kundenkontakts an. Persönliche Ansprechpartner halte ich nach wie vor für ganz wichtig, insbesondere wenn die wirtschaftliche Situation schwieriger wird und über Überziehungen oder Forderungsausfälle gesprochen werden muss.
DHZ: Die deutschen Kreditinstitute planen eine einheitliche Marke für alle Bezahlsysteme. Was steckt dahinter?
Kolak: Das ist ein Thema, das weit über das Handwerk hinausgeht. Es betrifft, Deutschland, Europa, ist ein weltweites Thema. Es geht um die Frage, was die deutsche und die europäische Kreditwirtschaft den US-amerikanischen oder auch chinesischen Zahlungsdienstleistern entgegensetzen kann. Oder anders gefragt, wollen wir uns in deren Abhängigkeit begeben? Dabei muss jedem von uns klar sein, dass es keine Dienstleistungen umsonst gibt. Bei vielen Anbietern bezahlen wir mit unseren persönlichen Daten. Wir halten das Thema Datenschutz in Deutschland nach wie vor für sehr wichtig. Da gibt es keine Schnellschüsse. Banken und Sparkassen in Deutschland beschäftigen sich intensiv mit den Veränderungen der gesamten Branche. Technologische Entwicklungen, Veränderungen im Wettbewerbsumfeld und regulatorische Fragestellungen sind Gegenstand von Gesprächen, zu denen sich Verbände und Mitgliedsinstitute austauschen.
DHZ: Die Konkurrenz schläft auch sonst nicht. Direktbanken und Smartphone-Banken wie N26 wachsen enorm. Was können die Genossenschaftsbanken dem entgegensetzen?
Kolak: Gerade im Firmenkundengeschäft haben wir einen starken Marktanteil. Das gilt insbesondere für Gründer. Wenn ein Handwerker eine Existenzgründungsfinanzierung braucht, wird er wohl eher nicht zur Fintech-Konkurrenz gehen. Wir beobachten den Wettbewerb sehr genau. Und wir kennen unsere Stärken. Wir haben langjährige Erfahrung im Geschäft mit Gewerbetreibenden. Und wir wissen auch, dass es Handwerker gibt, die insbesondere den persönlichen Kontakt wertschätzen. Den pflegen sie ja selbst mit ihren Kunden.