Geschichte des Handwerks Wie sich das Handwerk verändert hat

Das Handwerk hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg stark gewandelt – auch durch Revolten und Revolutionen.

Steffen Range

Bundespräsident Gustav Heinemann wird feines Backwerk serviert (undatiertes Foto). - © ZDH

"Gerade in einer Zeit, in der von den Besatzungsmächten und oft auch vom Staate nicht immer genügend Verständnis für das Handwerk aufgebracht wird, ist es von größter politischer und wirtschaftlicher Bedeutung, daß auch das Handwerk ein Publikationsorgan besitzt, das seine Interessen vertritt.“ Dies schrieben die Präsidenten des bayerischen Handwerks 1949 in der ersten Ausgabe der Bayerischen Handwerker-Zeitung. Die Redaktion sollte dieses Versprechen einlösen.

Als die Handwerker-Zeitung erstmalig erschien, hatten die Amerikaner gerade verfügt, in ihrer Besatzungszone die schrankenlose Gewerbefreiheit einzuführen. Kammern und Innungen wurden zu "freien Vereinen mit freier Mitgliedschaft“. Das änderte sich vier Jahre später wieder. Im Jahr 1953 beschloss der Bundestag die Handwerksordnung – und schrieb mit den Stimmen aller demokratischen Parteien die Existenz der Kammern, den Meisterbrief und die duale Ausbildung fest, 125 Berufe wurden dem Handwerk zugeschlagen. 2004 fiel die Meisterpflicht für 53 Gewerke. In den 1970er-Jahren stellten Gewerkschaften die duale Ausbildung infrage, in den 2000er-Jahren zog Brüssel den Meisterbrief in Zweifel. Solch schicksalhafte Auseinandersetzungen forderten das Handwerk stets aufs Neue heraus – und verlangten starke Nerven.

Schicksalsjahr 1968

Das zeigte sich vor allem im Schicksalsjahr 1968, als sich die Lehrlinge in den Betrieben erhoben. Der Aufstand der Azubis wurzelte im Selbstverständnis der Lehrherren nach dem Krieg. Mancher Handwerker führte seinen Betrieb mit harter Hand. Nach dem Krieg verstanden viele Meister die Lehre als "Erziehungsverhältnis mit arbeitsrechtlichem Einschlag“. Doch Fabrikhallen fegen, Kopfnüsse kassieren, Privatarbeiten für den Ausbilder verrichten: Das wollten sich die jungen Leute Ende der 1960er-Jahre nicht mehr bieten lassen.

Handwerksvertreter beobachteten die Proteste der Lehrlinge mit Sorge. So hieß es zum Jahreswechsel 1968/1969 in der Handwerker-Zeitung: "Wir haben auch erlebt, daß manche erstrebenswerten und berechtigten Erneuerungswünsche in unserer Gesellschaft allzu schnell in gewalttätigen Radikalismus und Anarchismus ohne festes Ziel außer dem der Zerstörung aller Werte umschlagen können.“ Die Arbeitgeber beließen es indes nicht bei Appellen. Sie beseitigten die gröbsten Ungerechtigkeiten in den Betrieben, so dass die Revolte der Azubis in sich zusammenfiel.

Industrielle Konkurrenz

Innerhalb weniger Jahre hatte das Handwerk sein Gesicht verändert. Die Maschinisierung verwischte die Grenzen zwischen Handwerk und Kleinindustrie. Konsumgüterhersteller wie Schneider, Bäcker, Metzger verloren an Bedeutung, Produktionsgüterhandwerke aus dem Metall- und Elektrobereich wuchsen. Doch der von Karl Marx im 19. Jahrhundert vorhergesagte, angeblich gesetzmäßige Niedergang des Handwerks angesichts industrieller Konkurrenz stellte sich nicht ein. Das Handwerk erwies sich als anpassungsfähig.

Forscher rechnen das Handwerk inzwischen zu den Gewinnern der ökonomisch-technologischen Revolution. Unlängst bemerkte der Philosoph Richard David Precht: Neben Spitzenprogrammierern und "Empathieberufen“ stellten Handwerker die künftige Elite. Die Entwicklung der 1960er-Jahre kehre sich gewissermaßen um: Der gesellschaftliche Status der Handwerker nehme zu, während Büroangestellte in der digitalisierten Arbeitswelt an Bedeutung verlören.

Prophetische Zeilen

Viele Sorgen, die das Handwerk jetzt plagen, bestanden schon vor zwei Generationen. Einige Probleme sind – in anderer Gestalt – zurückgekehrt. Das zeigen Schlagzeilen der Deutschen Handwerks Zeitung aus sieben Jahrzehnten, die früher wie heute passen.

40-Stunden-Woche – ein Produktionsproblem
Ausgabe 46 (1954)

Bekämpfung des Wuchers auf dem Wohnungsmarkt!
Ausgabe 5 (1954)

Krankengeld – neue Belastung für das Handwerk
Ausgabe 5 (1957)

Was bringt der gemeinsame Europäische Markt?
Ausgabe 13 (1957)

Ein Gebot der Zeit: "Bargeldlos zahlen!“
Ausgabe 18/19 (1961)

Handwerk vom Fachkräftemangel ­besonders betroffen
Ausgabe 20 (1961)

Gefährliche Ausgabenpolitik des Bundes
Ausgabe 8 (1963)

Sonntagsfahrverbote: Ausnahmen für die gewerbliche Wirtschaft
Ausgabe 22 (1973)

Es fehlt überall an Lehrlingen
Ausgabe 1/2 (1989)

"Angehende Meister wie Studenten fördern“
Ausgabe 8 (1994)

Was tun, wenn kein Nachfolger zur Verfügung steht?
Ausgabe 1/2 (2002)

Ohne Migrantenkinder geht es nicht
Ausgabe 20 (2009)

Prophetisc