Meinung Bedingungsloses Grundeinkommen: Pro und Contra

Das Bürgergeld gilt als Vorstufe zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE). Befürworter begreifen das BGE als Möglichkeit für Freiheit und Entfaltung, während Kritiker von einem irreführenden und irrationalen Konzept sprechen.

Als bedingungsloses Grundeinkommen wird eine staatlich finanzierte Leistung verstanden, die ohne einen Zwang zur Gegenleistung oder Arbeit, ohne eine Bedürftigkeitsprüfung und in existenz- und teilhabesichernder Höhe gewährt wird. - © FM2 - stock.adobe.com

Pro: "Frei von ökonomischen Sachzwängen"

BGE führt zu mehr Wirtschaftskraft und Arbeitsfreude – von Bernhard Neumärker, Professor für Wirtschaftspolitik.

"Das BGE stattet jeden Bürger ohne Vorbedingungen mit einem einheitlichen auskömmlichen Betrag aus. Es macht ihn damit frei von ökonomischen Sachzwängen und erlaubt ihm ein selbstbestimmtes Leben. Man wird zeitsouverän und wägt Erwerbsarbeit mit unbezahlten Tätigkeiten und kreativer Freizeit derart ab, dass auch bezahlte Arbeit sinnstiftend sein wird. Arbeitgeber sehen sich zwar selbstbewussten Arbeitnehmern ausgesetzt, die mit dem BGE im Gegensatz zu Hartz IV oder auch dem Bürgergeld eine grundlegende Exitoption ohne Sanktionen und Druck zur (Wieder)Eingliederung in die Erwerbsarbeit zur Verfügung haben. Intrinsische Arbeitsmotivation, Fähigkeiten und Arbeitswünsche werden in die individuell richtigen Wege geleitet und untereinander auf Augenhöhe verhandelt.

Auch Jobs, die eher ungern gemacht werden, aber von hoher Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft sind, werden dann über marktwirtschaftlich abgefragte Zahlungsbereitschaften der Konsumenten ordentlich vergütet. So wird der stinkende Müll nicht liegen bleiben, weil seine Abfuhr wegen des BGE teurer geworden ist, sondern die Müllabfuhr wird gebührend entgolten, da die Beseitigung von Müll und Gestank nun im Markt ihre echte Wertschätzung erhält, während sie davor zu Dumpingpreisen mit relativ schlecht bezahlten Müllwerkern billig zu haben war.

Bernhard Neumärker ist Professor für Wirtschaftspolitik. - © Privat

Auch in Krisenzeiten kann im Handwerk freiwillig weiter ausgebildet werden (soweit Material vorhanden ist), denn alle Beteiligten bekommen ihr Grundeinkommen. Ausbildungen werden dann nicht durch zum Beispiel vorübergehende Werksstilllegungen verlängert oder gar vorzeitig beendet. Auch Beteiligte an Start Ups können privat nicht in "Konkurs" gehen, denn ein Fehlschlag fängt das BGE auf.

Durch die dementsprechenden Freisetzungen selbstgesteuerter kreativer Kräfte in bezahlter wie unbezahlter Arbeit sowie Freizeit ergibt sich ein neues Potenzial schöpferischer Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft, das die Finanzierung des BGE nicht so schwierig macht, wie es Denker eines veralteten paternalistischen Kapitalismus mit dominantem Arbeitsleid beim Einkommenserwerb und Vorrang der Geldoder Arbeitgeber gegenüber den Transfer-oder Arbeitszeitempfängern vermuten. Solange über die Politik die Steuerzahler als Geber den Transferempfängern des Sozialstaats über Bedarfsprüfungen und Sanktionen vorgeben, was die Empfänger dank der Übertragungsleitung zu tun haben, besteht keine wahre Solidargemeinschaft. Mit BGE sind alle Gesellschaftsmitglieder zugleich Empfänger und werden entsprechen unabhängig ihres sonstigen Einkommens mit grundständiger Teilhabemacht ausgestattet.

Friedliche Ko-Existenz und Kreativkraft werden nicht zu vermehrter Faulheit und überbordenden Kosten des Sozialstaats führen, sondern zu mehr Wirtschaftskraft, Arbeitsfreude, freiwilliger Tätigkeit im unterversorgten Care-Bereich und einem sich demzufolge teilweise selbst finanzierenden Sozialsystem. Das sollte sich eine moderne Gesellschaft leisten können.

Contra: "Die Utopie ist ungerecht"

Geben ohne Gegenleistung erscheint gewagt – von Dominik Enste, Professor für Wirtschaftsethik.

Die Mehrheit der Deutschen sei für das BGE -zumindest, wenn es nach einer neuen Umfrage geht. Was dabei übersehen wird: Die Fragen wurden recht eindimensional gestellt. Und: Die Utopie ist ungerecht auf vielen Ebenen.

Immer wieder taucht die Idee eines BGE aus den Untiefen der politischen Debatten auf -und wird damit beworben, dass die Mehrheit der Deutschen das angeblich befürworten würde. In Volksentscheiden sprechen sich die Bürger dagegen regelmäßig gegen die Idee aus, so wie in der Schweiz oder zuletzt in Berlin. Die jüngste Umfrage aus dem Jahr 2022 legt nun dankenswerterweise offen, dass ein BGE vor allem von denen befürwortet wird, die davon persönlich profitieren. Andere sollen dafür höhere Einkommensund Vermögenssteuern zahlen, während man selbst dank eines hohen Grundeinkommens weniger oder gar nicht arbeiten muss.

Dominik Enste ist Professor für Wirtschaftsethik. - © Stefan Obermeier

Leider wird in den Umfragen nicht gefragt, ob die höheren Einnahmen besser für Bedürftige oder bessere Bildung verwendet werden sollten. Auch typische Ausweichreaktionen werden ignoriert: So könnte man auch fragen, ob diejenigen, die höher besteuert werden sollen, weniger oder gar schwarzarbeiten würden.

Außerdem bleiben viele weitere Ungerechtigkeiten unerwähnt:

Haben wirklich alle Anspruch auf ein BGE? Also auch Geflüchtete und alle EU-Bürger, die nach Deutschland kommen? Warum bekommen Kinder bei vielen Modellen nur die Hälfte und wie passt das zur Bedingungslosigkeit? Wenn die unterschiedlichen Wohnkosten bei den Sozialleistungen nicht mehr berücksichtigt werden, können sich dann nicht nur noch Reiche das Wohnen in Innenstädten leisten? Bekommen Menschen mit Behinderung auch nicht mehr als der arbeitsunwillige Mitbürger? Verfallen bei der Umstellung auf ein BGE alle erworbenen Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder muss die junge Generation weiter in der Rentenversicherung einzahlen, ohne Ansprüche zu erwerben?

Die Idee, dass eine Leistung mit einer Gegenleistung ausgeglichen wird, ist die Grundlage menschlichen Zusammenlebens. Für Arbeit erhält man einen Lohn und wer bedürftig ist, erhält soziale Leistungen. Bedingungsloses Geben fällt sogar Eltern bei den eigenen Kindern nicht immer leicht: Ein Lächeln als Gegenleistung für durchwachte Nächte macht es schon leichter. In einer anonymen Großgesellschaft von über 80 Millionen Menschen auf bedingungsloses Geben ohne Gegenleistung, erscheint gewagt, wenn nicht irrational und gefährlich.

Die entscheidende Frage dabei ist: Warum sollten wir das im internationalen Vergleich so erfolgreiche Modell der Sozialen Marktwirtschaft durch radikale Umwälzungen mit ungewissem Ausgang gefährden?

Statt über nicht umsetzbare, irreführende Konzepte nachzudenken, sollten besser die bestehenden Probleme gelöst werden. Ein bedingtes Grundeinkommen, das viele Leistungen zusammenfasst und dennoch unterschiedliche Bedarfe wie höhere Mietpreise in Städten berücksichtigt und Chancengerechtigkeit ermöglicht, ist gerechter, weil es nicht Ungleiches gleichbehandelt.