Seit 2019 verzeichnet das Statistische Bundesamt einen Anstieg der Krankheitstage. Einige Arbeitgeber denken deshalb über sogenannte Anwesenheitsprämien nach. Über Sinn, Alternativen und rechtliche Rahmenbedingungen einer solchen Maßnahme.
2022 waren Arbeitnehmer in Deutschland durchschnittlich 15 Arbeitstage krankgemeldet – knapp vier Tage mehr als noch 2021. Gerade für kleine Handwerksbetriebe stellen hohe Fehlzeiten ein hohes Geschäftsrisiko dar. Einige Betriebsinhaber denken deshalb über eine sogenannte Anwesenheitsprämie nach, also eine finanzielle Belohnung von Mitarbeitern, die wenig oder gar nicht krank sind. Es handelt sich dabei um eine Sonderleistung, die zusätzlich zum Gehalt ausgezahlt wird. Die Prämie kann als laufende oder als einmalige Zahlung ausgezahlt werden. Zweck ist die Reduktion der Fehlzeiten im Unternehmen.
Wie könnte eine Anwesenheitsprämie konkret aussehen?
Möglich ist zum Beispiel eine Prämie von 150 Euro pro Quartal, die ausgezahlt wird, wenn innerhalb des Quartals keine Arbeitsunfähigkeit besteht. Sollten Mitarbeitende doch erkranken, wird die Prämie pro Fehltag um ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, gekürzt. Diese maximale Kürzung schreibt das Entgeltfortzahlungsgesetz vor, erklärt Nils Wigger, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Kanzlei Wittig Ünalp.
Ein Rechenbeispiel: Verdient ein Arbeitnehmer 40.000 Euro im Jahr und die Anzahl der Arbeitstage liegt bei 250 Tagen in dem Jahr, so kann die ausgelobte Anwesenheitsprämie pro Tag der Arbeitsunfähigkeit um 40 Euro (40.000 Euro : 250 : 4) gekürzt werden.
Worauf ist rechtlich noch zu achten?
Eine gesetzliche Grundlage für die Anwesenheitsprämie gibt es nicht. Zu beachten ist allerdings das Entgeltfortzahlungsgesetz, das in § 4a eine Kürzung der Prämie genau festgelegt. Die Rechtsgrundlagen für die Anwesenheitsprämie sind demnach ausschließlich der Arbeitsvertrag sowie Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge.
Wie sinnvoll ist eine solche Prämie?
Die Anwesenheitsprämie soll Mitarbeitern einen Anreiz geben, besonders auf ihre Gesundheit zu achten und so Krankschreibungen vermeiden. Für Arbeitsrecht-Experte Wigger kann das zwar funktionieren, ist aber gut zu überlegen. Denn: "Die Einführung einer Anwesenheitsprämie drückt Misstrauen gegenüber den Arbeitnehmern aus", merkt er an. "Sie impliziert, Mitarbeitende würden ohne die Prämie ‚krankmachen‘. Das kann sich negativ auf das Betriebsklima und damit auch auf die Leistung auswirken."
Außerdem motiviere die Prämie dazu, krank zur Arbeit zu erscheinen, was im schlimmsten Fall zu einer Krankheitswelle im Betrieb führen kann. "Hinzu kommt, dass nicht alle Arbeitnehmer die gleichen Chancen haben, eine solche Prämie zu erhalten. Bei älteren oder vorerkrankten Personen ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass diese keine Prämie erhalten", sagt Wigger.
Fazit
"Vielversprechender als eine Anwesenheitsprämie dürfte sein, für ein gutes Arbeitsklima zu sorgen und frühzeitig mit Arbeitnehmern BEM-Gespräche zu führen", sagt Wigger. Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM), ist ein Instrument, um Arbeitnehmer mit längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten den Weg zurück in den Betrieb zu erleichtern. "Auch Unterstützungsleistungen für Vorsorgeuntersuchungen oder das Angebot von Sport- und Gesundheitskursen können Fehlzeiten in Unternehmen deutlich reduzieren." Unternehmen, die dennoch über eine Anwesenheitsprämie nachdenken, sollten sich bei der Gestaltung der Prämie rechtlich beraten lassen. gsa/fre