Besuch in einer Backstube Schlange stehen für Fastenbrezeln: Die Geschichte des Saisongebäcks

Bäckermeister Manfred Häring backt Fastenbrezeln, die gesamte Fastenzeit über. Dafür stehen die Bürger der oberschwäbischen Kleinstadt Biberach vor seinem Laden an – seit Jahren, jedes Jahr wieder. Das eher karge Hefegebäck bringt eine lange Geschichte mit sich.

Bäckermeister Markus Häring mit einem Korb voll Fastenbrezeln in der Bäckerei
Bäckermeister Markus Häring backt Fastenbrezeln in 10. Generation. - © Jana Tashina Wörrle

Für Fastenbrezeln stehen die Biberacher Schlange. Jedes Jahr zwischen Weihnachten und Ostern. Jeden Tag. Egal, bei welchem Wetter. Wer sein Ziel erreicht hat, kommt mit einer großen Papiertüte aus dem kleinen Ladengeschäft der Bäckerei Häring. In der Winterluft dampfen die Brezeln dann noch. Dann wird zugebissen – schon beim Verlassen der Bäckerei, mindestens eine sofort. Fastenbrezeln isst man am besten warm. Feine Salzkörner bleiben dann an den Lippen kleben. Kurz ist es knusprig, dann kommt der weiche Brezelteig.

Hier in der oberschwäbischen Kleinstadt ist sie um einiges schlanker als eine Laugenbrezel und weniger intensiv im Geschmack. Sie ist weder mächtig in Butterschmalz gebacken noch als süße Variante erhältlich. Hier ist die Fastenbrezel noch das klassische Fastengebäck aus Hefeteig, das seinem Namen entspricht: Wenige Zutaten, reduziert im Aussehen und einfach im Geschmack. Dennoch hat sie für die Biberacher eine derartige Bedeutung, dass auch das Anstehen beim Bäcker Häring einfach dazugehört.

Die Fastenbrezeln sind um 16 Uhr ausverkauft

Zwar gibt es auch bei den anderen Bäckern jetzt bis Ostern Fastenbrezeln. Was man in der Biberacher Bäckerei bei Manfred Häring erlebt, ist aber dennoch besonders. Der Bäckermeister selbst steht in der Fastenbrezelzeit einen halben Tag am Ofen und den anderen halben Tag schwingt er Brezeln – stundenlang, tagelang, mit einer unheimlichen Energie. Wenn in den frühen Morgenstunden die Brote, Brötchen und Kuchen fertig vorbereitet und gebacken sind, geht es ab etwa 7.30 Uhr los mit den Fastenbrezeln – fast durchgehend bis 16 Uhr.

Seit dem ersten Corona-Lockdown gibt es die Fastenbrezeln bei Härings nicht mehr wie in den Jahrzehnten zuvor bis 18 Uhr. Die Bäckerei schließt nun immer um 16 Uhr. Dann ist so gut wie alles ausverkauft. "Die Leute gewöhnen sich daran und kommen eben früher", sagt der Bäckermeister, der um 16 Uhr aber noch lange nicht Feierabend hat. Dann hilft er beim Aufräumen der Backstube und bereitet den nächsten Backtag und vor allem die Teige vor. Lange noch glüht dann die Backstube nach und man spürt noch, dass hier zuvor über Stunden eine Wahnsinnsarbeit geleistet wurde. Zehn Mitarbeiter hat die Bäckerei normalerweise. Zur Fastenbrezelzeit kommen noch ein paar Aushilfen dazu, um die Mehrarbeit aufzufangen.

Beim Fastenbrezelbacken geht alles Hand in Hand. Während der Junior-Bäckermeister Markus Häring mit einem Mitarbeiter aus Hefeteigschlangen in Sekundenschnelle Brezeln schwingt und auf lange Holzbretter legt, wird eine Charge Brezeln per Hand in einen großen Metallbottich mit kochendem Wasser getaucht. Hier kochen sie wenige Minuten, bevor Manfred Häring sie mit einer großen Kelle herausholt. Er legt sie auf einen Holzschieber, öffnet die Ofenklappe und dann backen die Brezeln, bis sie knusprig sind. Danach taucht ein weiterer Holzschieber in den Ofen, holt etwa zehn Brezeln heraus und lässt sie mit Schwung in einen Korb gleiten. Ununterbrochen geht dies so weiter, ein Brezelschieber nach dem anderen, ein voller Korb nach dem anderen. Geht zwischendurch die Tür zum Verkaufsraum auf, kommt ein frischer Luftzug herein. Dann hört man die Stimmen der Kunden, die Brezeln bestellen. Nicht selten auch mal 20 oder 50 auf einmal.

Die Fastenbrezel

Fastenbrezeln sind ungelaugte Brezeln aus Hefeteig – meist mit feinem Salz bestreut. In einigen Regionen gibt es sie auch aus einem leicht gesüßten Teig oder aus einem Teig, der Schweineschmalz enthält. Wie der Name schon sagt, werden sie zur Fastenzeit angeboten. Variante besteht der Teig für Fastenbrezeln nur aus Mehl, Wasser, Salz und Hefe.

Im Unterschied zu den klassischen Laugenbrezeln werden Fastenbrezeln vor dem Backen nicht in Lauge, sondern in kochendes Wasser getaucht. "Das ist vergleichbar mit Bagels", erklärt Bernd Kütscher von der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim. Manchmal werden sie seiner Erfahrung nach aber auch nur mit Salzwasser abgestrichen. Er berichtet weiter von den unterschiedliche Rezepturen und Herstellungsweisen, die zur Fastenbrezel bekannt sind: "Fastenbrezeln wurden in manchen Regionen auf Stroh gebacken, was offenbar nur noch selten praktiziert wird. Wie der Name schon sagt, werden Fastenbrezeln traditionell in der Fastenzeit vor Ostern hergestellt. Dies wird heute zeitlich oft etwas ausgedehnt, beginnend nach Weihnachten."

Fastenbrenzeln: Zufällige Erfindung eines Lehrlings

Dies gelte so ja auch für andere, typische Fastengebäcke wie z.B. die sehr verbreiteten Berliner (je nach Region auch Kreppel, Krapfen, Pfannkuchen…) und andere Siedegebäcke. "Als regionales Traditionsprodukt werden Fastenbrezeln in Deutschland vor allem in Herborn, im Taunus und in Biberach an der Riß gebacken", sagt Bernd Kütscher. Aber auch in Österreich kenne man sie unter anderem aus dem Lungau, dem Murtal und aus dem Salzburger Land. In der Schweiz sei die Basler Fastenwähe sehr verwandt, wobei die Fastenbrezel in Österreich und in der Schweiz trotz des Namens oft einem Ring statt einer Brezel ähnelt.

Zur Entstehung der Fastenbrezel geben Biberacher Bäcker wie Manfred Häring folgende Geschichte preis: "Ein Biberacher Brezelbäck wollte in der Fastenzeit Laugenbrezeln backen. Da der Lehrling vergessen hatte die Lauge anzusetzen – was damals noch eine langwierige Prozedur war – warf der erboste Meister die Teigbrezeln in einen Bottich mit kochendem Wasser statt in Lauge, bevor er sie in den Ofen schob. Heraus kam die Fastenbrezel."

Fastenbrezeln auf Vorrat und zum sofortigen Verzehr

"Viele kaufen auf Vorrat und machen die Brezeln zuhause nochmals warm. Ich kenne aber auch einen Biberacher, der sich immer so viele kauft und einfriert, dass er über das Jahr jeden Tag eine essen kann", sagt Christine Häring. "Warm mit Butter", ist ihr Tipp, wie die Fastenbrezeln am besten schmecken. Christine ist die Tochter von Bäckermeister Manfred Häring. Sie ist Grafikerin und hat als Diplomarbeit eine Chronik erstellt zur Fastenbrezel und ihrer Tradition in Biberach und in der eigenen Bäckerfamilie.

Und diese Tradition währt wahrlich lange. Wenn Markus Häring als nächster die Bäckerei übernimmt, backt er dort in 10. Generation. "1675 war es, als der erste mit dem Namen Häring in Biberach dieses Haus hier übernommen hat. Schon damals war es eine Bäckerei und seither war es immer eine", sagt Christine. Ihren Recherchen nach wurde die Fastenbrezel aber schon im Jahr 1598 in einem Dokument der Stadt Biberach erwähnt.

Fastenbrezeln
Kurz ist es knusprig, dann kommt der weiche Brezelteig: Fastenbrezeln isst man am besten warm und frisch, kurz nachdem sie aus dem Ofen kommen. - © Jana Tashina Wörrle

Sie ist mit den Fastenbrezeln aufgewachsen und damit, dass es jedes Jahr ein paar Monate im Ausnahmezustand in der Familienbäckerei gibt. So nennt sie auf die Frage nach dem Erfolgsrezept für die Fastenbrezeln auch "viel Liebe und viel Arbeit". Diese lohne sich aber, wenn man sehe, wie sich die Leute freuen, wenn die jährliche Fastenbrezelzeit beginnt nach Weihnachten. "Wir fangen später damit an als andere Bäcker, aber immer noch vor der Fastenzeit", berichtet sie und verweist darauf, dass auch das quasi eine Tradition sei. Immerhin seien Januar und Februar die kalten Monate, in denen man die Öfen sowieso stark anheizen muss.

"Ohne Fastenbrezeln geht es für uns nicht"

Mit "die Leute" meint Christine Häring übrigens vor allem die Ur-Biberacher. Denn viele Auswärtige wie die Studenten der Hochschulstadt etwa, müssen den Hype um die Biberacher Fastenbrezel erst kennenlernen – genauso wie den Umgang damit. "Wenn man Fastenbrezeln warm in eine Tüte packt, mitnimmt und dann erst viel später ist, kleben sie zusammen, sie werden latschig und fad, da das Salz sie aufquellen lässt", sagt die Bäckerstochter mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Man müsse sie warm und frisch essen oder kurz aufbacken. Jedes Jahr kurz vor dem Beginn des jährlichen Fastenbrezelbackens erlebt sie die eigene Vorfreude gepaart mit dem Wissen, dass es nun anstrengend wird. "Aber ohne die Fastenbrezeln geht es für uns nicht", sagt die 38-Jährige, die selbst sehr oft hinter der Verkaufstheke des Handwerksbetriebs steht.

Auch die beiden Bäckermeister sieht man hin und wieder im Laden, wenn sie einen oder mehrere Körbe Nachschub bringen. Dort werden die Brezeln mit Salz bestrichen: die Oberseite erst über einen nassen Schwamm und dann durch eine Wanne mit feinem Speisesalz. So landen sie in einem Teil der Auslage auf einem Brezelberg. In nur wenigen Minuten ist dieser in den gelb-bedruckten Häring-Tüten verpackt und wird dampfend aus der Bäckerei getragen. Auf den Tüten steht "Ihr Knauzen- und Fastenbrezelbäcker". Knauzen sind eine weitere oberschwäbische Spezialität aus Dinkelteig, die allerdings das ganze Jahr über gebacken werden.

Die Brezel

Neben der Fastenbrezel gibt es die viel bekanntere Laugenbrezel, die heute in fast jeder Bäckerei angeboten wird und in ganz Deutschland verbreitet ist. Die längste Tradition hat die Laugenbrezel wohl in Bayern. Die Brezel an sich galt allerdings lange als Festgebäck und bringt so auch verschiedene Herstellungsvarianten und Rezepturen sowie Geschichten zur Herkunft mit sich. Meist haben sie einen religiösen Bezug – man denke dabei nur an die Neujahrsbrezel, Osterbrezel oder Kirmesbrezeln.

Der Theologie-Professor Manfred Becker-Huberti beschäftigt sich schon seit langem mit verschiedenen Bräuchen und hat sich auch die Geschichte der Brezel vorgenommen. Seinem Wissen nach reicht die Geschichte der Brezel weit in die Vergangenheit zurück. "Die wahr­scheinlich in vor­christlicher Zeit zu kultischen Zwecken als Opfergebäck und Grabbei­gabe, her­gestellten Salz- und Laugenbrezeln wurden vom Christentum adaptiert", berichtet er. Hier findet man zur Form der Brezel verschiedene Erläuterungen. So erschien sie sowohl als Symbol für den Strick, mit dem Jesus am Ölberg gefesselt und gefangengenommen wurde. Becker-Huberti führt aber auch an, dass sie die Hände eines Mönchs darstellen sollte, der diese in die Kuttenärmel steckt.

Brezeln: Wichtig als Geschenk und in der Schule

Im Mittelalter seien die Brezeln zum typi­schen Frühjahrs- und Fastengebäck geworden, später ein Geschenk für Kinder und Bedürftige an kirchlichen Festtagen. Zu keiner Zeit habe die Brezel als typisches Hausgebäck gegolten. Sie wurden dem Theologen zufolge sowohl als Opfergebäck, Grabbeigabe, Fastenspeise oder Festtagsgeschenk verwendet und auch zu freudigen Anlässen: "Paare oder solche die es werden wollten, brachen früher zeichenhaft gemeinsam die Brezel. Anderswo überreichten sich unverheiratete Männer und Frauen sogenannte Liebesbrezeln. Wurde sie vom andern ange­nommen, galt dies als Zusage an den Verehrer. Auch als Glücksbringer scheint die Brezel eine Rolle zu spielen. Das Verschenken von Brezeln scheint auch mit altüberlieferten Fruchtbarkeitsri­ten verbunden zu sein", so Manfred Becker-Huberti.

Daneben stehe die Brezel aber auch in Verbindung mit der Schule. So habe es einst einen alten Schulbrauch gegeben, den Kindern das ABC mit Hilfe der Brezel beizubringen. "Aus ihr lassen sich nämlich alle Buchstaben und Buchstabeneinzelteile herausbrechen", berichtet der Theologieprofessor. Oftmals wurden früher Brezeln auch zu Schuljahresbeginn und zu Schulfesten ausgeteilt.

Quelle: Manfred Becker-Huberti, Lexikon der Bräuche und Feste, Herder Verlag Freiburg, 1. Auflage, 2007, ISBN 978-3451273179