Optiker Dieter Funk bewegt sich zwischen Weltstädten und Provinznestern, zwischen Berühmtheiten und Ottonormalverbrauchern, zwischen einem Leben als Vorreiter und dem Streben, ein altes Handwerk zu bewahren.

Berlin. Wien. München. Kinsau. Drei Großstädte und ein kleines Dorf. Die vier Standorte von Funk Optik sind so kontrastreich wie das Leben ihres Firmengründers Dieter Funk. Der Optiker betritt seinen großzügigen Showroom im oberbayerischen Kinsau; dunkelblaues Hemd, dunkelblaue Jeans, robuste Lederschuhe. Die graumelierten Deckhaare hat der Mitfünfziger stramm am Hinterkopf zusammengebunden, der Haarkranz darunter ist kurzgeschoren. Durch die markante Brille blickt ein hellwacher Geist.
Zur Begrüßung zieht Funk seinen tagesaktuellen Corona-Test aus der Tasche. Die Maske behält er konsequent auf, so wie alle im Haus. Corona soll den Betrieb nicht gefährden – die wirtschaftlichen Folgen sind schon gefährlich genug. Gleich zu Beginn der Krise hatte der Unternehmer einen offenen Brief an die bayerische Staatsregierung geschrieben: "Mir fehlte da die klare Ansage, was können wir tun? Das war ein Rumgeeiere, die Soforthilfen reichten gerade einmal für ein paar Tage", erklärt er sein Schreiben. Eine Antwort erhielt er nie, suchte sich selber den Weg durch das Wirrwarr der Pandemie-Monate.
Land-Stadt-Gefälle in Pandemie
Nach einem Jahr Corona ist seine Bilanz ein Spiegel der Augenoptikbranche. Seine Läden in den Städten erlitten Umsatzrückgänge, der ländliche Standort wuchs sogar leicht. "Schauen Sie sich hier um", zeigt er mit stolzer Geste den lichtdurchfluteten Raum. "Hier ist Platz, hier kann man Abstand halten, die Kunden können mit dem Auto herkommen statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln", erklärt er den Vorteil der ländlichen Umgebung.
Er geht durch die gläserne Tür, die den stylischen Verkaufsraum von der Manufaktur trennt. Maschinengeräusche lösen die gedämpfte Musik ab. Funk greift ins Regallager und zieht eine flache Platte heraus. Gegen das Licht funkeln bunte Einsprengsel auf. Der Optiker gerät ins Schwärmen: "Das ist Baumwollacetat, ein Naturprodukt, unendlich recyclebar, es fühlt sich ganz anders an als Kunststoff. Daraus machen wir Brillen fürs Leben." Diese Acetatplatten hat er größtenteils von Betrieben aufgekauft, die das Brillenmachen aufgegeben haben. Auch seine Maschinen stammen von daher; es sind ehrwürdige Geräte, die nicht mehr genutzt wurden, nachdem das handwerkliche Herstellen von Brillenfassungen weg von Deutschland und Italien, hin nach Asien verlagert wurde. Die wenigsten Optiker würden heute noch Brillenfassungen herstellen, bedauert Funk. Er selber habe das Glück gehabt, in seiner Ausbildung noch die Grundlagen der Brillenmacherei zu erlernen. Das restliche Wissen trug er von alten Optikermeistern zusammen.
170 Schritte bis zur Fassung
170 Arbeitsschritte sind es durchschnittlich von der Acetat-Grundplatte bis zur fertigen Fassung, vom Ausfräsen des Rohlings auf der 30 Jahre alten CNC-Maschine über unendliche Poliervorgänge bis zur Hochzeit von Bügel und Mittelteil. Wer hier arbeitet, ist Handwerker, aber nicht unbedingt Optiker: "Wir haben auch Graveure, Zahntechniker, Holz- und Metallhandwerker. Sie sind alle multitalentiert, können an fast allen Stationen arbeiten, oft besser als ich!", sagt Funk stolz. Chefgehabe hat er nicht nötig, die Menschen wollen bei ihm arbeiten. Einige der insgesamt 56 Mitarbeiter sind ihm nachgezogen, von Berlin, Mönchengladbach und dem Ammergau nach Kinsau.

Dieser 1.050-Seelen-Ort ist dem Kosmopolit neue Heimat geworden. Blickt man von hier nach Süden, scheinen die Alpen bei Föhnwetter zum Greifen nah. Funk ist in der Region aufgewachsen, machte seine Optikerlehre in Kaufbeuren. Dann zog es ihn in die Stadt. "Bei Optik Hartogs in der Münchener Leopoldstraße lernte ich viel. Das war damals der innovativste Optiker überhaupt", schwärmt Funk.
Schon in dieser Zeit genügte ihm die Anstellung nicht. Er gründete nebenberuflich mehrere Unternehmen, war Telefondienstleister, übernahm den Vertrieb einer New Yorker Brillenmarke und entwickelte mit Kollegen das erfolgreiche Münchener Brillenlabel "Freudenhaus".
Krise in fünf Tagen bewältigt
Die Stelle bei Hartogs gab er auf – und verlor alles, als er sich mit seinen Kompagnons über Zukunftsfragen entzweite. "Nach meinem Ausscheiden waren 250.000 Mark weg, mit meiner Freundin war Schluss, und weil wir zusammen gewohnt hatten, war ich auch obdachlos", berichtet er – und grinst. Er erzählt von vier, fünf Nächten im Englischen Garten, Freunden, die ihn durchfütterten und einem Akkordjob, mit dem er sich in wenigen Wochen wieder ein Finanzpolster erarbeitete. Krise beendet.
Für ein Jahr heuerte er bei Fielmann an: "Auch da habe ich viel mitgenommen, organisatorisch, verkaufspsychologisch und in Menschenführung." Alles was er lernte, saugte er für seine eigenen Unternehmenspläne auf, auch während der nächsten Station: Außendienst für Calvin Klein in Süddeutschland.
DJ und Brillenmacher
Feierabends und wochenends trieb er die eigene Brillenkollektion voran. "Meine Tage bestanden aus vier bis fünf Stunden Schlaf, der Rest war Arbeit. Aber ich bezeichne das, was ich tue, nicht als Arbeit. Es macht mir doch Spaß!" Lange gehörten zu seinem Leben auch Auftritte als DJ in München, London, Paris und in der Schweiz. "Ich spielte mal für 50, mal für 3.000 Leute. Mein Ziel war, mit meinem Publikum die totale Extase zu erreichen", schildert er.
Mittlerweile sitzt er oben in der Kantine, vor sich eine Tasse Espresso, hinter sich seine Musiksammlung und zwei Plattenspieler. Bis heute sind ihm Musik, Kunst und Fashion eine wichtige Inspiration und gleichzeitig Markt für seine ausgefalleneren Brillenmodelle. Das deutsche Publikum hatte seine extravaganten Sonnenbrillen der ersten Kollektion durchfallen lassen, auf der Londoner Fashionmesse verkaufte er sie im Dutzend. "Ich bin meiner Zeit eben oft voraus. Manchmal zu sehr", kommentiert er.
Musik, Kunst und Modewelt
Nach der Haute Couture entwarf Funk dezentere Modelle, bald auch Korrekturfassungen. Stars wie Lenny Kravitz, Anastacia oder Brad Pitt trugen Funk-Sonnenbrillen und bis heute zählen Berühmtheiten zu seinen Kunden – auch weil der Optiker diskret ist: "Ich rede nicht groß darüber, darum funktioniert es."
Mit dem Erfolg wuchs der Platzbedarf. Funk und seine Ehefrau, die Designerin Sashee Schuster, verlagerten Leben und Produktion von München nach Kinsau. In einem 500 Jahre alten Bauernhof errichteten sie ihre erste Manufaktur und expandierten aus Platzmangel rund zehn Jahre später in ihren Neubau.
Hier verschmilzt der Optiker Altes und Moderne, produziert Designerbrillen mit Strom vom eigenen Dach, nutzt Oldtimer-Maschinen und Lasertechnik, verbindet traditionelles Handwerk mit "funky" Design. Er wolle das Brillenmacherhandwerk vor dem Vergessen bewahren, erklärt er und hat deswegen mitten in der Corona-Krise ein Schulungszentrum für Optiker eröffnet. Wie noch jedes Mal in seinem Leben, gewinnt Funk auch der aktuellen Krise etwas Positives ab: "Ich glaube, die Menschen achten jetzt mehr auf Nachhaltigkeit und Regionalität. Ich blicke sehr positiv in die Zukunft."