Eigentlich sind genügend Pfandflaschen für Bier im Umlauf. Doch derzeit scheinen viele Verbraucher sie gerne zu horten. So werden die Flaschen immer knapper und Brauereien rufen zur Rückgabe auf. Das Pfandsystem beim Bier gerät aber nicht nur deshalb derzeit ins Wanken.
Jana Tashina Wörrle

Bitte denken Sie daran, vor dem Urlaub noch die leeren Bierflaschen zum Getränkemarkt zu bringen. Denn Pfandflaschensammlungen in deutschen Kellern und Speisekammern tragen dazu bei, dass die Brauereien derzeit einen Leergutengpass erleben – vor allem, wenn wegen den anhaltenden heißen Temperaturen viel Bier getrunken wird und die Flaschen wegen Urlaubszeiten lange nicht zurückgegeben werden. So wird bereits darüber diskutiert, ob sich die Brauereien schlecht vorbereitet hätten auf die erfahrungsgemäß gute Biersaison mit Fußball-WM und Sommerwetter. Von mangelnden Investitionen der Brauereien bei der Anschaffung von Getränkekästen ist in einem Beitrag von faz.net die Rede und auch der Deutsche Brauer-Bund spricht von einer Leergutknappheit, zu denen es typischerweise in den Sommermonaten kommt – regional unterschiedlich stark.
Zwischen drei und vier Milliarden Mehrwegflaschen im Umlauf
Die FAZ berichtet von Brauereien, die via Facebook dazu aufrufen, dass leere Bierkästen schnellst möglich zurückgegeben werden sollten. "Erst Pfand, dann (P)ferien" heißt es etwa bei der Bochumer Brauerei Fiege. Und auch Brauereien wie Veltins und König-Pilsener bestätigen, dass sie zusätzliche Bierkästen bei den Herstellern geordert haben. Geliefert werden können diese jedoch nur nach Wartezeiten.
"Wegen des in den zurückliegenden Sommerwochen deutlich erhöhten Absatzes von Bier, alkoholfreiem Bier und Erfrischungsgetränken ist die Leergutknappheit derzeit in vielen Teilen Deutschlands ausgeprägter als in anderen Jahren", bestätigt Marc-Oliver Huhnholz, der Sprecher des DBB. Daher sei es in der Tat wünschenswert, dass Verbraucherinnen und Verbraucher Leergut zeitnah in den Handel zurückbringen.
Nach Schätzungen sind derzeit in der deutschen Brauwirtschaft zwischen drei und vier Milliarden Mehrwegflaschen im Umlauf. Aus Sicht des Brauer-Bunds gibt es in Deutschland ausreichend Leergut – nur muss dieses eben dem Kreislauf wieder zugeführt werden. Und genau hierbei mangelt es wohl in diesen Wochen besonders.
Die klassische Bierflasche verschwindet
Doch es gibt noch andere Entwicklungen, die das Pfandsystem beim Bier betreffen. Denn immer mehr individuell gestaltete Bierflaschen kommen auf den Markt. Das verändert das etablierte Pfandsystem und es erhöht den Wettbewerb. Wird es die klassische Bierflasche bald nicht mehr geben?
Auch hier gibt es regional stark unterschiedliche Tendenzen. Den stärkeren Trend prägt die Tatsache, dass immer mehr Brauereien – ob groß oder klein – statt auf eine der bekannten Flaschenformen auf individuelle Bierflaschen setzen. Sie wollen sich von den Mitbewerbern unterscheiden, denn der Wettbewerbsdruck ist hoch. Die Zahl der Brauereien in Deutschland ist in den vergangenen Jahren um rund 100 angewachsen.
Bier hat hohe Mehrwegquote
Begonnen hat die Entwicklung bereits seit den 1990er Jahren, als erste Brauereien Flaschen nach eigenen Vorgaben gestalten ließen und in den Umlauf brachten. Der Grund: die Verbrauchererwartungen veränderten sich. "Mehr und mehr Verbraucher suchten nach Produkten, die sich von Altbewährtem absetzten", sagt Huhnholz. Hierauf mussten sich auch die Brauereien einstellen. Ausschlaggebend waren also Marketinggesichtspunkte. Doch genau diese führen nun zu Veränderungen, die mehr sind als reine "Werbung" für den Betrieb.
Zwar bleibt die hohe Mehrwegquote von über 80 Prozent der deutschen Brauwirtschaft auch dann bestehen, wenn immer mehr Individualflaschen im Umlauf sind. Zum Vergleich: Bei alkoholfreien Getränken liegt die Quote nur bei 30 Prozent und bei Fruchtgetränken sogar nur bei zehn Prozent. Dennoch steigen der Aufwand und damit auch die Kosten für die Brauereien und den Getränkehandel, wenn immer mehr individuelle Flaschen verwendet werden. Vor allem beim Sortieren ist mehr zu tun und natürlich möchte auch jede Brauerei möglichst viele der eigenen Flaschen zum Wiederbefüllen zurückbekommen – ein Problem, das die kleinen Brauereien stärker spüren als die großen.
Bier: Flaschenqualität bleibt gut
Ist das Flaschensystem beim Bier eigentlich durch die Nutzung der sogenannten NRW-Flaschen und der klassischen Euroflaschen als Pool angelegt, aus dem jede Brauerei die Flaschen nutzen kann, so schrumpft dieser Pool, wenn es weniger Teilnehmer gibt. Weniger Poolflaschen im Umlauf bedeutet aber auch, dass diese öfter verwendet werden und sich eventuell auch schneller abnutzen. Befürchtungen werden deshalb laut, dass die klassische Bierflasche bald immer seltener zu sehen ist und dass sie immer abgenutzter aussieht.
Das möchte der Deutsche Brauer-Bund zwar nicht bestätigen. Doch der Bierkonsum in Deutschland nimmt ab und so sind auch weniger neue Glasflaschen im Flaschenpool. Da ein großer Teil der großen Brauereien bislang aber noch auf die Standardflaschen setzt, speisen so auch viele von ihnen Flaschen in den Pool ein. "So ändert sich an der Flaschenqualität aus unserer Sicht nichts", sagt der Verbandssprecher.
Zurück zur klassischen Flasche und bewusst individuell: So handeln Brauereien
Im Gegenteil dazu gibt es aber auch Brauereien, die bewusst zurück zur Euroflasche gehen – ebenfalls aus Marketinggründen. So hat die Brauerei Arcobräu aus dem niederbayerischen Moos bei einem Teilsortiment wieder die klassischen 0,5- und 0,33-Liter-Flaschen eingeführt. "Wir haben mit der ‚Mooser Liesl‘ unter der Dachmarke Arcobräu eine neue Submarke kreiert, die im bekannten Flaschenformat abgefüllt wird", erzählt Vertriebschef Holger Fichtel. Und damit hat die Brauerei Erfolg, denn es gibt durchaus Biertrinker, die traditionelles Bier auch gerne in den bekannten Flaschenformen trinkt. Holger Fichtel nennt als Beispiel auch die Erfolgsmarke ‚Augustiner‘. "Die vermarkten ihr Bier schon immer in der Euroflasche."
Aus seiner Sicht spielt bei dem Thema der starke Wettbewerb zwischen den Brauereien eine große Rolle. Fichtel bezeichnet ihn sogar als Verdrängungspolitik. "Der Sortieraufwand hat sich definitiv vervielfacht und dadurch steigen logischerweise auch die Kosten", berichtet er aus der Praxis. Da sich die deutschen Brauer beim Flaschenpool nicht einigen können wird die bestehende Poolflasche seiner Meinung nach immer mehr unter Druck geraten.
Andere kleine Brauereien ziehen deshalb die gleichen Schlüsse wie die großen und versuchen sich mit mehr als nur einem individuellen Logo von der Masse abzuheben. So etwa die Brauerei Weldebräu aus dem Baden-Württembergischen Plankstadt im Rhein-Neckar-Kreis. "Individualität leben und brauen", liest man auch als erstes, wenn man die Internetseite der Brauerei besucht. Zu sehen sind dann Flaschen, deren Hälse einen Knick haben – unverkennbar ein Eyecatcher. Hans Spielmann von Weldebräu sagt zur der Entscheidung, eine ganz eigene Bierflasche auf den Markt gebracht zu haben: "Die Verbraucher wollen eine perfekte Flasche – sauber und ohne Kratzer". Das könnten die Flaschen aus dem großen Pool nicht leisten.
Dass sich die Brauerei damit ganz bewusst aus dem branchenumfassenden Flaschenpool raushält, erhöht zwar auch aus seiner Sicht den Sortieraufwand, doch der Verkauf über die individuelle Flasche lohne sich trotzdem. Die Praxis zeigt: Etwa 90 Prozent der Flaschen bekommt Weldebräu über das Pfandsystems des Handels zurück. Das kann funktionieren, da die Brauerei ihr Bier vor allem in der Region verkauft und mit anderen regionalen Getränkehändlern einen Flaschentausch vereinbart hat. Vom Handel bekommt Weldebräu zwar die Menge an Pfandflaschen zurück, die auch ausgeliefert wurden. Doch das sind nicht nur die eigenen Flaschen, sondern eine Mischung aus all dem, was der Handel an Bierflaschen zurückbekommen hat.
Hans Spielmann beurteilt die derzeit geltenden gesetzlichen Pfandvorgaben als "volkswirtschaftlichen Blödsinn", denn er darf sein Bier nicht wie etwa die Winzer in der nahen Umgebung in Pfandflaschen verkaufen und für weiter entfernte Abnehmen in Einwegkartons. "Brauereien, die sehr weit entfernt sind, können wir nicht die Flaschen zurückgegeben. Die Transportkosten sind zu hoch", sagt er. Die Flaschen landen im Altglascontainer und die Kästen im Abfall. Trotzdem nennt sich dieses System "Mehrweg". Spielmann hätte gerne eine Lösung von der Politik, die alle Branchen gleich behandelt.