Bio boomt – vor allem in den Supermärkten. Immer mehr Verbraucher wollen wissen, was wirklich in den Lebensmitteln steckt und wo sie herkommen. Auch im Handwerk ist der Bewusstseinswandel zu spüren. Doch vor einer Umstellung auf die strengen Bioland-Richtlinien scheuen sich viele Betriebe. Was eine Umstellung für die Praxis bedeutet. Ein Metzger erzählt.
Jana Tashina Wörrle

Immer mittwochs tauscht Andreas Beier in seiner Wurstküche die Gewürzdosen – die Dosen mit den roten Deckeln mit den der grünen. Pfeffer und Mehl bleiben dieselben, denn hier verwendet er auch für seine herkömmlichen Produkte Bio-Zutaten. Mittwochs ist in der Fleischerei Dürr und Beier im baden-württembergischen Remchingen Bioland-Tag und die Mitarbeiter des Handwerksbetriebs kümmern sich um Salami, Fleischkäse und Würstchen, die in der Verkaufstheke unter dem bekannten grün-weißen Logo verkauft werden.
Die Bio-Gewürze ohne künstliche Zusatzstoffe und der komplette Verzicht auf Nitritpökelsalz verändern das Fleisch und die Wurst, das Fleischermeister Andreas Beier seinen Kunden anbietet und sie verändern den Herstellungsprozess. "Bioland-Wurst ist grau, denn die rote Farbe kommt von den Zusatzstoffen und ist nicht natürlich", erklärt Beier. Mit der Frische habe das nichts zu tun und auch nicht mit dem Geschmack. Dann schwärmt er von seine Bioland-Fleischkäse: "Der schmeckt so anders und richtig intensiv."
Gefragt: Bio-Lebensmittel aus dem Supermarkt

Die Bioland-Waren machen in seinem Laden allerdings nur etwa fünf Prozent des Sortiments aus. Denn nur die Kunden, die sehr viel Wert auf die Inhaltsstoffe legen, würden explizit danach fragen – meistens seien Allergien der Grund. Alles Weitere, was er an den Bioland-Mittwochen produziert, liefert er an Bio- und Hofländen im Umkreis von Remchingen. In einem Radius von rund 60 Kilometern bietet er seine Waren an. Konkurrenz hat er hier keine. Bioland-Metzger gibt es deutschlandweit bislang nur rund 90 – trotz Bio-Boom mit stagnierender Tendenz.
Zwar legte die Bio-Branche in Deutschland in den vergangenen Jahres stetig zu, doch mit der Nachfrage der Verbraucher ist vor allem der Umsatz in den Supermärkten gewachsen. Zusätzlich bieten auch Discounter immer mehr Produkte an, die das staatliche Bio-Siegel tragen. Laut dem Ökobarometer 2013 des Bundesverbraucherministeriums kaufen im Schnitt 22 Prozent der Deutschen häufig oder ausschließlich Bio-Lebensmittel, 52 Prozent immerhin noch gelegentlich.
Bio passt sich dem Massenmarkt an
Zwar gibt es auch immer mehr Betriebe aus dem Lebensmittelhandwerk, die Bio-Produkte anbieten – genaue Zahlen sind bisher allerdings nicht erfasst. Gero Jentzsch vom Deutschen Fleischerverband schätzt, dass es etwa 100 Handwerksfleischer in Deutschland sind, die als reine Bio-Betriebe geführt werden. Vor den strengen Richtlinien einer Bioland-Zertifizierung schrecken aber viele zurück. So hat der Verband die Beraterstellen für die Umstellung auf Bioland zurückgeschraubt. Annika Bruhn, die einst nur für die Metzgereien in Deutschland zuständig war, erledigt diesen Job heute nur noch nebenbei. "Die Nachfrage ist sehr gering. Vielen ist der Aufwand zu hoch", sagt Bruhn und erzählt, dass sie in den vergangenen elf Jahren nur fünf Handwerksbetriebe davon überzeugen konnte, eine Bioland-Zertifizierung mitzumachen.
Gründe für die Zurückhaltung sieht Bruhn neben dem Aufwand, sich als Betrieb an andere Herstellungsverfahren einzulassen, auch an der steigenden Konkurrenz aus der Bio-Branche, die sich mehr und mehr dem Massenmarkt anpasst. Wer Bio-Würstchen im Supermarkt bekommt, die genauso gut aussehen und nur ein bisschen teurer sind, der kauft seltener die selbst hergestellten Bioland-Ware im Hoflanden oder direkt beim Metzger.
Doch dabei würden die Kunden übersehen, dass es doch noch große Unterschiede gibt. Neben der strengeren Vorgaben für die Haltung und Fütterung der Tiere, die später als Schnitzel oder Bratwurst auf unseren Tellern landen, wie einer geringeren Anzahl von Tieren pro Hektar und mehr Futter aus eigener Herstellung, sind es die genannten Unterschiede bei den Zusatzstoffen. Bei Bioland sind nur 23 davon zugelassen, beim staatlichen Bio-Siegel sind es 49. Dazu kommen strengere Vorgaben für den Einsatz von Enzymen und Starterkulturen und das angesprochene Nitritpökelsalz, das im Verdacht steht gesundheitsschädlich zu sein.
Zahlen zur Bio-Branche
- Der Bio-Anteil am gesamten Lebensmittelumsatz in Deutschland lag 2012 bei 3,9 Prozent.
- Der Umsatz der Bio-Branche betrug dabei rund sieben Milliarden Euro (6,6 Milliarden Euro im Jahr 2011 ).
- 2012 gaben die deutschen Haushalte sechs Prozent mehr Geld fu¨r Bio-Lebensmittel
- und Getränke aus.
- Fleisch und Wurst waren 2012 die dynamischsten Segmente am Bio-Markt. In den ersten elf Monaten des Jahres 2012 kauften die deutschen Haushalte18 Prozent mehr Bio-Rotfleisch (Rind, Schwein, Schaf, Ziege), elf Prozent mehr Bio-Geflu¨gel, acht Prozent mehr Bio-Fleisch- und Wurstwaren sowie je drei Prozent mehr Bio-Eier und Bio-Milch.
- Als wichtigsten Grund für den Kauf von Biolebensmitteln nennen die Biokäufer die regionale Herkunft bzw. Unterstützung regionaler Betriebe (87 Prozent stimmen diesen Angaben zu ). Des Weiteren ist eine artgerechte Tierhaltung für 85 Prozent ein wichtiges Argument. Auf Platz drei folgt die geringe Schadstoffbelastung (83 Prozent ).
- Immer mehr Betriebe haben Bio-Waren im Sortiment – auch viele Betriebe aus dem Lebensmittelhandwerk. Ausschließliche Bioland-Betriebe gibt es allerdings nicht sehr häufig. Derzeit gibt es in Deutschland rund 90 zertifizierte Bioland-Fleischer (insgesamt rund 16.000 Meisterbetriebe) und rund 300 Bioland-Bäcker (insgesamt 13.666 Meisterbetriebe ).
Quelle: Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft/BMELV/Bioland
"Regional" liegt im Trend
Wie viele Handwerksmetzger setzt er grundsätzlich auf regionale Waren und hält den Bioland-Anteil im eigenen Laden deshalb klein – für spezielle Kunden. "Das Fleisch, das ich verarbeite kommt von hier. Egal, ob ich daraus Bioland-Würstchen mache oder meine normalen Produkte", sagt Beier. Auch damit entspricht Beier dem Trend. Denn das Ökobarometer zeigt, dass immer mehr Deutsche großen Wert darauf legen, Produkte aus der Region zu kaufen und Betriebe vor Ort zu unterstützen.
"Bio" allein ist dafür allerdings kein Kriterium, denn durch den steigenden Bio-Absatz in den Supermärkten steigt die Exportquote bei Bio-Waren. Für Andreas Beier Wäre das staatliche Bio-Siegel deshalb keine echte Alternative. Auch Gero Jentzsch vom Fleischerverband ist skeptisch, denn Bio-Fleisch sei nicht in Mengen regional verfügbar und viele Metzger würden sich scheuen, auf Zulieferer zurückzugreifen, die das Fleisch über lange Strecken durch Deutschland transportieren.
Dass Andreas Beier über einen Bauern aus seinem Ort zu Bioland kam, war für ihn ein Glücksfall und für Annika Bruhn der typische Weg. Bioland ist der größte Bio-Anbauverband in Deutschland und regionale Kooperationen stehen im Vordergrund. "Wer sich für eine Bioland-Zertifizierung interessiert, muss erst die Voraussetzungen für das staatliche Bio-Siegel erfüllen und kann die Bioland-Vorgaben dann dazu nehmen" erklärt sie. Der zweite Schritt könne für Metzger und Bäcker recht schnell erfolgen, da hier – anders wie bei Landwirten – keine langwierige Übergangsphase nötig sei. Annika Bruhn spricht von etwa sechs Wochen ab der Antragstellung und ersten ausgiebigen Kontrolle des Betriebs.
Zeigen, dass es Alternativen gibt
Zwar zertifiziert Bioland das Unternehmen und nicht die einzelnen Produkte, trotzdem können in einem Betrieb sowohl herkömmliche Waren als auch Bioland-Produkte hergestellt werden. Für die Bioland-Produkte muss ein Herkunftsnachweis und ein Nachweis über die Inhaltsstoffe vorliegen, die den Richtlinien entsprechen. Kontrolliert werden die Betriebe bei der normalen jährlichen Bio-Überprüfung der staatlichen Kontrollstellen, die dann die Bioland-Kriterien mit überprüfen.
Mit knapp 1.000 Euro müsste ein verarbeitender Betrieb pro Jahr rechnen, um an der Bioland-Zertifizierung teilzunehmen und das Verbandslogo auch offiziell nutzen zu dürfen – an der Warentheke, auf der Firmenwebsite und für andere Werbeformen. Doch dazu kommen noch die Kosten für die grundsätzliche Bio-Zertifizierung – laut Bruhn nochmals rund 1.000 Euro.
"Die Kosten sind höher, aber ich profitiere davon. Meine Bioland-Produkte sind auch ein Marketing-Instrument", gibt Fleischermeister Beier zu. Für ihn hat das Einhalten der strengeren Richtlinien auch etwas mit Überzeugungstaten zu tun. "Ich weiß, dass mein Betrieb in der Branche noch immer eine Seltenheit ist", sagt Beier, der sich auch im Landesinnungsverband der Fleischer in Baden-Württemberg engagiert. Doch er möchte seinen Kunden eine Auswahl bieten und ihnen zeigen, dass es Alternativen gibt.
- Eine Vergleichstabelle zwischen dem Zusatzstoffen, die bei Bioland und dem staatlichen Bio-Siegel verwendet werden dürfen, finden Sie hier .
- Bioland-Erzeuger-Richtlinien für Fleischerzeugnisse finden Sie hier .
- Bioland-Erzeuger-Richtlinien für Brot und Backwaren finden Sie hier .
- Mehr zum Ökobarometer 2013 des BMELV lesen Sie unter bmelv.de .
- Mehr zum staatlichen Bio-Siegel gibt es unter bio-siegel.de. Unter anderem eine Checkliste für Hersteller von Bioprodukten .