Roboter und künstliche Intelligenz können lästige Aufgaben im Arbeitsalltag eines Handwerkers übernehmen und mehr Zeit für andere Tätigkeiten schaffen. Doch bevor es soweit ist, müssen die Betriebe ihre Prozesse digitalisieren.
Steffen Guthardt

Ein Schreiner greift in die Werkzeugkiste und holt den passenden Schraubendreher heraus, um das Regal an der Wand zu montieren. Für den Handwerker ist diese Übung ein Kinderspiel, die er tagtäglich ohne besondere körperliche und geistige Anstrengung vollführt.
Für einen Roboter ist der beschriebene Griff in die Kiste hingegen eine große Herausforderung. Schon seit den 1980er-Jahren arbeiten Techniker und Ingenieure an dieser Methode, die auch als Bin Picking bekannt ist. Der Roboter muss die genaue Lage des Objekts in der Kiste berechnen und die passenden Greifpunkte finden, damit er das Teil richtig zu fassen bekommt und transportieren kann. Hat das Werkzeug viele Kanten und Ecken, liegt es am Rand der Kiste oder wird es zudem von anderen Teilen überlagert, wird die Aufgabe für den Roboter noch schwerer.
Selbstlernende Roboter mit haptischen Fähigkeiten
Mit Hilfe von moderner Bildverarbeitung, diversen in den Roboter integrierten Sensoren und künstlicher Intelligenz (KI) sind die Forscher inzwischen ein gutes Stück vorangekommen, den Robotern solche haptischen Fähigkeiten beizubringen. "Alle bekannten Robotik-Hersteller entwickeln hier derzeit Lösungsansätze. Mithilfe von KI lernt der Roboter bei jedem Griff dazu, und nähert sich so Schritt für Schritt der optimalen Greifposition", erklärt Patrick Schwarzkopf, Geschäftsführer Robotik + Automation des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).
Trotz aller Fortschritte zeigt das Beispiel, dass die Tätigkeiten eines Handwerkers noch nicht ohne Weiteres durch KI & Robotik ersetzbar sind. Zumindest nicht vollständig. Entsprechend wenig sind die Roboter bislang im Handwerk verbreitet. "Derzeit werden laut bereits vorhandener Studien und eigener Betriebsbefragungen nur in rund fünf Prozent der Handwerksunternehmen Roboter eingesetzt", sagt Thomas Planer, Leiter des Bildungszentrums Schweinfurt der Handwerkskammer für Unterfranken und Projektleiter von Robonet 4.0, einem Forschungsprojekt, das die Einsatzchancen von Robotik im Handwerk untersucht. Die KI werde sich in den kommenden Jahren aber deutlich weiterentwickeln und auch der Bereich der Robotik wird hiervon profitieren, ist Planer überzeugt.
Cobot greift Bäckermeister unter die Arme
Wie KI und Robotik das Handwerk künftig entlasten könnten, zeigt ein Forschungsprojekt des 5G Labs der Technischen Universität Dresden und des Startups Wandelbots. In der Bäckerei Tschirch in Görlitz setzt ein sogenannter Cobot (kollaborierender Roboter) einen Teigling nach dem anderen von der Arbeitsfläche auf das Backblech. Dieses Umsetzen ist eine der monotonen und lästigen Aufgaben, die einen Handwerker viel Zeit Kosten. Zeit, die für anspruchsvollere Tätigkeiten genutzt werden könnte, welche das spezielle Fachwissen des Handwerkers erfordern. Bei dem Arbeitsschritt trägt der Bäcker eine Sensorjacke und macht dem Roboter die zu erledigende Aufgabe vor.
"Die KI ahmt nicht nur einfach die Bewegung nach, sondern sie versucht zu verstehen, was der Bäcker möchte und entwickelt dann eine Lösung dafür, die in der Softwareprogrammierung gespeichert wird", sagt Christian Piechnik, Geschäftsführer von Wandelbots. Bäckermeister Michael Tschirch findet den neuen Helfer in der Backstube zwar eine interessante Idee, der Kauf eines solchen Roboters käme aber derzeit für ihn nicht infrage. "Mit meinen sechs Geschäften fühle ich mich noch als typischer Handwerksbetrieb. Alles ist überschaubar und jeder kennt jeden. Ich kann mir nicht vorstellen, einen meiner Mitarbeiter durch solch einen Greifarm zu ersetzen", sagt Tschirch.
Intelligente Helfer werden günstiger und flexibler
Dennoch zeigt das Beispiel, dass Handwerker nicht unbedingt Programmierkenntnisse benötigen , um künstliche Intelligenz für ihre Prozesse nutzen zu können. "Wir sehen einen Trend, der Roboter auch für kleinere Unternehmen wie Handwerksbetriebe interessant macht. Sie werden günstiger, einfacher zu programmieren und zu bedienen und bieten flexiblere Einsatzmöglichkeiten", sagt Experte Patrick Schwarzkopf vom VDMA.
"Hochspannend für das Handwerk", findet Alfred Kailing , stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben und Geschäftsbereichsleiter IT, diese Entwicklung. "Solche Cobots erkennen unterschiedliche Werkzeuge und Materialien. Einmal angelernt, können sie verschiedenste Aufgaben im Betrieb erfüllen."
Kailing führt als Beispiel einen Maschinenbaubetrieb aus der Region Augsburg an. Ein älterer Mitarbeiter der Firma, der bislang die CNC-Maschine bestückte, konnte die Arbeit aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr ausführen. Die Firma investierte daraufhin in einen Roboter, der von seinem menschlichen Kollegen angelernt wurde. Die Aufgabenverteilung hat sich geändert: Der Roboter bestückt nun die CNC-Maschine und die technischen Abläufe werden vom Mitarbeiter überwacht.
Bedarf und Rentabilität berücksichtigen
Allerdings, schränkt Kailing ein, müsste bei der Anschaffung eines Roboters die Rentabilität berücksichtigt werden. Ob sich die Investition rechnet, hänge vor allem von der Auslastung des Roboters ab. Diese sei in einem kleinen Handwerksbetrieb deutlich geringer als in einem Industriebetrieb mit großer Produktionsstraße.
Zudem befindet sich der praktische Einsatz von selbstlernenden Robotern in den Betrieben nach Ansicht von Daniel Hübschmann noch in den Kinderschuhen. Der Projektkoordinator im Kompetenzzentrum für Robotik der Handwerkskammer Dresden beobachtet zwar auch den Trend zu Robotern mit anwenderfreundlichen Benutzeroberflächen, sieht aber dennoch viel Beratungs- und Schulungsbedarf in den Betrieben. "Handwerker sollten zunächst herausfinden, ob es wirklich einen Bedarf für den Roboter gibt", sagt Hübschmann.
"Der typische Handwerker kauft sich lieber für 5.000 Euro eine neue Baumaschine, als 500 Euro in eine Software zu investieren"
Manche Handwerker würden eine solch spezialisierte Tätigkeit ausüben, dass ihnen der Roboter gar nicht helfen könne. Ist diese Frage geklärt, müssten sich Handwerker im nächsten Schritt weiterbilden, um den Roboter optimal in die Prozesse im Unternehmen einzubinden und sein Potenzial auszuschöpfen. "Wir entwickeln Kurse für den Ausbildungs- und Weiterbildungsbereich", sagt Hübschmann. Zudem könnten Schulungen bei den Herstellern der Roboter in Anspruch genommen werden.
Während der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Produktion noch relativ hohe Hürden zu bewältigen hat, bei denen noch weitere Aspekte wie etwa die Arbeitssicherheit berücksichtigt werden müssen, könnte sich künstliche Intelligenz im Büro des Handwerkers deutlich schneller durchsetzen, ist Alfred Kailing überzeugt. "Wenn eine Buchhaltung mit KI versehen wird, lässt sich dort sehr schnell 80 Prozent der Tätigkeit für den Handwerker einsparen." Die Prozesse im Büro seien weitgehend standardisiert und überschaubar, so dass die KI darauf gut ansetzen könne. Zudem sei die Hemmschwelle für eine solche Anschaffung niedriger als in der Werkstatt: "Hier greift die KI nicht in die Kernkompetenz des Handwerkers ein, sondern befreit ihn von einer oftmals lästigen Pflicht."
Laut Kailing ginge es dabei auch ein stückweit um Psychologie. Möglicherweise würden sich manche Handwerker davor scheuen, ein System einzusetzen, das in Teilbereichen schlauer sein könnte als sie selbst und womöglich sogar Arbeitsplätze gefährdet. "Wobei diese Sorgen völlig unbegründet sind", betont Kailing. Künstliche Intelligenz verändere lediglich die Aufgabenverteilung im Betrieb.
Betriebe investieren lieber in Maschinen statt in Software
Thomas Gebhardt , Beauftragter für Innovation und Technologie bei der Handwerkskammer Region Stuttgart, teilt diese Einschätzung und ergänzt: "Eine Software auf Basis von künstlicher Intelligenz lässt sich einfacher, schneller und kostengünstiger in Buchhaltung und Rechnungswesen integrieren als ein Roboter mit KI in die Produktion." Das Handwerk habe jedoch häufig klare Prioritäten bei Investitionen. "Der typische Handwerker kauft sich lieber für 5.000 Euro eine neue Baumaschine, als 500 Euro in eine Software zu investieren", sagt Gebhardt.
Dabei spiele es eine Rolle, dass man es gewohnt sei, viele IT-Anwendungen von Google, Microsoft und Co. kostenlos zu bekommen. Die beiden Vertreter der Handwerkskammern sind zudem überzeugt, dass die Betriebsgröße ein wichtiges Kriterium für den Einsatz von KI-Anwendungen ist. Kleine Firmen mit wenigen Mitarbeitern seien nicht diejenigen, die die KI-Entwicklung vorantreiben würden.
Daten entscheidende Grundlage für KI-Nutzung
Bevor jedoch überhaupt über den KI-Einsatz in Produktion und Büro nachgedacht werden kann, müssen die Handwerksbetriebe zunächst ihre Prozesse digitalisieren, sind sich alle befragten Experten einig. "Betriebe, die in KI investieren wollen, brauchen eine gewisse Datengrundlage, mit der das intelligente System gefüttert werden kann", sagt Rüdiger Scholz, Projektbetreuer des Forschungsprojekts SmartAIWork beim Institut für Betriebsführung des Deutschen Handwerksinstituts.
Massenhafte und dazu noch strukturierte Datensätze haben die meisten Handwerksbetriebe jedoch nicht. "Die nur wenig vorhandenen IT-Kompetenzen und -Strukturen im Handwerk sind der Hauptgrund, warum die künstliche Intelligenz noch nicht in den Betrieben angekommen ist", pflichtet Alfred Kailing bei. Die Unternehmen müssten im ersten Schritt ihre Prozesse digitalisieren, bevor im nächsten Schritt die Vorteile von KI genutzt werden könnten.
Die neuen Technologien einfach zu ignorieren, wäre aus Sicht der Fachleute fatal. Sie sind sich einig, dass die Digitalisierung im Allgemeinen, aber auch Robotik und Künstliche Intelligenz im Besonderen, zu einem Wettbewerbsfaktor im Handwerk werden. Noch nicht heute oder morgen, aber in einigen Jahren.
KI kurz erklärt
Künstliche Intelligenz hat nichts mit Science Fiction zu tun, sondern basiert auf Mathematik und Informatik. Im Forschungsprojekt SmartAIWork (Seite 5) einigten sich die Projektbeteiligten auf eine Definition: "Künstliche Intelligenz sind IT-Lösungen und Methoden, die selbstständig Aufgaben erledigen, wobei die der Verarbeitung zugrundeliegenden Regeln nicht explizit durch den Menschen vorgegeben sind. Bisher erforderten diese Aufgaben menschliche Intelligenz und dynamische Entscheidungen. Jetzt übernimmt dies KI und lernt anhand von Daten, Aufträge und Arbeitsabläufe besser zu erledigen." Eine Teildisziplin von künstlicher Intelligenz ist das Maschinelle Lernen. Eine Weiterentwicklung das Deep Learning mit neuronalen KI-Netzen.