Im Herbst können die ersten Schüler in sechs Bundesländern zum Berufsabitur starten. Der Anspruch wird hoch: In nur vier Jahren sollen die Jugendlichen eine vollständige handwerkliche Ausbildung und die allgemeine Hochschulreife erwerben. Das erwartet sie.
Barbara Oberst

Die erste Klasse für Berufsabiturienten ist – theoretisch – sicher. "Wir haben 18 Betriebe, die bisher mitmachen wollen. Das sind potenziell 22 Ausbildungsplätze.“ Markus Eickhoff ist zufrieden, wie die Vorbereitungen zur Einführung des Berufsabiturs bisher laufen. Der stellvertretende Geschäftsführer der Handwerkskammer zu Köln ist dort für Berufsbildung zuständig. Seine Kammer – und damit die des Handwerkspräsidenten Hans Peter Wollseifer – ist in Sachen Berufsabitur sehr weit fortgeschritten. Jetzt fehlen nur noch die Jugendlichen, die den Ehrgeiz haben, binnen vier Jahren parallel eine handwerkliche Ausbildung und das Abitur zu machen.
Drang zum Abitur stellt Handwerk vor Problem
Der Drang der Jugend zu immer höheren Bildungsabschlüssen stellt das Handwerk vor ein Problem. Guter Nachwuchs ist immer schwerer zu finden. Mit dem Berufsabitur will die Handwerksorganisation Jugendliche gewinnen, die gerne praktisch arbeiten und trotzdem nicht auf den hohen Schulabschluss verzichten mögen. Ab dem Schuljahr 2017/18 sollen in sechs Bundesländern Pilotprojekte starten. Handwerkskammern in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen arbeiten derzeit an ihren Konzepten.

Einfach ist die Umsetzung nicht. Weil die Bildungshoheit im jeweiligen Bundesland liegt, gibt es zunächst keine einheitliche Lösung. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat mit der Kultusministerkonferenz (KMK) drei verschiedene Varianten entwickelt, die den jeweils vorhandenen Schulstrukturen angepasst werden können. "Ziel ist es, ein bundesweit einheitliches Angebot zu etablieren“, betont Volker Born. Er leitet beim ZDH die Abteilung berufliche Bildung und ist verantwortlich für das Projekt "BerufsAbitur“.
Vier Jahre Zeit für Berufsabitur
Allen derzeit geplanten Modellen gemeinsam ist: Sie setzen einen mittleren Schulabschluss voraus und der Schüler hat vier Jahre, um sowohl den Gesellenbrief in seinem Gewerk als auch die allgemeine Hochschulreife zu erwerben. Ausbildung und Abitur sind vollwertig. Unterschiede bestehen in den Details der Modelle:- Duale Fachoberschule:
Hier gibt es eine fachgebundene, geschlossene Berufsschulklasse, die über die vollen vier Jahre sowohl in der Ausbildung steht, als auch gemeinsam zur Schule geht. "Wir haben diese Variante gewählt und uns für das Elektrohandwerk entschieden. Hier herrscht Fachkräftemangel und die Betriebe zeigen großes Interesse“, erklärt Markus Eickhoff für Nordrhein-Westfalen. Der Vorteil: Die Jugendlichen bleiben bis zum Abschluss in engem Kontakt mit ihrem Ausbildungsbetrieb. Die Arbeitszeit im Betrieb ist auf 28 Wochenstunden reduziert, Arbeitszeit und Schule werden in Blöcke gefasst. - Einmündung in die Berufsoberschule:
Die Schüler machen in den ersten drei Jahren die betriebliche Ausbildung im Handwerk ihrer Wahl und besuchen zusätzlich zum regulären Berufsschulunterricht weitere Schuleinheiten. Nach drei Jahren schließen sie die Ausbildung mit den Gesellenprüfungen ab und erwerben die Fachhochschulreife. Anschließend können sie im letzten Jahr die Abiturprüfung an der Berufsoberschule ablegen. "Den Schülern stehen mit dem modularen Aufbau alle Wege offen“, betont Stefan Baron vom Baden-Württembergischen Handwerkstag.
Nach dreieinhalb Jahren könne jeder überlegen, ob das Vollabitur weiter sein Ziel ist oder doch der Meister. Neben Baden-Württemberg hat sich auch Bayern für diese Variante entschieden. "Wir entwickeln damit vorhandene Strukturen weiter. Bisher führten die nur zum Fachabitur, jetzt erweitern wir das Angebot hin zum allgemeinen Abitur“, erklärt Christian Gohlisch, Hauptabteilungsleiter bei der Handwerkskammer München. Schon jetzt gebe es zahlreiche Standorte, die die Voraussetzungen erfüllen. - Integratives Modell am beruflichen Gymnasium:
Das dritte Modell verknüpft die duale Berufsausbildung mit der gymnasialen Oberstufe an beruflichen Gymnasien. Ein entsprechendes Projekt gab es ab 2011 bereits in Sachsen, erprobt allerdings nur für Industrieberufe im Projekt DuBAS (Duale Berufsausbildung mit Abitur in Sachsen). In diesem Projekt zeigte sich, dass einige Schüler die Doppelbelastung nicht durchhielten und dass andere gleich nach dem Abi zum Studieren gingen, den Betrieben also nicht erhalten blieben. "Dieses Modell einfach nur zu kopieren, kommt also nicht in Frage. Wir wollen es abspecken und zunächst für Elektro- und Metallberufe anpassen“, berichtet Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden.