Ein Orthopädieschuhtechniker entwickelt Kinnhalter mit besonderen Eigenschaften und nimmt einem Geiger den Schmerz.
Frank Muck

Als Orthopädieschuhtechnikermeister Josef Bögelein einst in seiner Praxis wieder einmal den georgischen Cellisten Surab Schamugia behandeln wollte, saß im Behandlungsraum ein Herr, der seinen Kopf zur Seite beugte und mit der Hand den Hals und den Unterkiefer hielt: Mamuka Paresi. Der Geiger hatte als Fahrer fungiert und seinen Landsmann Schamugia nur zur Behandlung in Bögeleins Praxis im Kipfenberg im Altmühltal gebracht. Die beiden Streicher spielen zusammen im georgischen Kammerorchester in Ingolstadt. „Chauffeur“ Paresi machte den Eindruck, als ob er selbst eine Behandlung – und zwar am Kiefer – nötig hatte.
Nerv und Blutzufuhr werden abgedrückt
Ob er etwa Zahnschmerzen habe, fragte Bögelein Paresi. Schmerzen habe er schon, antwortete Paresi, aber nicht an den Zähnen. Es sei vielmehr seine Geige, die ihm Beschwerden bereite. Wie bei vielen Geigern drücke ihm der Kinnhalter der Geige die Blutzufuhr am Hals und den Trigeminus-Nerv ab, auch Geigerfleck oder Geigerschwiele genannt. Darunter leidet die Blutzufuhr und das Nervensystem wird gestört. Im schlimmsten Fall führt der Druck zu Lähmungserscheinungen. Paresi hätte normalerweise bis zum Abklingen der Entzündung mit dem Geigespielen pausieren müssen.
Natürlich gebe es gegen dieses Leiden auch einige Polster auf dem Markt. Doch deren Effekt sei leider zu gering, klagte Paresi. Mehr im Spaß fragte Bögelein ihn, ob er dem Geiger etwas bauen soll, was diesen Schmerzen vorbeuge. Dieser fand den Vorschlag charmant und so begab sich Josef Bögelein daran, eine bessere Lösung zu konstruieren.
Geige behält auch mit Polster unverfälschten Klang
2015 startete der Orthopädieschuhtechniker mit den ersten Prototypen. Die Idee war, die Kinnauflage so zu verbessern, dass sie eine spürbare Entlastung für Nerven und Blutzufuhr bringt. Nur etwas Schaumgummi mit Stoffbezug reichte nicht aus. Auf den Geigenteller legte er ein anatomisch geformtes Polstermaterial aus Zellkautschuk. Bögelein setzt das Material, das gelartige Eigenschaften besitzt und sich gut wieder in seine Ausgangslage zurückformt, auch in seinem Beruf ein. Als Bezug nutzt Bögelein Lamm-Nappaleder, das sich dem Druck sehr gut anpasst. Das Leder gibt den Weichheitsgrad vom Polster weiter und bleibt nicht an der Haut haften. Kieferknochen und Nerven werden entlastet. Paresi probierte den neuen Kinnhalter aus und war nach eigenem Bekunden nach sechs Wochen schmerzfrei. Das Ziel war erreicht. Doch ein Unsicherheitsfaktor blieb. Würde das Polster den Klang der Geige verändern? Auch das ließ Bögelein prüfen. Im Tonstudio testeten Fachleute, ob die Geige ihrem Klang treu blieb. Und das tat sie.
Nachdem diese technischen Unwägbarkeiten geklärt waren, wurden nach und nach die Geiger und Bratschisten des Orchesters, in dem Paresi spielt, mit den Kinnpolstern ausgestattet.
Musikgroßhandel will Vertrieb übernehmen
Bögelein verfeinerte seinen Kinnhalter „Trigemi“ immer weiter. Die Musiker können sich – je nach Geigenmodell – verschiedene Teller anfertigen lassen. Um Allergien gegen Nickelanteile im Metall vorzubeugen, wurde auch die Befestigung des Tellers auf der Geige mit Leder überzogen. Ende 2015 meldete Bögelein sogar ein Patent für das Kinnpolster an.
Inzwischen hat Bögelein rund 350 Stück verkauft. Dabei soll es nicht bleiben. Den Vertrieb hat er in andere Hände gelegt und die Werbung auf entsprechenden Webseiten soll ausgebaut sowie die Vermarktung professionalisiert werden. Erste Erfolge haben sich dieses Jahr bereits auf der Frankfurter Musikmesse ergeben. Drei Firmen des Instrumentengroßhandels haben Interesse am Vertrieb seines Kinnhalters bekundet.