Interview Bürokratie: "Maßnahmen müssen nun endlich umgesetzt werden"

Die Politik tut sich schwer, Bürokratie abzubauen. Warum das so ist, erläutert Markus Peifer, Leiter Abteilung Organisation und Recht des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), im Interview. Er verrät auch, wo er das größte Entlastungspotenzial sieht.

Die rot-grüne Bundesregierung hat ein geplantes Bürokratieentlastungsgesetz IV in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten. - © mnirat - stock.adobe.com

Handwerksunternehmer berichten, dass ihre bürokratische Belastung immer mehr zunimmt statt abzunehmen. Wie schätzen Sie momentan die Lage ein?

Markus Peifer: Ungeachtet der aktuellen Belastungen hat sich die Situation für Betriebe auch bezüglich des sonstigen bürokratischen Aufwands nicht gebessert. Mit dem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung zwar viel vorgenommen, aber bis jetzt ist nichts passiert. Im Gegenteil geht der deutsche Gesetzgeber bei einigen Gesetzen, wie beispielsweise bei der Umsetzung der Europäischen Hinweisgeberschutz-Richtlinie, sogar über die europäischen Vorgaben hinaus. Das ist kein gutes Signal für Handwerksbetriebe.

Wo sollten Betriebe am dringendsten entlastet werden?

Es gibt eine ganze Reihe an Themen und Vorschlägen des Handwerks, die der Politik bekannt sind und die sich die Politik selbst ins Pflichtenheft geschrieben hat. Der Koalitionsvertrag gibt mit seinen zahlreichen Vorhaben den Weg vor. Diese Maßnahmen müssen nun endlich umgesetzt werden.

Welche wären denn das?

Zum einen muss bestehende Bürokratie konsequent abgebaut werden. Zum anderen sollte vor allem vermieden werden, neue Bürokratie aufzubauen. Der Koalitionsvertrag enthält beispielsweise den von uns geforderten Praxischeck für Gesetze, bevor sie verabschiedet werden. Es ist zwingend notwendig zu prüfen, wie Gesetze in der Praxis wirken und wie sie für Betriebe umsetzbar sind. Darüber hinaus muss die One-in-one-out-Regel mit Blick auf die europäische Gesetzgebung weiterentwickelt werden. Ein weiterer Ansatzpunkt, um Betriebe von Bürokratie zu entlasten, wäre es, wie angekündigt ein Zentrum für Gesetzgebung und Gesetzessprache einzurichten. Denn oft entsteht unnötiger Bürokratieaufwand dadurch, dass gesetzliche Pflichten falsch verstanden werden, weil sie zu kompliziert formuliert und nicht nachvollziehbar sind. Häufig werden allein aufgrund von Missverständnissen mehr Pflichten erfüllt als eigentlich vorgeschrieben waren.

Dr. Markus Peifer
Markus Peifer ist Leiter Abteilung Organisation und Recht des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). - © ZDH

Wird denn die One-in-one-out-Regel überhaupt angewendet?

Die One-in-one-out-Regel ist ein wichtiges Instrument, um in den Ministerien das Bewusstsein zu schärfen, wie belastend sich ein erarbeitetes Gesetz auswirken wird. Man darf das Instrument aber nicht überschätzen, denn es ist nur eine Kompensationsregel. Es wirkt als Bremse und nicht als Abbaumaßnahme. Ein wesentliches Manko ist aus unserer Sicht, dass das One-in-one-out-Prinzip nur deutsche Gesetze betrifft und nicht für gesetzliche Vorgaben der EU gilt.

In welchem Bereich sehen Sie den größten Handlungsbedarf, um Bürokratie abzubauen?

Große Entlastungspotenziale bieten sich, wenn die Verwaltung endlich stärker digitalisiert arbeiten würde. Dies umfasst die gesamte Kommunikation von Betrieben mit der Verwaltung auf verschiedenen Ebenen: die Beantragung von Genehmigungen, die Teilnahme an der öffentlichen Vergabe, die Erfüllung von Anzeigepflichten oder der Nachweis erfolgter Dokumentationen. All das wäre einfacher, schneller und effizienter, wenn es online möglich wäre. Hierfür brauchen wir einheitliche, miteinander kompatible Strukturen von der Kommune bis hin zur Bundesebene, damit dies reibungslos funktioniert.

Oft hat man das Gefühl, Politik versteht nicht, was einzelne Maßnahmen konkret für Betriebe bedeuten.

Hier spielt häufig die Silo-Perspektive der einzelnen Fachressorts eine Rolle. In deren jeweiligem Bereich machen die Maßnahmen durchaus Sinn. Und das Problem ist auch nicht die einzelne Maßnahme, sondern die Summe aller Maßnahmen. Um die Gesamtbelastung zu betrachten, braucht es die Vogelperspektive und ein Bewusstsein für die Belastungserfahrung. Für Handwerksbetriebe ist besonders belastend, dass ständig neue Aufgaben und neue Verpflichtungen hinzukommen und sich bestehende Regelungen ändern. Dies muss die Bundesregierung stärker als bisher berücksichtigen.

Warum tut sich die Politik so schwer, Bürokratie abzubauen?

Bürokratie und die daraus erwachsende Belastung kann und sollte nur abgebaut werden, wenn sie überflüssig oder unnötig ist. Bürokratie an sich ist wichtig, damit unser Rechtsstaat und unsere Verwaltung funktionieren. Manche Maßnahmen schießen aber über das Ziel hinaus. Hier setzt Bürokratieabbau an. Der ZDH hat eine Liste mit über 50 Vorschlägen zum Bürokratieabbau vorgelegt. Mit diesen Vorschlägen wird von Genehmigungsverfahren über Datenschutzpflichten bis hin zu Vorgaben der Kreislaufwirtschaft das gesamte Praxisspektrum von Betrieben erfasst.

Es wird wohl ein Bürokratieentlastungsgesetz IV geben. Der Bedarf ist also erkannt?

Ja, es ist wichtig, dass die Entlastung von bestehender Bürokratie als eigenes Vorhaben im Koalitionsvertrag formuliert ist. Die Erfahrung mit den vorherigen Bürokratieentlastungsgesetzen ist allerdings, dass die ambitionierten Gesetze im Laufe des Abstimmungsprozesses und des Gesetzgebungsverfahrens an Schlagkraft verlieren und an Entlastungspotential einbüßen. Es erscheint deshalb vorzugswürdig, dass nicht der große Wurf geplant wird, sondern dass jedes Ressort, jedes Ministerium Verantwortung in seinem Zuständigkeitsbereich übernimmt und eigene Entlastungsmaßnahmen auf den Weg bringt.

Wann ist mit dem Bürokratieentlastungsgesetz IV zu rechnen?

Nach fast einem Jahr Regierungszeit ist noch nichts passiert. Es dauert von der Ausarbeitung bis zur Umsetzung eines Bürokratieentlastungsgesetzes. Auch das ist eine Lehre aus der Vergangenheit. Das aber ist Zeit, die Betriebe aktuell nicht haben. Wir brauchen jetzt schnelle Maßnahmen.