Auch zwei Jahre nach der Flutkatastrophe gibt es noch Schicksale, die berühren. Das ZDF zeigte in einer gelungenen Reportage, wie das Handwerk vor Ort unterstützt, aber auch, wie Fachkräfte- und Materialmangel sowie überbordende Bürokratie den Wiederaufbau hemmen. Und dann war da noch der Kampfgeist einer Augenoptikerin, die sowohl Geschäft als auch Privathaus verloren hat.

Ohne ihren Mann, sagt die Stimme aus dem Off, wäre Nora Nechad schon pleite. Pleite, weil ihr Optiker-Geschäft von den Fluten Anfang Juli 2021 zerstört wurde und noch kein neuer Ort für den Betrieb in Sicht ist. Pleite, weil sie den Verdienstausfall als Selbstständige selbst tragen muss und die Versicherung dafür nicht zahlt. Pleite, weil der Wiederaufbau im Ahrtal lange Zeit so schleppend lief. Pleite auch, weil es zwischenzeitlich kein Material für Bau und Reparatur von Häusern gab. Und pleite, weil dieser toxische Mix aus Naturkatastrophe und menschlichem Versagen sowohl während als auch nach der Flutnacht vielen Menschen jegliche Hoffnung nahm.
Am Ende des sehenswerten Films "Was wir retten konnten" wird Nechads Mann Soufyan, seines Zeichens Vertriebsmanager, resümieren, dass in Deutschland Dinge, die im Ausland in kürzester Zeit umgesetzt werden, Jahre brauchen. "Wir haben uns allein gelassen gefühlt, nicht nur wir, sondern viele andere. Das ist halt alles Bürokratie und dauert alles sehr, sehr lange." Ein bitteres Fazit, zwei Jahre nach der Flut im Ahrtal, die so viele Leben kostete und noch mehr Leben nachhaltig negativ veränderte.
Der Wiederaufbau: Herkulesaufgabe für das Handwerk
Neben Nechad begleiteten die ZDF-Journalisten zwei ältere Ehepaare über knapp zwei Jahre bei ihrem Kampf um den Wiederaufbau ihrer Häuser. Die einen haben Ärger mit der Versicherung, die nicht zahlen will, bei den anderen wiederum kommen die Reparaturen nicht voran, weil Handwerker schwer zu bekommen sind, weil Material fehlt oder die Schäden einfach zu massiv sind, um sie zeitnah zu beheben.
Dabei kann man keinesfalls sagen, dass das Handwerk im Ahrtal nicht geholfen hätte. Es gab Aufrufe zur Unterstützung, denen auch viele Betriebe folgten. Dennoch, die Schäden waren derart umfassend und zahlreich, dass es einer Herkulesaufgabe gleichkam, sie einigermaßen zeitnah zu beseitigen. Das Ehepaar Derra etwa, das im Film gezeigt wird, hat sich im Obergeschoss seines Hauses eine Übergangs-Unterkunft eingerichtet, während sich die Arbeiten im Haus hinziehen. "Wir freuen uns, dass Sie da sind, seit zwei Wochen war jetzt keiner mehr da", sagen die beiden, als sie Handwerker im Haus antreffen, die gerade dabei sind, eine Stuckdecke herzurichten und zu tapezieren. Trocknen, verputzen, kernsanieren – es sind ganz unterschiedliche Aufgaben, die auf die Handwerker im Ahrtal gewartet haben und noch immer warten. Und immer sind sie mit den Entbehrungen und Hoffnungen der Menschen konfrontiert, die ihr Hab und Gut verloren haben. Kein einfacher Job, ganz im Gegenteil.
Betriebe helfen, doch die Herausforderungen sind riesig
Die Reportage zeigte denn auch neben den konkreten Schicksalen auf eindringliche Weise, wie stark der Wiederaufbau auch vom Engagement von Betrieben abhing und abhängt. Wo Versicherungen abblocken und staatliche Hilfe nur zögerlich kommt, packen Betriebe an und helfen, nicht nur beim Aufräumen nach der Flut, sondern auch bei Wiederaufbau – und sind dabei von der schieren Größe der Aufgabe mitunter dennoch überfordert.
Sachverständige begutachten beispielsweise immer wieder das Haus von Familie Erler aus Kall, das schwerste Schäden davongetragen hat und vor dem Abriss steht, und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Frage, ob das Haus vielleicht doch noch zu retten ist, ist nicht leicht zu beantworten. Ein Hin und Her entwickelt sich, das die Eigentümer zermürbt, die Versicherung will nicht zahlen – und schließlich steht nach quälend langer Zeit immerhin die Entscheidung, dass das Haus zwar abgerissen werden muss, aber Geld von der Versicherung fließt.
Ein neuer Laden – und die Fallstricke der deutschen Bürokratie
"Handwerkermangel, Lieferprobleme, Abstimmungen mit der Versicherung und Genehmigungsverfahren" seien es indes bei Nora Nechad gewesen, heißt es im Film, die den Aufbau eines neuen Optiker-Ladens in Bad Neuenahr-Ahrweiler lange Zeit behinderten. Die Optikerin hatte 2021 auch ihr eigenes Heim verloren und lebte zeitweise mit Mann und Kindern bei ihren Eltern. Ein ehemaliger Blumenladen soll schließlich als neue Heimstatt des Betriebes von Nora Nechad dienen, nachdem sie sich vom Wiederaufbau des alten Ladens – einem Stück Familiengeschichte, wie es heißt – verabschieden musste. Behördenauflagen, Versicherungen und so weiter, es ging nichts mehr am alten Standort.
Doch kaum ist ein möglicher neuer Ort in besserer Lage gefunden, da kommen schon die nächsten Probleme auf. Bei einem Treffen mit einer Vertreterin der Handwerkskammer Koblenz fallen Begriffe, die jeder Unternehmer kennen und fürchten dürfte, etwa Brandschutz, Notausgänge, Auflagen. Deutschland sei halt eine "Behördenlandschaft", sagt die Vertreterin der Kammer, und dass es schön wäre, wenn es weniger Auflagen gäbe.
Am gravierendsten ist indes die Frage, ob die Nutzungsänderung vom Blumenladen zum Optiker-Geschäft durchgeht. Da gebe es schließlich andere Anforderungen. Nach dem Bauantrag des Architekten werde dieser "an die verschiedensten Fachabteilungen weitergeleitet", so die HWK-Vertreterin. Gewerbeaufsicht, Brandschutz, Baubehörde – jeder hat noch ein Wörtchen mitzureden. Was in normalen Zeiten schon mindestens ärgerlich ist, wird angesichts solcher Schicksale wie im Ahrtal zur bürokratischen Farce. Und dazu – das gehört auch zur Wahrheit – kommt der allgegenwärtige Handwerkermangel.
Am Ende bleibt trotz allem Hoffnung
Die Szenen ein Jahr nach der Flut, gedreht im Jahr 2022, stammen sicherlich aus einer Zeit, in der die Mangellage gerade bei den Baumaterialien extrem war, und mittlerweile hat sich diesbezüglich einiges gebessert. Damals fehlten, wie es in der Reportage heißt, beispielsweise ganze Türen. Dennoch ist der Optiker-Laden von Nora Nechad bis heute noch in Übergangs-Räumen untergebracht. Es tut sich zwar etwas am neuen Standort, wie ein weiterer Besuch des ZDF-Teams im April 2023 zeigt, aber fertig ist man noch nicht, wie auch aktuell aus Nechads Webseite hervorgeht.
"Irgendwann in 2023" will sie öffnen, ein konkretes Datum nennt die Optikerin aber nach mehreren bereits verschobenen Terminen nicht mehr. Immerhin spricht sie mittlerweile von "Endspurt". Hier noch eine Wand in die neuen Räume einziehen, da noch Estrich. Und dann kommt ein Moment, in dem die so arg gebeutelte Betriebschefin besonders hoffnungsvoll wirkt, noch mehr als sie sich in der gesamten Dokumentation ohnehin zeigte. Dann spricht sie davon, dass "auch wieder bessere Zeiten", kämen. Und auch das gilt hoffentlich nicht nur für sie, sondern für viele Menschen im Ahrtal.
>>> Die komplette Sendung können Sie sich hier ansehen: 37 Grad: Was wir retten konnten