Interview mit Tilmann Mayer "Merkel ist nicht die große Spinne"

Für die SPD birgt die Große Koalition nach Ansicht von Tilmann Mayer nicht nur Risiken. "Es liegt an der SPD, die Öffentlichkeit positiv zu überraschen. Niemand hindert sie daran", sagt der Politikwissenschaftler im DHZ-Interview.

Karin Birk

Prof. Tilmann Mayer ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn. - © Foto: Universität Bonn

DHZ: Herr Professor Mayer, viele Sozialdemokraten haben Angst vor einer Großen Koalition. Sie fürchten den politischen Selbstmord. Zu Recht?

Tilmann Mayer: Ja und Nein. Natürlich hat die SPD in der letzten Großen Koalition negative Erfahrungen gemacht. Sie hat zu wenig Aufmerksamkeit für die eigenen Minister bekommen und ein schlechtes Resultat erzielt. Andererseits kommt es auf die heutige SPD an. Macht Sie eine gute Politik, hat sie alle Chancen, bei den nächsten Bundestagswahlen gut dazustehen.

DHZ: Zeigte nicht auch die Große Koalition von 1966 bis 1969, dass die SPD auch als Juniorpartner als Sieger vom Platz gehen kann?

Mayer:  Das ist völlig richtig. Die Große Koalition hat den Sozialdemokraten damals den Weg ins Kanzleramt geebnet. Auch jetzt gibt es die Chance der Führungspersönlichkeiten, zum Format eines Willy Brandt aufzulaufen. Es liegt an der SPD, die Öffentlichkeit positiv zu überraschen. Niemand hindert sie daran.

DHZ: Viele befürchten, die Bundeskanzlerin könnte der SPD wie in der letzten Großen Koalition die Schau stehlen. Sehen Sie das anders?

Mayer: Merkel ist nicht die große Spinne, die andere auffrisst. Die SPD muss aus ihren angeblich positiven Politikleistungen einfach mehr machen. Das sieht man nicht nur am Wahlergebnis 2009. Das gilt auch für die letzte Bundestagswahl. Und da war die SPD in keiner Koalition mit der Kanzlerin. Vielmehr hat sie ihr Spektrum nicht völlig abgeschöpft.

DHZ: Inwiefern? Was hat Sie Ihrer Meinung nach übersehen?

Mayer: Die SPD hat sich für den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, für höhere Hartz-Sätze oder den Kampf gegen Leiharbeit starkgemacht. Die Anliegen der Facharbeiter hat sie dabei aus den Augen verloren. Die SPD ist aber eine Partei, die sich auch an der arbeitenden Mitte der Bevölkerung orientieren muss. Steuererhöhungspläne, wie sie auch die Grünen vorlegt haben, passen da nicht dazu. Insofern hat sie ihr Thema verfehlt.

DHZ: Abgesehen von der Steuerdebatte liegen SPD und Unionsparteien gar nicht so weit auseinander. Rechnen Sie mit einem Zustandekommen der Großen Koalition?

Mayer: Die Differenzen in der Steuerdebatte halte ich für überwindbar. Ich gehe davon aus, dass man sich auf eine Steuererhöhung einigen wird. Ich denke auch, dass sie verkraftbar wäre. Denn ob man 42 oder 46 Prozent im Spitzensteuersatz hat, ist eigentlich
unerheblich. Insofern halte ich eine Große Koalition für durchaus möglich.

DHZ: Welche Stolpersteine kann es auf dem Weg noch geben?

Mayer: Ein Zustandekommen der Großen Koalition hängt auch davon ab, wie sich die Grünen positionieren. Wenn sie sich jetzt "Ent-Trittinisieren", dann gibt es durchaus Schnittmengen mit der CDU. Und für die CDU könnte es attraktiv sein, einen kleineren Bündnispartner an Bord zu haben, mit dem man dann ökologisch etwas anfangen kann, der aber weniger an Zugeständnissen kostet. Allerdings bräuchten
sowohl die Anhänger der Grünen
wie auch der Schwarzen mehr Zeit, sich an einen solchen Gedanken zu ge­wöhnen.

DHZ: SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hat bereits kurz nach der Wahl vorgeschlagen, alle SPD-Mitglieder über mögliche Koalitionsverhandlungen abstimmen zu lassen. Halten Sie das für geschickt?

Mayer: Durchaus. Das Risiko der SPD-Führung liegt im Moment ja darin, dass die Parteimitglieder – nicht zuletzt durch die Festlegung ihres Kanzlerkandidaten Steinbrück – keine Steigbügelhalter für Frau Merkel werden wollen. Diese Haltung kann man nur durch
eine Abstimmung aus der Welt schaffen. Wenn man den Parteimitgliedern klarmacht, dass man in den Koalitionsgesprächen ordentlich verhandelt und so manches sozialdemokratische Ziel durchgesetzt hat. Wenn man ihnen erklärt, dass sie deshalb zustimmen müssen oder andernfalls den Rücktritt der gesamten Parteiführung riskieren, ist Gabriels Abstimmung ein geschickter Schachzug.