Die Grünen haben den sofortigen Baustopp des europäischen Forschungsprojekts zur Kernfusion gefordert. Es stellten sich "dringende Fragen" zu den Mehrkosten des Fusionsreaktors ITER in Südfrankreich, sagte Fraktionschef Jürgen Trittin am Freitag in Berlin.
Grüne rügen Kostenexplosion bei ITER
Berlin (dapd). Die Grünen haben den sofortigen Baustopp des europäischen Forschungsprojekts zur Kernfusion gefordert. Es stellten sich "dringende Fragen" zu den Mehrkosten des Fusionsreaktors ITER in Südfrankreich, sagte Fraktionschef Jürgen Trittin am Freitag in Berlin. Der Leiter des Testreaktors, Remmelt Haange, nannte auf dapd-Anfrage die Sicherheitsanforderungen und steigende Rohstoffpreise als Gründe für die Kostensteigerungen.
Der geplante Fusionsreaktor ITER im südfranzösischen Cadarache, der im November 2019 in Betrieb genommen werden soll, gilt neben der Raumstation ISS als teuerstes wissenschaftliches Projekt aller Zeiten. Ursprünglich sollte der Bau zehn Milliarden Euro kosten, 2010 war von 16 Milliarden Euro die Rede. Neben der EU sind sechs weitere Länder an der Finanzierung beteiligt.
Deutschland trägt nach Angaben der Grünen über seine Beiträge rund 20 Prozent des EU-Anteils in Höhe von 2,7 Milliarden Euro. Die europäischen Kosten des Projekts würden sich sogar auf 7,2 Milliarden Euro verdreifachen, seien aber von der EU auf 6,6 Milliarden Euro gedeckelt worden. Deutsche Firmen hätten mit Aufträgen in Höhe von 28 Millionen Euro bis Mitte 2010 aber nicht einmal ein Prozent der ITER-Forschungsaufträge erhalten, monierte Trittin. Mit einem Antrag im Bundestag wollen die Grünen nun die weitere Finanzierung des Projekts überprüfen lassen.
Reaktor im Erdbebengebiet
Zudem gebe es in Japan Lieferschwierigkeiten, da ITER-Einrichtungen dort durch das jüngste Erdbeben stark beschädigt wurden, sagte Trittin. Dadurch könnten sich die Kosten für das Projekt weiter erhöhen, hieß es. Mit Blick auf die Atomkatastrophe in Fukushima kritisierte Trittin, dass der Forschungsreaktor in Cadarache in einem Erdbebengebiet gebaut werden solle.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, bezeichnete ITER als "eines der wahnsinnigsten Projekte". Sie rief andere deutsche Fusions-Forschungszentren wie die Max-Planck-Institute für Plasmaphysik (IPP) in Garching und Greifswald auf, ihre Schwerpunkte "grundlegend zu klären". Trittin betonte jedoch, dass sich der Grünen-Antrag nicht grundlegend gegen die Erforschung der Kernfusion richte, aber es noch Spielraum für die erneuerbaren Energieträger geben müsse.
"Kettenreaktionen ausgeschlossen"
Das ITER-Projekt habe sich vor allem deshalb so sehr verteuert, weil sich die Preise für Stahl und Beton seit der ersten Kostenschätzung 2001 enorm erhöht hätten, sagte der stellvertretende Generaldirektor des Projekts, Remmelt Haange. Rund zehn Prozent der Ausgaben seien zudem darauf zurückzuführen, dass der Reaktor in einer seismisch aktiven Region errichtet wurde. "Wenn wir ITER in Kanada gebaut hätten, wären wir wahrscheinlich bei den damaligen Kosten geblieben", sagte der frühere Greifswalder Plasmaforscher.
Dennoch bezeichnete Haange die Sicherheit des Projekts als "immens". Kettenreaktionen seien ausgeschlossen, Fehler würden den Prozess der Kernfusion nur zum Stoppen bringen. Zudem betrage die Halbwertszeit des radioaktiven Wasserstoffisotops Tritium elf Jahre. "In etwa 100 Jahren ist davon nichts mehr übrig", bekräftigte der Wissenschaftler.
dapd