Bis Ende 2018 wollte die Deutsche Telekom alle ISDN-Anschlüsse in Deutschland umstellen. Warum das nicht ganz geklappt hat und wieso das Festnetz trotz WhatsApp und Co. wichtig bleibt, erklärt Klaus Müller, Leiter Strategische Entwicklung und Transformation bei der Deutschen Telekom.
Steffen Guthardt

DHZ: Herr Müller, die Deutsche Telekom wollte bis Ende 2018 alle ISDN-Abschlüsse auf IP umstellen. Wurde das Ziel erreicht?
Müller: Wir sind hier schon sehr weit vorangekommen. Circa 90 Prozent der ISDN-Anschlüsse sind inzwischen auf IP migriert. Die restlichen zehn Prozent der Anschlüsse wollen wir in Kürze umstellen. Parallel bauen wir bereits die alten ISDN-Plattformen zurück, sodass wir mit dem Fortschritt der Umstellung zufrieden sind.
DHZ: Was hat zu den Verzögerungen geführt?
Müller: Uns war es wichtig, bei der Umstellung die Bedürfnisse der Kunden zu berücksichtigen. Wenn ein betroffener Handwerker uns sagte, dass er derzeit so viel zu tun hat, dass es in ein paar Monaten besser passen würde, haben wir versucht das zu ermöglichen. Speziell mit unseren Großkunden waren wir hierzu im engen Austausch und haben die Zeitpläne gemeinsam festgelegt.
DHZ: Und wenn ein Betrieb seinen ISDN-Anschluss behalten will?
Müller: Den Anschluss dauerhaft zu behalten, wird nicht möglich sein. Wir können jedoch auch keinen größeren Widerstand feststellen. Vielmehr haben wir den Eindruck, dass die Kunden erkannt haben, dass die IP-Technik zu einer besseren Übertragungsgeschwindigkeit und -qualität führt und die Routerverwaltung einfacher und bequemer ist.
DHZ: Es gibt aber Handwerker, die an ihrem Standort noch kein schnelles Netz verfügbar haben.
Müller: Das stimmt. Es gibt Regionen, in denen wir nicht bis zum letzten Anschluss hohe Bandbreiten sicherstellen können. Wenn der Standort des Betriebs sehr weit vom nächsten Verteilerkasten entfernt steht, kann der Fall auftreten, dass wir dort nicht mehrere parallele Telefongespräche bereitstellen können. Das ärgert uns, wir würden am liebsten alle unsere Kunden zufriedenstellen. Es ist aber nicht wirtschaftlich darstellbar, 100 Prozent der Anschlüsse standortunabhängig in gleicher Qualität anzubieten. Einen einfachen Telefonanschluss können wir jedoch immer anbieten."Es gibt Regionen, in denen wir nicht bis zum letzten Anschluss hohe Bandbreiten sicherstellen können."
DHZ: Verstehen Sie, wenn die betroffenen Kunden zu einem anderen Anbieter wechseln?
Müller: Den Wunsch können wir nachvollziehen. Aber in den meisten Fällen ist es so, dass an den Standorten, wo wir Probleme haben, der Wettbewerb gar nicht vertreten ist. Die Mitbewerber fokussieren sich meistens auf die Innenstädte, wo mit wenigen Investitionen eine hohe Netzabdeckung erreichbar ist. In vielen Fällen greift der Wettbewerb auf das Netz der Deutschen Telekom zu.
Eine statt drei Rufnummern
Klaus Burmeister ist Gas- und Wasserinstallateurmeister aus Küsten in Niedersachsen. Für seinen Betrieb nutzt er einen ISDN-Anschluss der Deutschen Telekom. Dieser beinhaltet zwei Telefonleitungen und drei Rufnummern. Zum 17. April 2019 wird der Anschluss im Zuge der IP-Umstellung gekündigt. Anstatt der bisherigen drei Rufnummern hat Burmeister beim neu angebotenen Tarif nur noch eine Telefonnummer. "Damit kann ich nicht mehr zwischen geschäftlichen und privaten Gesprächen trennen. Außerdem können Anrufe nicht auf den Anrufbeantworter umgeleitet werden, wenn ich gerade telefoniere", ärgert sich Burmeister. Bisher hatte er separate Telefonnummer für Betrieb, privat und das Faxgerät. Andere Angebote gibt es an seinem Standort nicht, so dass er bei der Deutschen Telekom bleiben wird. Allerdings nutzt er künftig nur noch die Grundversorgung für das Telefon. Für das Internet ist Burmeister zu einem anderen Anbieter gewechselt, der ihm eine kurze Kündigungsfrist bietet. Für das nächste Jahr hofft Burmeister auf ein neues Glasfasernetz, das der Landkreis selbst aufbauen will. Dann will Burmeister seinen Vertrag bei der Deutschen Telekom komplett kündigen.
DHZ: Und was bieten Sie einem Betrieb an, der auf die Deutsche Telekom angewiesen ist?
Müller: Hier gibt es mehrere Optionen. Wir können für den Kunden einen eigenen Übertragungsweg legen. Eine performante Standleitung mit 10 Mbit/s für mehr als zehn parallele Gespräche kostet ab 200 Euro im Monat. Das reicht für die meisten Anforderungen aus. Alternativ kann ein Hybridrouter die Geschwindigkeit des Anschlusses über das LTE-Netz beschleunigen. Oder der Kunde nutzt komplett das Mobilfunknetz, über das sich eine Festnetznummer emulieren lässt.
"Das IP-Netz ist für den Kunden in der Regel nicht teurer als das ISDN-Netz."
DHZ: Über das ISDN-Netz waren Kunden bislang auch bei einem Stromausfall noch erreichbar und konnten einen Hausnotruf absetzen. Über IP ist das nicht mehr ohne weiteres möglich.
Müller: Sollte es zu einem Stromausfall kommen, kann der Kunde immer noch über das Mobilfunknetz telefonieren. Daneben gibt es die Möglichkeit, eine Backup-Batterie an den Router zu klemmen. Wenn der Strom ausfällt, läuft der Router über die Energie der Batterie weiter. Die dritte Option ist ein zusätzlicher Sprachanschluss, der über eine integrierte Spannungsversorgung verfügt. So bleiben Telefone auch bei einem Stromausfall im Haus nutzbar.
DHZ: Nutzt die Deutsche Telekom den IP-Umstieg, um die Tarifpreise zu erhöhen?
Müller: Das IP-Netz ist für den Kunden in der Regel nicht teurer als das ISDN-Netz. Im Gegenteil, er bekommt für das gleiche Geld deutlich mehr Leistung. An vielen Standorten, wo wir bisher maximal 16 Mbit/s anbieten konnten, sind jetzt 100 Mbit/s oder sogar 250 Mbit/s möglich.
DHZ: Und wie sieht es mit den Kosten für neue Endgeräte aus?
Müller: Es ist nicht zwingend erforderlich, dass sich der Kunde alles neu anschaffen muss. Mithilfe einer kleinen Digitalisierungsbox für etwa 250 Euro lassen sich viele ISDN-Telefonanlagen fit für IP machen. Bei sehr alten Telefonanlagen kann ein Geräteaustausch aber sinnvoll sein. Oder der Kunde geht gleich in die Cloud und mietet sich eine TK-Anlage.
"Alle Kundendaten bleiben im Netz der Deutschen Telekom."
DHZ: Wieso sollte er das tun?
Müller: Wenn ich mir eine TK-Anlage in den Betrieb stelle, wird diese immer älter. Für jede Wartung und jedes Feature muss ich extra bezahlen. Warum sollte ich das tun, wenn ich über die Cloud jedes Update und jede neue Funktion automatisch eingespielt bekomme und immer auf dem neuesten Stand der Technik bin.
DHZ: Manches Unternehmen steht der Cloud-Telefonie skeptisch gegenüber. Können Sie verstehen, dass Kunden sich um die Sicherheit ihrer Daten sorgen, wenn diese über externe Server verwaltet werden?
Müller: Die Sorge ist unbegründet. Alle Kundendaten bleiben im Netz der Deutschen Telekom und werden in sicheren Rechenzentren in Deutschland verwaltet. Wir bieten Sicherheitsstandards, die ein kleiner Betrieb gar nicht leisten kann. Damit ist der Handwerker ein viel leichteres Ziel für einen Hackerangriff als die Server der Deutschen Telekom.
Mehr Geschwindigkeit
Das Ingenieurbüro für Elektrotechnik und Senderbau Richard Viehbacher in Regenstauf hat bereits von ISDN auf IP umgestellt. Um die ISDN-Anlage weiter nutzen zu können, hat Viehbacher eine Digitalisierungsbox bestellt – einen Router, der einfach an die vorhandene ISDN-Anlage angeschlossen wird und diesen IP-fähig macht. Die Bandbreite hat sich von 6 auf 16 Mbit/s erhöht. Das war für das Ingenieurbüro entscheidend. "Wir brauchen für unsere Projekte jederzeit eine leistungsstarke Internet-Anbindung", sagt Viehbacher. Seine Mitarbeiter sind darauf angewiesen, Baupläne, Skizzen oder Schriftwechsel – sprich sehr große Datenmengen – schnell und sicher aufrufen, verarbeiten und weiterleiten zu können. Die Umstellung auf IP habe, so sagt Viehbacher, insgesamt "ohne Probleme funktioniert". Die Digitalisierung habe die Arbeitsprozesse im Ingenieurbüro beschleunigt und die Produktivität im Unternehmen nochmals erhöht – und das bei gleichbleibenden Kosten.
DHZ: WhatsApp & Co. werden immer beliebter. Inzwischen gibt es Messenger-Dienste speziell für den Unternehmensbereich. Ist das Festnetz nicht unabhängig von ISDN oder IP ein Auslaufmodell?
Müller: Es ist richtig, dass der Datenverkehr über das Festnetz stetig abnimmt und immer mehr das Smartphone genutzt wird. Doch gerade innerhalb von Gebäuden ist die WLAN-Qualität nicht immer gut. Mit dem Trend zu immer energiesparenderen Gebäuden mit starken Dämmschichten nimmt das Problem noch zu. Das Festnetz bleibt für die Unternehmen deshalb auch in Zukunft wichtig.