Die größten Schwierigkeiten im Verhältnis von Ausbildern und Auszubildenden entstehen durch mangelnde Kommunikation. Für seine "Azubi-Coaches" hat Handwerk & Bildung deswegen ganz konkrete Tipps für eine lösungsorientierte Gesprächsführung entwickelt.

"Nicht geschimpft ist gelobt genug" heißt eine alte Regel, die zu vielen Schwierigkeiten in Unternehmen führt. Gerade in der Kommunikation mit Auszubildenden zeigt sich immer wieder: Es wird zu wenig geredet, zu wenig gefragt, zu wenig gelobt, zu wenig konstruktive Kritik geübt. Auf diese Weise werden aber aus kleinen Ärgernissen große Probleme – bis hin zu Ausbildungsabbrüchen. Das zeigen alle Untersuchungen zu Ausbildungsabbrüchen und vorzeitigen Vertragslösungen von Auszubildenden.
>>> Lesetipp: Wenn Azubi und Betrieb sich trennen
Julia Riese, Leiterin von Handwerk & Bildung (Bauinnung Kyffhäuser-Unstrut-Hainich), kennt das Problem. In den Betrieben gäbe es wenig Zeit und die Ausbilder wüssten oft nicht, wann und wie sie solche Gespräche führen sollten. Die Trainerin für Azubi-Coaches empfiehlt deswegen, beispielsweise die Zeit zu nutzen, die ohnehin für das Unterschreiben der Berichtshefte nötig ist.
Allerdings dürften solche Gespräche nicht zwischen Tür und Angel geführt werden. "Gespräche müssen ganz normal sein und regelmäßig stattfinden, nicht nur, wenn es Probleme gibt", betont sie die Bedeutung der Regelmäßigkeit und des festen Rahmens. Die Jugendlichen müssten wissen, dass es ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung ist, sich mit dem Ausbilder oder dem Chef auszutauschen. "Wichtig ist, dabei eine Vertrauensbasis herzustellen", so Riese. Der Azubi müsse wissen und sich darauf verlassen können, dass er ehrlich antworten darf.
Um lösungsorientierte Gespräche zu führen, empfiehlt Julia Riese, sich an einen Leitfaden zu halten und so zu fragen, dass auch gehaltvolle Antworten kommen können. Die zentralen Punkte des Gesprächs sollten schriftlich dokumentiert werden.
Leitfaden für lösungsorientierte Gesprächsführung
- Begrüßung
- Einstiegsfrage (Details zu allen folgenden Punkten weiter unten)
- Fragestellung Tagesthema und Abklärung der Zuständigkeit
- Analyse Problemstellungen, Ressourcenerarbeitung
- Lösungserarbeitung oder Zielvereinbarung
- Übertragung der Lösung in den Alltag
- Hausaufgabe
- Verabschiedung
- Terminvereinbarung, nächster Termin
Ausbilder und Azubi unterschreiben beide am Ende des Gesprächs diese Dokumentation, um beim nächsten Gespräch darauf aufbauen zu können. Um während des Gesprächs voranzukommen, übt Julia Riese im Rahmen der Weiterbildungen zum Azubi-Coach im Handwerk verschiedene Fragetechniken. Damit können Ausbilder auf ganz unterschiedliche Art Themen mit ihren Auszubildenden besprechen.
1. Eröffnungsfrage
Einstiegsfragen zu Beginn eines Gesprächs helfen, den Beginn des Gesprächs zu vereinfachen, z.B.
- Möchtest du etwas Trinken, vielleicht einen Kaffee oder Tee?
- Bist du gut hierhergekommen, trotz des schlechten Wetters?
Sie können auch genutzt werden, um bereits erste Ziele des Gesprächs abzuklären, z.B.
- Was führt dich heute zu mir ins Gespräch?
- Was können wir heute gemeinsam klären?
- Mit welchem Ziel bist du heute bei mir?
- Wie kann ich dir helfen?
Der Vorteil dieser Vorgehensweise: Die Azubis können sich zunächst an das Gespräch gewöhnen und kommen nicht gleich hektisch von der Arbeit in das große Nachdenken hinein.
2. Skalierungsfrage
Hier nutzt der Fragende eine Skala von 1 bis 10 (sehr schlecht =1, Sehr gut = 10), um sich bei sehr großen Problemen zunächst auf das Wesentliche zu reduzieren und auch über mehrere Gespräche Vergleiche ziehen zu können. Die Skala gibt ähnlich wie Schulnoten Orientierung.
- Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 unzufrieden bedeutet und 10 sehr zufrieden: Wie Zufrieden bist du derzeit mit deiner Ausbildung?
- Jetzt nach unserem Gespräch, auf einer Skala von 1 bis 10, wie zufrieden bist du nun mit deiner Ausbildung?
Skalierungsfragen können mit anderen Fragen weiterführend ergänzt werden.
- Du hast gesagt du hast dich in deiner Zufriedenheit mit einer 3 eingeschätzt. Das ist eine recht niedrige Zahl. Woran könnte das liegen, dass du deine Zufriedenheit so gering einschätzt?
Die Skalierungsfragen helfen, kleine Veränderungen mit Hilfe der Zahlen anschaulich zu und auch dem Azubi bewusst zu machen.
- Zum Beispiel Verschlechterungstendenzen oder Verbesserungstendenzen erkennen über Tage oder Wochen hinweg
- Gut, wenn es dem Azubi schwer fällt sich selbst oder Dinge einzuschätzen oder allgemein unentschlossen ist
- Man kann Vergleiche zu anderen Fremdwahrnehmungen ziehen, z.B. "Ich habe dich von deiner Zufriedenheit von deinem Verhalten her mit einer 7 eingeschätzt. Hast du eine Idee wie der Unterschied zwischen der 7 und der 3 zustande kommt?"
3. Zirkuläre Fragen
Diese Technik nennt Julia Riese "Um die Ecke Fragen". Jedes Mitglied in einem Betrieb oder einer Familie habe einen Einfluss auf die befragte Person. Die Meinung der anderen Personen ist sehr wichtig für die Befragten. Beim zirkulären Fragen muss sich die befragte Person in die anderen Mitglieder hineinversetzen und sich überlegen, welche Meinungen oder Ideen die Personen haben könnten. Diese anderen Personen können anwesend sein, aber auch nicht da sein.
- Was würde Person X darüber denken, dass du auf der Baustelle mit dem Handy hantierst? Welche Risiken könnte dir Person X nennen?
- Was würde Person X jetzt zu dir sagen, wenn du ihr dein Problem schildern würdest?
- Wer kennt dich ganz besonders gut, welche Stärken von dir, würde Person X jetzt nennen?
- Was würde Person X dir raten? Wo sieht Person X Lösungen zu deinem Problem, die vielleicht schon in der Vergangenheit aufgetreten sind?
- Person X ist diese Verhaltensweise bei dir aufgefallen, was könnte Person X daran stören?
- Wie würdest du dich fühlen, wenn du jetzt an Stelle von Person X wärst?
- Person X sitzt ja gerade neben dir, was könnte der Grund aus Ihrer Sicht sein, dass wir hier zusammengekommen sind?
Nach Julia Rieses Erfahrung verbessern diese zirkulären Fragen das Verständnis untereinander. Sie ermöglichen den Blick aus einer anderen Perspektive auf das Geschehen und auf sich selber (Fremd- und Eigenwahrnehmung). So können auch unterschiedliche Meinungen abgeglichen werden, was hilft, um Konflikte zu lösen.
4. Und-was-noch-Fragen bzw. Erweiterungsfragen
Sie dienen dem weiteren Nachfragen und regen das vertiefte Nachdenken an. Die befragte Person kann somit mehr Details in die Unterhaltung mitbringen, was letztlich der Vertiefung dient.
- "Und was noch? Was fällt dir noch ein?"
5. Bewältigungsfragen
Bewältigungsfragen zeigen, welche Kräfte in der befragten Person ruhen und wie sie Herausforderungen im Leben bereits erfolgreich bewältigt hat. Das fördert die Wertschätzung und auch das Selbstbewusstsein der befragten Personen, da Ressourcen und Fähigkeiten mit aufgedeckt werden können.
- Du hattest im Vorfeld zu deiner jetzigen Ausbildung einige Probleme zu bewältigen. Welche Kräfte hattest du hierfür genutzt?
6. Ressourcenfragen
Jeder Mensch verfügt über Ressourcen und Fähigkeiten, die ihm bewusst sein können oder die er mit Hilfe dieser Fragen entdecken kann.
- Welche Fähigkeiten hast du?
- Was hat dir in deiner Ausbildung bisher am meisten Spaß bereitet?
- Worin warst du richtig gut?
7. Ausnahmefragen
Ausnahmefragen nutzt Julia Riese besonders gerne, wenn es scheinbar nur schlechte Aspekte in Erzählungen gibt. Es geht darum, Ausnahmen von der Regel zu finden, sich wieder auf positive Aspekte zu konzentrieren und Lösungen für bestehende Probleme zu finden.
- Wann gibt es keine Probleme?
- Wann lief alles richtig gut?
- Was ist dann anders bei dir?
- Du schilderst all diese Probleme in der Ausbildung, gab es eine Zeit in der du glücklicher warst? Wann war das und was muss passieren, damit es wieder so wird wie früher?
8. Verschlimmerungsfragen bzw. Paradoxfragen
Wenn der Ausbilder mit den bisherigen Techniken nicht weiterkommt, kann er seine Fragetechnik ins Paradoxe verkehren. Er fragt dann danach, was passieren muss, um eine Situation noch schlimmer zu machen.
- Was muss passieren, damit die Situation eskaliert?
- Was müsste dein Ausbilder machen, um dich in die Kündigung zu treiben?
- Was müsste geschehen, damit du deine Ausbildung gegen die Wand fährst?
Den Vorteil sieht Riese in der Erkenntnis: Schlimmer geht immer. Es falle leichter, sich schlechte Szenarien auszumalen und auch zu erkennen, dass es dem Befragten doch nicht so schlecht geht.
9. Verhaltensfragen
Verhaltensfragen dienen dem Erkennen von Verhaltensweisen insbesondere in bestimmten Situationen. Sie helfen dabei, Muster zu erkennen, wenn ein Verhalten gehäuft auftritt.
- Du kommst jeden Montag eine Stunde zu spät. Gibt es etwas, was du montags anders machst als die anderen Tage?
- Nach dem Gespräch mit Kollegen X sinkt deine Motivation gegen Null. Was passiert in diesem Gespräch? Wie verhältst du dich?
- Was könntest du an deinem Verhalten ändern, so dass du besser Lernen kannst?
Diese Technik hilft dabei, das eigene Verhalten zu reflektieren und negative Verhaltensweisen zu korrigieren.
10. Hypothetische Fragen bzw. Wunderfragen
Mit den "So tun als ob"-Fragen konstruiert der Ausbilder eine Annahme oder eine Situation, ein Wunder. In diese versetzt sich die gefragte Person und überprüft, welche Wirkungen das Wunder hätte:
- Stell dir vor es ist ein Wunder geschehen und eine Fee hat dir deinen größten Wunsch erfüllt. Was wäre passiert?
- Was wäre anders?
- Woran würdest du die Veränderung beim Eintritt in den Betrieb merken?
- Tun wir mal so, als ob der Kollege, der dich immer runter macht, weg wäre. Was wäre für dich dann anders oder besser?
Diese Technik bringt die Person aus ihrem konventionellen Denkstil heraus, auch wenn sie zunächst irritiert.
- Es wird sich auf die Zukunft und positive Veränderungsmöglichkeiten konzentriert mit Lösungen.
- Ermöglicht neue Perspektiven durch die Veränderung des Blickwinkels auf bestimmte Situationen.
- Kann vertieft werden durch das Nachfragen nach mehr Details oder bestimmten Verhaltensweisen. "Was würdest du anders machen?"
Reframing
Ähnlich ist das Prinzip des Reframings. Hier wird etwas in einem positiven Blickwinkel betrachtet und hinterfragt.
• Was ist an dem geschehenen Gut für mich?
Ausgewogenes Fünf-Finger-Feedback
Nicht nur bei vorher vereinbarten "großen" Gesprächsterminen, sondern auch im täglichen Lernen ist es wichtig, den Azubis Feedback zu geben. Damit nicht nur gelobt oder nur kritisiert wird, empfiehlt Julia Riese das Fünf-Finger-Feedback. Dabei arbeitet man Finger für Finger wichtige Punkte im Feedback-Vorgang durch:
- Der Daumen steht für das Loben: Das lief gut. Was hat mir gefallen?
- Der Zeigefinger steht für wichtige Punkte: Darauf möchte ich hinweisen. Was ist wichtig?
- Der Mittelfinger betrifft Kritikpunkte: Das war nicht so gut. Was gibt es zu verbessern?
- Der Ringfinger steht für den Lerneffekt: Das nehme ich mit. Was bleibt mir in Erinnerung?
- Der kleine Finger gibt einen Ausblick auf weitere Verbesserungsmöglichkeiten: Das kam mir zu kurz. Worüber möchte ich noch mehr erfahren?
Informationen und Termine für das Training zum Azubi-Coach gibt es auf den Seiten von Handwerk & Bildung.