TV-Kritik Mittelständler bei Illner: Wie der Brexit die Unsicherheit schürt

Brexit-Deal, nein. Ungeordneter Austritt, nein. Fristverlängerung? Ja, bitte. Am Donnerstagabend machte Maybrit Illner das Chaos im britischen Unterhaus zum Thema in ihrer ZDF-Talkshow. Dabei lieferte der Chef eines Fertigbäderbau-Betriebs aus Sachsen-Anhalt einige Einsichten in die Gefühlswelt des Mittelstands kurz vor dem Brexit.

Markus Riedl

Dietrich von Gruben ist Chef eines mittelständischen Fertigbäderbau-Betriebs. Bei Maybrit Illner beschrieb er, wie der Brexit die Unsicherheit im Mittelstand schürt. - © Screenshot: ZDF.de

Sicherheit, Ruhe, Planbarkeit. Dietrich von Gruben beschwor immer wieder diese drei Voraussetzungen, die Handel und effizientes Wirtschaften erst ermöglichen. "All das ist wichtig für uns, es ist die Grundlage unseres Geschäfts", sagte der Geschäftsführer der Deba Badsysteme GmbH, als er nach den Vorteilen gefragt wurde, die die EU für ihn und sein Unternehmen bringe. Das macht seinen Umsatz zu weit mehr als der Hälfte eben genau dort, wo die EU künftig aufhören soll - in Großbritannien. Klar, dass von Gruben nichts von der Aussicht hält, dass sein wichtigster Absatzmarkt künftig nicht mehr so leicht zugänglich sein könnte wie bisher. Ein No-Deal-Brexit wäre sein Alptraum. "Auf keinen Fall sind wir für ein Ende mit Schrecken, denn wir sind ja so verzahnt mit Großbritannien, dass es schwierig wäre, all das wieder auseinander zu dividieren." Ob beim Zoll, bei der Niederlassungsfreiheit oder bei steuerlichen Dingen - "der Brexit wäre eine Katastrophe", stellte von Gruben fest.

In dieser Ansicht war er sich mit beinahe allen anderen Teilnehmern der Runde einig. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag und früherer Vizepräsident des Europäischen Parlamente, Alexander Graf Lambsdorff, Susanne Schmidt, Tochter des Altkanzlers Helmut Schmidt und Finanzexpertin und der irische Journalist Derek Scally warnten eindringlich vor den ganz unterschiedlichen Folgen des Brexits, vor allem in seiner No-Deal-Form. Scally verwies als Ire vor allem auf die möglicherweise im Zuge einer Grenzschließung zu Nordirland dort wieder aufflammende Gewalt. Lambsdorff verteidigte die Haltung der EU in den Verhandlungen mit London, zeigte sich aber stets aufgeschlossen, den Briten auch immer wieder aufs Neue entgegenzukommen. Und Schmidt bemängelte, dass auch Theresa May nie mit den Vertretern der Wirtschaft darüber gesprochen habe, wie es denn nach dem Brexit weitergehen könnte.

Komplexes Thema, mehrere Blickwinkel

Einzig die britische Journalistin Anne McElvoy stellte sich in Teilen hinter ihre Landsleute, warb für Verständnis den Briten gegenüber und attestierte auch der EU Fehler im Umgang und beim Ton, den sie den Briten gegenüber angeschlagen hatte. "Das Referendum ist ja ein Fakt, und auch die EU hat wenig gelernt in der Zeit seit 2016", sagte sie. Allzu direkt und konfrontativ wurde es während der interessanten 60 Minuten allerdings nie. Das lag vor allem an der Zusammenstellung der Runde, die - sehr wohltuend, verglichen mit den meisten anderen Polittalks - komplett ohne politische Lautsprecher und deren steile Thesen auskam. So blieb mehr Zeit, das komplexe Thema aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Politik, Finanzen, die Sorgen und Ängste der Menschen in den am Brexit direkt beteiligten Staaten - Großbritannien und Irland - all das wurde ruhig und überlegt von der souverän moderierenden Maybrit Illner abgearbeitet.

Dietrich von Gruben fiel dabei der Part des Praktikers zu. Er kam zu Beginn der Sendung eher spärlich zu Wort, mit steigender Sendezeit jedoch häufiger, und lieferte Einblicke in das Seelenleben eines mittelständischen Handwerksunternehmens, das direkt vom Brexit betroffen ist. Da war beispielsweise die Frage nach der konkreten Vorbereitung auf den Brexit, der ja immerhin schon 2016 beschlossen worden war. Doch da konnte von Gruben nur lächeln. Was hätte er denn auch machen sollen? "2016 waren wir nicht vorbereitet, und da ist das Pfund nach dem Referendum um zehn Prozent gefallen, was uns direkt eine Million Euro gekostet hat", rechnete er vor. Und danach?

Für Wirtschaft und Mittelstand ist die Unsicherheit schlimm

"Erst haben wir gewartet, wann denn der Vertrag kommt zwischen der EU und Großbritannien, und als dann der Vertrag da war, war die Frage: Wird dem dann zugestimmt?" Sprich: Die Unsicherheit, der größte Feind des Unternehmers, war seit dem Referendum 2016 der ständige Begleiter auch von Grubens, doch irgendwann musste es ja losgehen mit den Vorbereitungen. "Seit vier bis sechs Wochen sind wir jetzt aber bisschen in Hektik und klären mit unseren Spediteuren, wie wir unsere Bäder auch nach einem Brexit überhaupt weiter nach England bringen." Ob es denn Zölle auf seine Bäder geben werde, wollte Illner wissen. "Das könnte sein. Es wurde ja angekündigt, dass die britische Regierung auf 87 Prozent der Waren keine Zölle erheben will. Aber welche das sind, das haben sie noch nicht gesagt", antwortete von Gruben. "Die Unsicherheit ist schon schlimm."

In mehreren Einspielern brachte die Illner-Redaktion wichtige Fakten in die Debatte ein. Als es um die Wirtschaft ging, fiel eine Zahl, die aufhorchen ließ. Im Zeitraum der vergangenen zwölf Monate stieg die Zahl der deutschen Firmen, die durch den Brexit eine Verschlechterung für ihr Geschäft befürchten, von 36 auf 71 Prozent. Im Klartext: Der Brexit dürfte ökonomisch nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern auch diesseits des Ärmelkanals seine Spuren hinterlassen, gerade auch beim Mittelstand. "Wenn Sie heute auf eine Baustelle mit 30, 40 Etagen gehen", schilderte von Gruben es plastisch, "sehen sie dort die ganze Welt - Inder, Rumänen, Litauer, Polen. All das wieder auseinander zu bekommen bei einem Brexit, das kann ich mir kaum vorstellen." Für weitere Verwirrung dürfte also gesorgt sein, und das nicht nur bei einem ungeregelten Brexit.

Versöhnliches Ende: "Ich möchte gerne eine Badewanne von Ihnen kaufen"

Vielmehr wiesen die Diskussionsteilnehmern darauf hin, dass nach der "Scheidung" ja erst die eigentlichen Verhandlungen über die Neuordnung der Modalitäten der künftigen Beziehungen begännen. Doch dieses dicke Brett noch ausführlich zu bohren, dafür war schließlich keine Zeit mehr. Von Gruben berichtete dafür noch einmal von den Aussagen vieler Politiker, die darauf hingewiesen hätten, die Unternehmen müssten sich eben "auf alles vorbereiten." Das konnte freilich nur wie Hohn klingen. "Wir wollten Klarheit, und was waren das denn dann für Aussagen!", sagte er. Viel süßer klang indes die Stimme der britischen Journalistin Anne McElvoy in von Grubens Ohr, die ihm lächelnd versicherte: "Ich möchte nach wie vor gerne eine Badewanne von Ihnen kaufen." Und das war dann auch ein versöhnlicher Schlusspunkt einer diszipliniert und fundiert diskutierenden Runde.

Sehen Sie hier die gesamte Sendung: Maybrit Illner am 14. März 2019