Branchenvertreter haben immer wieder davor gewarnt, dass Handwerksbetriebe indirekt betroffen sein könnten: Nun tritt das deutsche Lieferkettengesetz, das den Schutz der Menschenrechte entlang globaler Lieferketten verbessern soll, zum 1. Januar 2023 in Kraft. Jan Dannenbring, Arbeitsmarktexperte beim ZDH, erklärt, inwieweit Unternehmer jetzt aktiv werden müssen.
Weltweit sind 79 Millionen Jungen und Mädchen von ausbeuterischer Kinderarbeit betroffen, 25 Millionen Menschen verrichten Zwangsarbeit. Das sind Zahlen, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) nennt. Die Politik sieht für diese Zustände auch die Unternehmen verantwortlich. Sie sollen künftig dafür Sorge tragen, dass in ihrer gesamten Lieferkette – vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt – Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Dazu verpflichtet sie ab 1. Januar 2023 ein neues Gesetz: das "Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten" (LkSG) – kurz Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder Lieferkettengesetz. Es wurde am 25. Juni 2021 vom Bundesrat bewilligt.
Welche Unternehmen betrifft das Gesetz?
In einem ersten Schritt wendet sich das Gesetz an Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Das betrifft rund 900 Unternehmen in Deutschland, heißt es beim BMZ. Die Firmen müssen unter anderem ein Risikomanagement einführen, um Gefährdungen für Menschenrechte und Umweltstandards im eigenen Unternehmen, aber auch bei ihren Zulieferern auszumachen. Einzurichten ist zudem ein Beschwerdeverfahren, damit Unternehmen bei klaren Hinweisen auf Verstöße direkt tätig werden können. Außerdem müssen die Firmen jährlich einen Unternehmensbericht über die Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten auf ihrer Website veröffentlichen
Stellt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) fest, dass Verletzungen oder Versäumnisse vorliegen, drohen Unternehmen hohe Bußgelder und zusätzliche Sanktionen wie der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.
Sind auch Handwerksbetriebe vom Lieferkettengesetz betroffen?
Grundsätzlich dürfte das Lieferkettengesetz die wenigsten Handwerksbetriebe berühren. Die Bestimmungen könnten sie aber indirekt treffen, wenn sie Zulieferer betroffener Großunternehmen sind. Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, warnte davor bereits im Frühjahr 2021: "Es steht zu befürchten, dass die größeren Unternehmen die sie treffenden Sorgfaltspflichten im Rahmen der Vertragsgestaltung auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen in ihrer Lieferkette abwälzen." Branchenvertreter und Rechtsexperten kritisierten die möglichen Folgen für Handwerksbetriebe. Dazu zählten neben belastender Bürokratie auch Wettbewerbsnachteile und Schadensersatzrisiken.
Jan Dannenbring, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt/Tarifpolitik beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), teilt diese Bedenken. "Ich befürchte, dass Großunternehmen mit Fragebögen auf die Handwerksbetriebe zukommen", so seine Vermutung. "Darin könnten sie die Betriebe dazu aufrufen, zu berichten, welche Produkte sie verarbeiten, welche Arbeitsbedingungen in ihrem Unternehmen gelten, und ob Umweltstandards eingehalten werden."
Inwieweit müssen Handwerksbetriebe jetzt aktiv werden?
Ob das wirklich passiert, sei aber noch ein großes Fragezeichen, so Dannenbring. Der ZDH und andere Verbände hätten kleine und mittlere Unternehmen vorab zu ihren Erfahrungen befragt. "Dabei kam heraus, dass es bisher nur in Einzelfällen dazu gekommen ist, dass große Unternehmen vorsorglich Fragebögen an die Betriebe versandt haben", sagt Dannenbring.
Bevor Handwerksbetriebe selbst aktiv werden, sollten sie erst einmal abwarten, ob ihre industriellen Auftraggeber auf sie zukommen, rät der Arbeitsmarktexperte. "Sollte das der Fall sein, empfehle ich, sich an den für das jeweilige Gewerk zuständigen Verband zu wenden. Dort gibt es Ansprechpartner, die den Betrieben bei Fragen zum Lieferkettengesetz helfen können", sagt Dannenbring.
Eine Ausnahme gilt seiner Einschätzung nach für Handwerksbetriebe, die im Ausland tätig sind. Diesen rät Dannenbring, sich über das Lieferkettengesetz zu informieren. Eine konkrete Unterstützung bietet hierbei der KMU-Kompass. Dabei handelt es sich um ein vom BMZ in Auftrag gegebenes Online-Tool speziell für kleine und mittlere Unternehmen und Betriebe, das Anleitungen und Praxishilfen zur Umsetzung der Sorgfaltsprozesse bietet. >>> Hier geht es zum KMU Kompass.
"Nur wenige Handwerksbetriebe sind allerdings grenzüberschreitend außerhalb der EU tätig", sagt Dannenbring. Außerdem vermutet er, dass die Großunternehmen beim Aussenden ihrer Fragebögen differenziert vorgehen werden. "Ich stelle mir vor, dass sie zunächst auf diejenigen Zulieferer zugehen, die im außereuropäischen Ausland sitzen, statt auf die deutschen und europäischen Zulieferer". Welche konkreten Auswirkungen das Lieferkettengesetz für Handwerksbetriebe tatsächlich hat, werde die Praxis zeigen.
Union fordert, das Lieferkettengesetz auszusetzen
Am 15. Dezember hat der Bundestag über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion beraten. Die Union fordert darin, den Start des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf den 1. Januar 2025 zu verschieben. Die CDU-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner sagte, die Bundesregierung müsse dringend gegen die drohende Rezession und die Arbeitsplatzverluste steuern. Die zusätzlichen Belastungen durch das zum 1. Januar 2023 in Kraft tretende Lieferkettengesetz kämen für die Betriebe zur Unzeit.
Der Bundestag verkündete nach den Beratungen, dass der Start des Lieferkettengesetzes "nach der Krise bürokratiearm" umgesetzt werden soll. Der Antrag sei anschließend zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen worden.
Auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hatte vor den Beratungen gefordert, das Lieferkettengesetz am besten für diese Legislaturperiode auszusetzen. Diese läuft bis Herbst 2025. Dulger sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: "Die Wirtschaft darf in dieser Krisenzeit nicht weiter belastet werden. Wir stehen hinter den Zielen des Gesetzes, wir brauchen aber eine Atempause von weiteren Regulierungen und Belastungen. Bundestag und Bundesregierung müssen pragmatisch nach Lösungen suchen." dpa
EU plant eigenes Gesetz – welche Auswirkungen hat das auf das deutsche Lieferkettengesetz?
Ab 2024 sieht das deutsche Lieferkettengesetz vor, dass die Sorgfaltspflichten auf weitere Unternehmen ausgeweitet werden. Dann sind auch Firmen mit bis 1.000 Beschäftigten zur Umsetzung verpflichtet. Überdies plant die EU ein eigenes Lieferkettengesetz, das dann für alle Länder der Europäischen Union gelten würde. Einen Vorschlag dazu hat am 1. Dezember der EU-Ministerrat vorgelegt. Dieser sieht vor, dass die Richtlinien für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von 300 Millionen Euro oder für Nicht-EU-Unternehmen mit einem in der EU erzielten Nettoumsatz von 300 Millionen Euro gelten.
Beschließt die EU ein neues Lieferkettengesetz, muss auch Deutschland sein eigenes Gesetz anpassen. Zunächst sind aber weitere Verhandlungen nötig. Laut ZDH ist die Abstimmung im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments für März 2023 geplant. Die darauf folgenden sogenannten "Trilogverhandlungen" mit dem Rat könnten frühestens nach der Plenumsabstimmung im Mai 2023 beginnen. "Dass Deutschland bereits vor der EU ein eigenes Lieferkettengesetz beschlossen hat, stiftet viel Verwirrung und ist für die Betriebe sehr ärgerlich", kritisiert Dannenbring.
Der ZDH fordert, zumindest europäische Lieferketten von der Nachweispflicht auszunehmen. Auch vor dem Hintergrund, dass kleine und mittlere Betriebe des Handwerks hauptsächlich lokal tätig und eher als Zulieferer oder Installateure in größere Wertschöpfungsketten eingebunden seien. "Für Produkte und Dienstleistungen, die innerhalb der Europäischen Union bezogen werden, muss eine Konformitätsvermutung gelten. Die Betriebe müssen davon ausgehen können, dass Menschenrechts- und Umweltstandards innerhalb der EU eingehalten werden", heißt es in einem offiziellen Statement von ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke.
Es gibt aber auch Stimmen, denen das Lieferkettengesetz nicht weit genug geht. So haben 130 Organisationen, darunter NGOs und Gewerkschaften, Schlupflöcher in der aktuellen EU-Position bemängelt. Nach eigenen Aussagen hat die "Initiative Lieferkettengesetz" deshalb am 6. Dezember 2022 eine an Bundeskanzler Olaf Scholz gerichtete Petition mit mehr als 90.248 Unterschriften überreicht. Sie kritisiert etwa, dass der Vorschlag Ausnahmen für Geschäftsfelder wie Waffenexporte oder Finanzinvestitionen enthält.
>>> Weitere Fragen und Antworten für Unternehmen zum Lieferkettengesetz gibt es hier.